Mit Herzblut für die Vereine
19.08.2025 Kelleramt, Vereine, JonenLieber Jonen als Paris
Ein Bauerndorf sei es gewesen. Das sagt Therese Notter über das Jonen ihrer Kindheit. Zum Wandel seither hat sie selbst nicht zu knapp beigetragen. Nicht mal ein Jahr in Paris konnte sie dazu bewegen, ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft zu ...
Lieber Jonen als Paris
Ein Bauerndorf sei es gewesen. Das sagt Therese Notter über das Jonen ihrer Kindheit. Zum Wandel seither hat sie selbst nicht zu knapp beigetragen. Nicht mal ein Jahr in Paris konnte sie dazu bewegen, ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft zu verlegen. --red
«Weisch no»: Therese Notter engagiert sich Zeit ihres Lebens für Jonen
Sie ist Ortsvertreterin der Pro Senectute. Je zehn Jahre lang präsidierte sie die Damen- und die Frauenriege. Dass etwas läuft in Jonen, dass die Leute zusammenhalten, das war Therese Notter immer wichtig. Und es sei umso wichtiger, wenn das Dorf immer mehr wachse und drohe, anonym zu werden.
Annemarie Keusch
Ein Probejahr. Therese Notter muss heute noch darüber lachen. 40 Jahre später. «Es war nicht einfach», blickt sie zurück. 20-Jährige mit über 40-Jährigen – das funktionierte damals in der Damenriege nicht immer gut. Darum sollte eine Frauenriege gegründet werden. «Die Männer meinten, dass sei eine Idee, die nicht lange halte, und zwangen uns zu einem Probejahr», sagt Therese Notter. Die Frauenriege gibt es immer noch. Das freie Turnen jeden Montagabend lässt sie sich nach wie vor nicht nehmen. «Ich bin die Älteste», sagt sie stolz. «Jahrgang 1947.» Sie geniesse die Bewegung, vor allem aber das Miteinander. Und Therese Notter sagt, was im weiteren Gespräch immer wieder deutlich wird: «Ich bin eben ein Vereinli-Mensch.»
Zehn Jahre war sie selbst Präsidentin der Frauenriege, zuvor präsidierte sie bereits ein Jahrzehnt lang die Damenriege. «Das Organisieren lag mir immer», sagt sie. Schliesslich sollte etwas los sein im Dorf. Die Leute sollten zusammenkommen, einander kennenlernen. Es ist das, was Therese Notter am Dorf nach wie vor schätzt: «Hier kenne ich viele Leute. Darum fühle ich mich wohl.» Natürlich seien es vor allem jene, die schon länger hier wohnen. «Aber ich schätze es ungemein, wenn die Leute aus Häusern rundherum sich vorstellen und ich zumindest ihren Namen weiss.» Dass alle einander kennen, das geht nicht mehr. Zu stark ist Jonen gewachsen.
Dorf sei anonymer geworden
Ein Bauerndorf sei es gewesen. Das sagt Therese Notter über damals. Zusammen mit sechs Geschwistern ist sie auf einem Bauernhof aufgewachsen. «Oberhalb des damaligen ‹Löwen›.» 500 Einwohner zählte das Dorf. Fast alle wohnten nahe an der Hauptstrasse, mit Ausnahme weniger Aussenhöfe. «Die ersten Einfamilienhausquartiere entstanden in den 1970er-Jahren in Richtung Oberlunkhofen», erinnert sich Therese Notter. 2357 Einwohnerinnen und Einwohner zählte Jonen per Ende letzten Jahres. «Das Wachstum stört mich nicht. Es ist der Lauf der Zeit», sagt sie. Was sie dagegen stört: «Dass viele einfach hier wohnen, sich aber nicht im Dorf einbringen. Sei es politisch oder in den Vereinen.» So wie sie es über Jahre getan hat und immer noch tut. «Wenn möglich bin ich immer an der ‹Gmeind› dabei.» Und was ihr ebenfalls nicht gefällt: «Wenn die Leute nicht Grüezi sagen. Schliesslich gehört das in einem Dorf dazu.» Das gefalle ihr – damals wie heute.
Trotzdem wollte Therese Notter weg. «Nach Estavayer, ins Institut», sagt sie. Das war der Plan. Ihr Plan. Doch weil ihre Mutter an einer Nervenkrankheit litt, musste sie schon früh daheim anpacken. Als sie aus der Schule kam, erst recht. «Auf den Feldern war ich aber nie gern. Ich genierte mich. Ja, ich war eine richtige Lady damals.» Heute lacht Therese Notter darüber. Einzig Gurken habe sie gerne gepflückt. «Es gab damals im Dorf eine Frau, die Essiggurken einmachte.» Aber in Jonen «versuure», das wollte sie auf keinen Fall. Auf die Handelsschule folgte das, was ihre Augen noch heute zum Strahlen bringt. Ein Jahr als Au-pair in Paris, mitten in der Stadt, «im besten Arrondissement mit Blick auf Seine und Eiffelturm». Üblich sei das damals gar nicht gewesen – erst recht nicht in einer ländlichen Gemeinde. «Auch mein Vater hatte Angst, dass ich meinen Freund in dieser Zeit vergesse.» Das tat sie nicht. Josef wuchs ebenfalls in Jonen auf. Sie heiratete, gründete mit ihrem Mann eine Familie, baute ein Haus, in dem sie immer noch gemeinsam leben.
Im «Löwen» und im «Kreuz» serviert
Von wegen nicht in Jonen «versuure» ... Therese Notter lacht herzhaft. Sie sei gerne zurückgekommen. In ihr Dorf. Zu ihrem späteren Mann. Dass sie in Jonen bleiben, sei vor allem ihrem Mann wichtig gewesen. «Er hätte nicht einmal in Oberlunkhofen wohnen wollen», meint sie schmunzelnd. Und auch wenn sie nur ein Jahr weg war vom Dorf, sagt sie: «Wer nie weggeht, ist anders, sturer vielleicht.» Diesen Aussenblick, sie habe ihn immer gehabt. «Auch weil mich das Geschwätz im Dorf, das Gerede übereinander nie interessierte.» Obwohl sie als Service-Angestellte so einiges erfuhr. Die Restaurants im Dorf, in denen sie einst servierte, gibt es nicht mehr. Den «Löwen», das «Kreuz». «Auch das ist der Lauf der Dinge.» Therese Notter siehts pragmatisch, ohne viel Emotionen. «Es gibt ja immer noch Restaurants, wo die Leute hingehen können.» Und schliesslich gefalle es ihr in Jonen. Die Anbindungen an den öffentlichen Verkehr seien bestens. Die Natur rund um das Dorf. Und eben, das Miteinander.
Das lebte sie Zeit ihres Lebens im Verein. Oder in ihrem Fall: die Vereine. Der Turnverein stand und steht über allem. Kurzzeitig sang sie auch im Kirchenchor. Nach wie vor ist sie bei den Landfrauen dabei. «Früher waren es die Vereine, dank denen wir in den Ausgang und auf Reisen gehen konnten», erinnert sie sich. Heute sei das anders. «Früher war es sicher einfacher für die Vereine. Die Welt war viel kleiner. Wer in Jonen lebte, verbrachte auch seine Freizeit hier und mit den Menschen, die hier lebten.» Zwischenzeitlich habe sie sich Sorgen gemacht. Darüber, dass sich niemand mehr verpflichte, sich engagiere. «Mittlerweile gibt es wieder Junge, die mit viel Einsatz dabei sind.» Beispielsweise auch eine ihrer Enkeltöchter. Das «Vereinli-Gen» hat sie also weitergegeben. Wobei, ganz abgegeben hat sie es nicht. Seit 15 Jahren ist Therese Notter Ortsvertreterin der Pro Senectute. Wer dies wünscht, wird am 75. Geburtstag von ihr besucht und erhält Informationen über die Institution. «Einmal kündigte ich einen solchen Besuch telefonisch an. Bei jemandem, den ich nicht kannte», erzählt sie. «Aber er kannte mich und meinte: ‹Wer kennt Sie nicht, Frau Notter›.» Sie lächelt.
«Weisch no»
In der diesjährigen Sommerserie «Weisch no» treffen sich Redaktoren und Redaktorinnen mit Menschen, die (fast) ihr ganzes Leben im gleichen Dorf verbracht haben, und sprechen mit ihnen darüber, wie es in ihrem Dorf früher ausgesehen hat, welche Erinnerungen an die alten Zeiten sie haben, was sie allenfalls vermissen, was heute vielleicht besser ist als früher und vielerlei mehr.