Olympiagold erfordert Planung
06.09.2024 Region Unterfreiamt, VillmergenFlorian Willisegger aus Villmergen nimmt neu Einsitz im Vorstand des Schweizer Bobverbandes
Umbruch bei Swiss Sliding, dem Fachverband der Sportarten Bob, Rodeln und Skeleton. Von den sechs Vorstandsmitgliedern traten vier zurück. Neu gewählt wurde unter anderem ...
Florian Willisegger aus Villmergen nimmt neu Einsitz im Vorstand des Schweizer Bobverbandes
Umbruch bei Swiss Sliding, dem Fachverband der Sportarten Bob, Rodeln und Skeleton. Von den sechs Vorstandsmitgliedern traten vier zurück. Neu gewählt wurde unter anderem Florian Willisegger. «Wir müssen unsere Talente bestmöglich fördern», sagt der Villmerger.
Chregi Hansen
Das Freiamt ist keine Wintersportregion. Und doch gab und gibt es immer wieder Athleten, die im Bobsport für Furore sorgen. Angefangen bei Max Forster über Christian Reich und Daniel Schmid bis hin zu Melanie Hasler. Das wundert Florian Willisegger nicht. «Freiämter sind generell ‹gsundi Chaibe›, besitzen aber auch den Willen und Tatendrang, etwas richtig machen zu wollen. Und genau das braucht es für den Bobsport», sagt er.
Der 41-Jährige weiss, wovon er spricht, war er doch selber im Bobsport aktiv. Die ganz grosse Karriere blieb ihm zwar versagt. Aber die Teilnahmen an Juniorenweltmeisterschaften und Weltmeisterschaften für die Schweiz bleiben unvergesslich für ihn. «Das Faszinierende des Bobsports ist sicher das Tempo auf dem Eis – mit 160 km/h und mit bis zu 5 G Druck rast man ins Ziel. Dazu kommt das Zusammenspiel der Mannschaft am Start, welcher für die ganze Leistung signifikant massgebend ist», schaut Florian Willisegger auf seine Aktivzeit zurück.
Plötzlich wurde anderes wichtiger
Zu diesem Sport kam der Villmerger durch eine Anfrage des Hägglinger Bobpiloten Daniel Schmid. Der war auf den schnellen Leichtathleten aufmerksam geworden. «In der Folge versuchte ich mich zuerst eine Saison als Pilot. Ich merkte aber rasch, dass mich das zu wenig faszinierte. Darum wurde ich Anschieber und fuhr während sechs Jahren in den Bobteams Baños im Europa- und den Teams von Galliker und Schmid im Weltcup.» 2010 beendete Willisegger seine Karriere, seither sass er nie mehr in einem Bob. «Eigentlich hatte ich geplant, in den kommenden Saisons plauschmässig an den Schweizer Meisterschaften oder an Cuprennen zu fahren», berichtet er. Der Start zu einem berufsbegleitenden Studium, die Gründung einer Familie und seine berufliche Karriere verhinderten dies aber.
Jetzt kehrt er also in den Bobsport zurück. Und freut sich auf seine neue Aufgabe. «Ich habe in der Aktivkarriere viele Menschen kennenlernen und wertvolle Erfahrungen sammeln dürfen. Nun wurde ich für die Mitarbeit im Verband angefragt. Als ehemaliger Anschieber möchte ich die Sichtweise des Athleten einbringen und werde versuchen, günstige Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für künftige Erfolge zu schaffen», so Willisegger. Die Situation ist aktuell nicht einfach, das ist ihm bewusst. In der Vergangenheit wurde die Schweiz durch den Bobsport verwöhnt, holten sich die Teams regelmässig Medaillen an internationalen Wettkämpfen. «Wir brauchen wieder mehr interne Konkurrenz in der Schweiz, so wie in den 70er- bis 90er-Jahren. Damals war es oftmals einfacher, an internationalen Meisterschaften eine Medaille zu gewinnen als an den Schweizer Meisterschaften, da an den internationalen Meisterschaften weniger Schweizer Teams starten durften», schaut der Villmerger auf erfolgreichere Zeiten zurück.
Voraussetzungen verbessern für die Jungen
Gleichzeitig warnt er: «Wir dürfen uns nicht an den Erfolgen aus den alten Zeiten von Hiltebrand, Schärer, Weder usw. messen. Eine Olympiamedaille erfordert Jahre, sogar Jahrzehnte akribischer Vorbereitung und Planung.» Und so schlecht, wie viele meinen, stehe die Schweiz gar nicht da. Der letzte Winter war mit 69 internationalen Medaillen für Swiss Sliding (inkl. Skeleton und Rodeln) ein erfolgreicher. Der Fokus müsse aber aktuell bei der Nachwuchsförderung liegen. «Jeder sass früher einmal in einem Kinderbob und war davon fasziniert. Uns muss gelingen, möglichst viele Jungen mit dem Bobvirus zu infizieren, sodass wir künftig nicht nur Weltklasseathleten haben, sondern auch wieder eine Breite im schweizerischen Bobsport erzeugen können.» Ziel müsse es zudem sein, die Jungen auf ihren Kanälen zu erreichen, sodass möglichst viele im Bobsport hängen bleiben. «Viele verlassen die Jugendförderung, wenn die Lehre beginnt oder wichtige Ausbildungen anstehen. Dort müssen wir investieren, um die Quote der Abgänger klein zu halten. Ich setze mich dafür ein, dass wir Strukturen schaffen, welche die Jungen unterstützen.»
Als Team funktionieren
Florian Willisegger relativiert auch die vielen Umbrüche im Vorstand, mag nicht von einer Krise reden. «Viele ehemalige Vorstandsmitglieder haben sich sehr lange für den Bobsport eingesetzt. Es liegt in der Natur der Sache, dass es manchmal zu einem grösseren Wechsel kommen kann.» Der Verband habe in den letzten Jahren professionelle Strukturen geschaffen, darauf lasse sich weiter aufbauen. «Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Wechsel im Vorstand neuen Schub bei Swiss Sliding auslöst, denn alle bestehenden sowie neuen Vorstandsmitglieder weisen viel Erfahrung und Fachwissen auf», sagt der Villmerger. Doch was kann er als Gefängnisleiter beitragen, damit der Bobsport wieder Erfolge feiern kann? «In meiner täglichen Arbeit steht der Mensch im Fokus. Und ein Bobteam, das menschlich funktioniert, bringt bessere Leistungen. Ich werde mich einsetzen, dass junge Athleten einen langfristigen Fokus haben und mit Erfolgen wachsen und eben auch mit Niederlagen umgehen können. Das Mindset muss stimmen», sagt er.
Nicht an allen Rennen dabei sein
Und wie bringt er die Arbeit im Vorstand mit seiner grossen beruflichen Belastung unter einen Hut? Er werde sicher nicht an jedem Rennen dabei sein. Als Problem erachtet er das nicht. «Indem wir Funktionäre an der Bobbahn stehen, ist noch nichts gewonnen. Es ist beim Vorstand wie in der Aktivzeit. Die Vorbereitung, das Training, das ist matchentscheidend. Der Verband muss sicherstellen, dass die Athleten sich optimal vorbereiten können, um am Tag X die Höchstleistung abrufen zu können. Das ist die Aufgabe des Verbandes», sagt er.
Der Villmerger freut sich auf die neue Herausforderung. Macht aber auch deutlich, wo die Prioritäten liegen. Zuerst kommt die Familie. Dann der Beruf. «Aber auch wenn ich 24 Stunden für das Geschäft erreichbar bin, braucht doch jeder einen Ausgleich. Wichtig ist, dass die Verbandsarbeit Freude macht und etwas zurückkommt.» Und Willisegger denkt langfristig. Aktuell bewirbt sich die Schweiz um die Olympischen Spiele 2038. «Der Sieger dieser Rennen befindet sich derzeit vermutlich noch in der Grundschule. Wir müssen trotzdem bereits heute loslegen. Wir setzen alles daran, die grossen Talente bestmöglich zu fördern, um auch in Zukunft Erfolge feiern zu dürfen.»
Bobsport mit seinen teuren und energieintensiven Bahnen hat in der heutigen Zeit der Klimaerwärmung einen schweren Stand. Das ist auch Willisegger bewusst. «Der Energieverbrauch der Bahnen muss auf ein vernünftiges Niveau gedrosselt werden. Dies kann erwirkt werden, indem die Eisdicke kleiner wird oder die Saison später beginnt», sagt er. Und er lobt die einzige Schweizer Strecke in St. Moritz, wo er im Januar 2010 letztmals in die Tiefe gerast ist. Sie ist die einzige Natureisbahn der Welt, wird jedes Jahr neu gebaut und muss nicht gekühlt werden. «Der ökologische Fussabdruck von St. Moritz ist im Vergleich zu allen anderen Kunsteisbahnen auf der Welt wesentlich kleiner», macht er deutlich.
Auch im Beruf stark gefordert
Trotz seiner Wahl in den Vorstand von Swiss Sliding liegt der Fokus von Florian Willisegger in erster Linie bei seiner Arbeit. Vor rund fünf Jahren übernahm der ehemalige Banker die Leitung des Zentralgefängnisses in Lenzburg, nach einer Umstrukturierung leitet er neu den Bereich Betreuung und Sicherheit und ist somit für den Sicherheitsdienst und den Gesundheitsdienst der ganzen Justizvollzugsanstalt verantwortlich. «Uns geht die Arbeit nicht aus», sagt er auf Nachfrage. «Die aktuellen Herausforderungen liegen im stark gesteigerten psychiatrischen Bedarf der Gefangenen, der Überstundensituation der Mitarbeitenden und den immer stärker werdenden Anforderungen.» Florian Willisegger bleibt also in Zukunft gefordert. In der Arbeit. Wie auch in seinem neuen Amt.