«Man muss halt reden miteinander»
08.08.2025 Wohlen, EinwohnerratDer Einwohnerrat Wohlen wurde vor 60 Jahren lanciert und etabliert
Das Wohler Dorfparlament steckt mitten in einem Jubiläumsjahr. Vor 60 Jahren entschied sich das Stimmvolk dafür, den politischen Prozess mit einem Einwohnerrat zu lenken. Ein guter Entscheid ...
Der Einwohnerrat Wohlen wurde vor 60 Jahren lanciert und etabliert
Das Wohler Dorfparlament steckt mitten in einem Jubiläumsjahr. Vor 60 Jahren entschied sich das Stimmvolk dafür, den politischen Prozess mit einem Einwohnerrat zu lenken. Ein guter Entscheid – obwohl sich das Dorfparlament zwischendurch auch Kritik stellen muss. Ein Rückblick auf die Entstehung.
Daniel Marti
Die Gemeinde Wohlen stand in der ersten Reihe, als im Kanton Aargau Einwohnerräte eingeführt wurden. Neben Wohlen zählen Zofingen, Wettingen, Neuenhof und Brugg zu den Gemeinden, die ab dem Jahr 1966 über einen Einwohnerrat verfügten.
Die massgeblichen Entscheide fielen bereits im Jahr 1965. Am 24. Mai 1965 stimmte das Wohler Volk über die Einführung eines Einwohnerrates ab. Das Resultat war äusserst knapp: 943 Ja zu 918 Nein, lediglich 25 Stimmen Unterschied. Am 8. Juni 1965 wurde an der «Gmeind» die Gemeindeordnung angepasst – unter der Führung des damaligen Gemeindeammanns Karl Albert Kuhn, nur Kak genannt, der eigentlich ein Gegner des Einwohnerrates war. Aber als Basisdemokrat respektierte der CVP-Politiker natürlich den Volksentscheid.
18 Flugblätter und 83,9 Prozent Stimmbeteiligung
Am Sonntag, 5. Dezember 1965, wurde der erste 40-köpfige Einwohnerrat gewählt. Erst am Montagmorgen standen die Ergebnisse fest. Von Mai bis Dezember vor 60 Jahren beschäftigte also das Dorfparlament Herr und Frau Wohlen.
Und am 10. Januar 1966 versammelten sich die 40 Mandatsträger, alles Männer, im Casino zur Einwohnerratspremiere. Dies nach einem intensiven Wahlkampf. In nicht weniger als 18 Flugblättern wurden damals die Qualitäten der künftigen Parlamentarier dargelegt.
Und die ersten Einwohnerratswahlen waren ein echtes Highlight. Vor allem, was die Stimmbeteiligung betrifft. Diese lag bei rekordverdächtigen 83,9 Prozent. Von 2434 Stimmberechtigten legten deren 2043 Personen ihren Wahlzettel in die Urne.
Theo Burkard und FDP vorne
Die erste Nummer eins war die FDP mit elf Mandaten. Gefolgt von der Katholisch-Konservativen Partei mit neun Sitzen. Die Christlich-Soziale Partei (CSP) gewann fünf Sitze. Ebenfalls fünf Sitze holte die SP. An die Unabhängige Wählergemeinschaft Wohlen-Anglikon gingen vier Mandate. Die Freien und parteilosen Wähler (3 Sitze), die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei, heute SVP (2 Sitze), und die Liste des Überparteilichen Anglikon (1 Sitz) komplettieren den ersten Einwohnerrat.
Die Katholisch-Konservative Partei und die Christlich-Soziale Partei wurden dann später zur CVP. Zusammen kamen sie im ersten Einwohnerrat auf 14 Sitze. Die erste Besetzung des Einwohnerrates wies etliche Persönlichkeiten auf. Es sind hier nur einige erwähnt: Rudolf Isler, der spätere Gemeindeammann Rudolf Knoblauch, Emil Külling, Oskar Rohner, Anton Wohler, Hans Wyder (alle von der FDP), Willy Bächer, Otto Braunwalder, Bruno Fontana, Paul Kuhn, Kasimir Meyer, Otto Notter, Paul Weisshaupt, Herbert Koch, der spätere Gemeinderat Viktor Kuhn oder Guido Muntwyler, der Gründer des Circus Monti (alle Katholisch-Konservative und Christlich-Soziale). Persönlichkeiten waren natürlich auch der erste Einwohnerratspräsident Theo Burkard (FDP) und der erste Vizepräsident Alois Lütolf (Christlich-Soziale).
Die ersten Frauen erst ab 1974 im Rat
Die beiden ersten Amtsperioden waren reine Männerangelegenheiten. Irgendwie logisch, denn das Frauenstimmrecht wurde ja erst 1971 eingeführt. Hilda Bigler, Ruth Weber-Michel und Anna Wetter-Steinmann waren dann ab 1974 die ersten Frauen im Wohler Einwohnerrat.
Heute nehmen 13 Frauen im Dorfparlament Einsitz. Immerhin. Bis auf die FDP sind sämtliche Parteien mit mindestens einer Frau im Parlament vertreten. Bis die erste Frau das Dorfparlament präsidieren durfte, benötigte es noch etwas Geduld. In den Jahren 1982 und 1983 amtete Annemarie Schaffner (FDP) aus Anglikon als erste Einwohnerratspräsidentin. Danach herrschte für die Frauen eine lange Pause. Erst in den Jahren 2012 und 2013 war die nächste Frau an der Reihe, Marlis Spörri (SVP) wurde zur höchsten Wohlerin gewählt. Gefolgt von Ariane Gregor (damals CVP), die im Jahr 2015 als Einwohnerratspräsidentin an vorderster Front das 50-Jahr-Jubiläum des Dorfparlaments feiern durfte. Und die nächste Frau steht praktisch in den Startlöchern. Julia Frischknecht (Grünliberale) ist zurzeit Vizepräsidentin und sollte – sofern alles planmässig verläuft – das Einwohnerratspräsidium im nächsten Jahr übernehmen.
Abschaffung: Einziger Versuch scheiterte
Und die schweren Zeiten? Die gab es für den Einwohnerrat immer wieder. Wenn das Dorfparlament am Volk vorbeipolitisierte und allfällige Entscheide durch das Stimmvolk bei Referendumsabstimmungen korrigiert wurden, kamen immer wieder kritische Stimmen auf. Man könne den Einwohnerrat gleich abschaffen, wurde dann moniert.
Konkret wurde dies nur einmal. Im Jahr 1977 war Arnold Widmer mit dem Dorfparlament nicht mehr einverstanden. Widmer, gewählt auf der Liste der Freien und parteilosen Wähler, wollte den Einwohnerrat wieder abschaffen. Er lancierte eine Initiative, die knapp angenommen wurde. Dagegen wurde die vom Gemeinderat ausgearbeitete Vorlage vom Stimmvolk grossmehrheitlich abgelehnt. Die Abschaffung war damit vom Tisch – bis heute.
Zehn Dorfparlamente im Aargau
Andere Gemeinde verzichteten dagegen auf ihr Dorfparlament. Spreitenbach, Suhr und Neuenhof schafften das Kommunalparlament relativ rasch wieder ab. 1989 gingen Aarburg und Oftringen auch in diese Richtung. Und seit 1974 führte keine Gemeinde mehr einen Einwohnerrat ein. Derzeit kennen zehn Aargauer Gemeinden einen Einwohnerrat. Dies sind: Aarau, Baden, Brugg, Buchs, Lenzburg, Obersiggenthal, Wettingen, Windisch, Wohlen und Zofingen.
Die ideale Form
Zurück zum Wohler Dorfparlament. Dieses wurde beim 50-jährigen Bestehen gross gefeiert. Am 14. Dezember 2015 überbrachte Regierungsrat Stephan Attiger die Grüsse der Aargauer Regierung in die Kanti, wo die Feier stattgefunden hat. Und die damalige Einwohnerratspräsidentin Ariane Gregor lobte das Dorfparlament mit der passenden Würdigung: «Der Einwohnerrat für eine Gemeinde mit Zentrumsfunktion ist die ideale Form für die Abwicklung der Gemeindegeschäfte, denn viele Geschäfte sind komplex und umfassend.»
Und der richtige Ratschlag geht auf die Gründung des Einwohnerrates zurück. Der damalige Gemeindeammann Karl Albert Kuhn, der grosse Skeptiker betreffend Dorfparlament, hoffte vor 60 Jahren auf eine gute Zusammenarbeit. «Man muss halt reden miteinander», mahnte er. Sein Hinweis hat heute noch ihre Gültigkeit.
«Demokratisches Rückgrat»
Gemeindeammann Arsène Perroud
An der Spitze des Einwohnerrates und des Gemeinderates zu stehen, das hat bisher nur Arsène Perroud (SP) geschafft. In den Jahren 2010 und 2011 war er Einwohnerratspräsident. Und seit 2018 amtet Perroud als Gemeindeammann. Wie schätzt er die Bedeutung des Dorfparlaments ein?
Arsène Perroud: «Der Einwohnerrat ist das demokratische Rückgrat unserer Gemeinde. Als Gemeindeammann ist mir der Austausch mit dem Parlament wichtig. Es werden mehrheitsfähige Lösungen gesucht und die politische Kultur Wohlen kommt zum Ausdruck.» Aus seiner Zeit als Einwohnerratspräsident habe er viele spannende und konstruktive Debatten mitnehmen dürfen. «Es gab hitzige Diskussionen und überraschende Allianzen. Es sind diese Momente, in denen Politik konkret wird – nah an den Menschen, geprägt vom Willen, gemeinsam Lösungen zu finden. Der Einwohnerrat bringt unterschiedliche Sichtweisen zusammen. Gerade darin liegt seine Stärke.» Denn Wohlen sei vielfältig, und Wohlen brauche eine Politik, «die diese Vielfalt ernst nimmt und gestaltet». --dm