In der Schule hat sich viel verändert
25.08.2023 Region Unterfreiamt, VillmergenSommerserie «Gegensätze»: Junglehrerin Jessica Cadisch und der erfahrene Lehrer Stefan Peterhans
Beide unterrichten an der Schule Villmergen: Er seit vielen Jahren an der Sekundarschule, sie seit wenigen Tagen erst am Kindergarten. Im Gespräch merken ...
Sommerserie «Gegensätze»: Junglehrerin Jessica Cadisch und der erfahrene Lehrer Stefan Peterhans
Beide unterrichten an der Schule Villmergen: Er seit vielen Jahren an der Sekundarschule, sie seit wenigen Tagen erst am Kindergarten. Im Gespräch merken beide, wie ähnlich sie denken. Trotz unterschiedlicher Ausbildung, Jahrgang und Erfahrung.
Chregi Hansen
Als Stefan Peterhans zu Beginn des Gesprächs von seinem allerersten Arbeitstag an der Sekundarschule Sarmenstorf erzählt, bekommt Jessica Cadisch grosse Augen. «Am letzten Schultag vor den Sommerferien wurde ich aufgeboten und traf den Rektor und den Schulpflegepräsidenten. Die drückten mir den Schlüssel in die Hand, die Schülerliste mit 29 Namen und einen leeren Stundenplan. Ich solle ihn ausfüllen und dem Rektor ins Fächlein legen. Danach verabschiedete sich das ganze Kollegium in die Ferien und ich stand allein im Schulhaus und habe die Lehrmittel zusammengesucht», erinnert sich Peterhans.
Er sei damals voll ins kalte Wasser geworfen worden, fügt er noch an. 30 Jahre ist das jetzt her. «Krass», findet die junge Kollegin. Sie hat erst vor wenigen Tagen ihre erste Stelle am Kindergarten angetreten. Kommt frisch ab Studium nach Villmergen. Hier wurde sie mit offenen Armen empfangen. «Eigentlich war ich der Meinung, ich müsste mich jetzt an verschiedenen Schulen bewerben», erzählt die 23-Jährige. «Aber es war fast schon umgekehrt. Die Schulen haben sich bei mir beworben und sich von ihrer besten Seite präsentiert.» Schon beim Bewerbungsgespräch wurde ihr alles genau erklärt, und vor dem Start nach den Ferien sei sie vom Team mit offenen Armen empfangen worden. Was für ein Gegensatz zu früher. «Da hatte es viele alte Lehrer und es existierte eine klare Hierarchie. Als junger Lehrer hast du an den Sitzungen die ersten Wochen geschwiegen», erzählt Peterhans.
Sich genug Zeit nehmen
Seit über 30 Jahren ist er Lehrer, seit 3 Jahren in Villmergen. Immer Vollzeit. «Ich wollte nie etwas anderes machen», sagt er. Jessica Cadisch teilt sich ihre Stelle mit einer Kollegin. «Ich habe grossen Respekt vor diesem Beruf. Ich habe in den Praktika gesehen, was es alles braucht. Wie viel Zeit die Vorbereitung benötigt. Ich wollte mich nicht unter Druck setzen und gleich 100 Prozent arbeiten, sondern genug Zeit haben, mich auf meine Aufgaben vorzubereiten», erklärt sie. Sie könne sich das leisten, weil sie noch bei ihren Eltern in Seon lebt. Dafür, dass viele junge Lehrpersonen nur Teilzeit arbeiten, hat Peterhans durchaus Verständnis. «Der Beruf beinhaltet viel, auf das einen niemand vorbereitet. Zum Beispiel die Elternarbeit», sagt er. Genau davor hat auch Cadisch Respekt.
Viel hat sich verändert in der Bildung. «Als ich anfing, gab es nur mich und mein Klassenzimmer. Keine Fachlehrer, keine Schulsozialarbeit, keine Heilpädagogen, kein Internet und kein Internet-Tool bei der Elternarbeit. Wenn ich die Eltern informieren wollte, musste ich den Schülern eine Nachricht mitgeben», schaut Peterhans zurück. Er tut dies ohne Wehmut. Er schätzt die Veränderungen. Gerade auch die Tatsache, dass heute mehr im Team gearbeitet wird. Genau dies hebt auch die junge Kollegin positiv hervor. «Ich habe sehr hohe Ansprüche an mich selbst. Ich würde mich vermutlich in vielen Kleinigkeiten verlieren, wenn ich allein unterrichten würde. Es ist schön, wenn man sich austauschen kann», sagt Jessica Cadisch, die sich eine Stelle mit einer Kollegin teilt.
Erst in der Praxis lernt man, worauf es ankommt
Sie hat mit 16 Jahren angefangen, als Trainerin mit dem Turnernachwuchs zu arbeiten. «Da habe ich gemerkt, die Arbeit mit Kindern mag ich. Das liegt mir. Darum bin ich Lehrerin geworden.» Stefan Peterhans hingegen stammt aus einer Lehrerfamilie, für ihn ist das Unterrichten fast Berufung. «Eigentlich wollte ich später noch Chemie studieren. Aber mir hat es als Lehrer gefallen.» Er wird vermutlich auch als Lehrer pensioniert werden. Zwar hatte er sich schon für die Ausbildung zum Schulleiter angemeldet, «aber dann habe ich gemerkt, wie sehr ich es mag, vor der Klasse zu stehen. Darum habe ich es sein lassen.» Bei Jessica Cadisch klingt es anders. Sie hat zwar das Gefühl, den richtigen Beruf ergriffen zu haben, aber ob sie ihm ein Leben lang treu bleibt, das kann sie nicht sagen. «Ich denke schon, dass ich noch die eine oder andere Weiterbildung mache. Etwa als Logopädin», sagt sie.
Sie hat ihre Ausbildung bewusst im Kanton Zürich absolviert, weil sie dort mehr Praktika hatte. «Dabei lernt man am besten, worauf es ankommt», ist sie überzeugt. Sie habe die vielen Feedbacks geschätzt, die sie bekommen hat. «Bei uns hiess es damals: Gehet hin und kämpft», lacht ihr Gegenüber. In sein erstes Lager fuhr er allein mit 20 Sekschülern. «Heute wäre so was nicht mehr möglich», weiss der zweifache Vater. Cadisch zeigt sich davon beeindruckt. Peterhans winkt ab. «Wenn ich sehe, wie die Kindergarten-Lehrpersonen mit diesen Kleinen in einer Reihe der Strasse langlaufen müssen, dann habe ich Respekt. Das könnte ich nicht», sagt er.
Von wegen 13 Wochen Ferien
Der gegenseitige Respekt, er ist spürbar in diesem Gespräch. Obwohl beide an der Schule Villmergen angestellt sind, sehen sie sich heute zum ersten Mal. Schnell kommt das Gespräch auf Themen wie Elternarbeit, die unterschiedlichen Kulturen der Kinder, den Lohn und die Arbeitszeit. «Ich bin froh, dass die Kindergarten-Lehrpersonen heute die gleiche Ausbildung machen. Dann haben wir hoffentlich bald gleiche Löhne», sagt Peterhans, den die Unterschiede an den verschiedenen Stufen schon lange ärgern. Der Lohn ist allerdings für Cadisch noch nicht entscheidend. Sonst hätte sie sich auch im Kanton Zürich bewerben können. «Wichtiger ist mir, an einer Schule tätig zu sein, die modern ist, in der man füreinander schaut und wo die Zusammenarbeit gut klappt. Und wo man auch mal ein Lob erhält», sagt die Seonerin.
Beide ärgern sich über das Bild in der Öffentlichkeit, dass Lehrer wenig arbeiten, viel Ferien haben und gut verdienen. «Wir haben nicht 13 Wochen Ferien», macht Peterhans deutlich, «sondern eine Jahresarbeitszeit. Und der Lohn hat auch mit der Verantwortung zu tun, die wir haben.» Schliesslich könne immer etwas passieren, beispielsweise auf der Schulreise. «Wir haben eine wichtige Funktion. Wir helfen jungen Menschen auf ihrem Weg ins Leben. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe», ergänzt Cadisch.
Technik macht vieles einfacher
Die technischen Möglichkeiten heute schätzen beide. «Theoretisch könnten wir die Schüler heute auch zu Hause unterrichten. Aber mir ist es wichtig, sie persönlich zu sehen», sagt Peterhans. Auch Cadisch könnte sich Homeschooling nicht vorstellen. «Ich hatte das fast das ganze erste Jahr an der Pädagogischen Hochschule. Mein Lernfortschritt war sicher geringer», sagt sie. Die Schule müsse prinzipiell vor Ort stattfinden, sind beide überzeugt. Aber zum Vorbereiten von Lektionen oder zum Einsatz im Unterricht seien die digitalen Mittel von grossem Wert. «Ich musste während des Studiums an der HPL noch Bücher aus der Bibliothek holen zum Lernen», lacht Peterhans. Cadisch hingegen beherrscht die heutigen digitalen Möglichkeiten aus dem Effeff. «Ich muss eher aufpassen, dass ich mir auch Pausen gönne und nicht ständig erreichbar bin.»
Auch die Tatsache, dass heute viel mehr Menschen an der Schule arbeiten, schätzen beide. «Es läuft so enorm viel im Klassenzimmer, es braucht Unterstützung, sonst ist man nur ständig bemüht, allfällige Probleme zu lösen, und kommt nicht mehr zum Unterrichten», ist die Lehrerin überzeugt. Schliesslich treffen hier Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen aufeinander. Auch Peterhans ist froh um Angebote wie die Schulsozialarbeit oder die Schulinsel. «Was mache ich, wenn ein Mädchen morgens weinend in die Schule kommt? Ich kann ja nicht die Klasse allein lassen und mich um sie kümmern», sagt er. Er weiss noch, wie es früher war. Da war man allein mit den Kindern, die Tür zu. «Wer weiss, was da alles passiert ist.» Heute sei die Tür zu seinem Klassenzimmer immer offen. Und möchte Peterhans nicht mehr zurück in die Zeit der Einzelkämpfer.
Politische Entscheidungen mitschuldig am Lehrermangel
Der Lehrermangel beschäftigt beide. Auch Cadisch weiss, dass viele Junge dem Beruf nicht treu bleiben. «Wir in der Schweiz haben das Privileg, dass wir uns ständig weiterbilden können. Ich kann daher nicht ausschliessen, dass ich noch etwas anderes mache», sagt sie. Seklehrer Peterhans hat durchaus Verständnis, dass Junge die Schule wieder verlassen. «Gute Fachleute verlieren ist immer schlimm. Wichtig ist aber, dass ein Kern des Kollegiums bleibt.» Dies sei ein Zeichen, dass die Schule funktioniert. Wo das nicht der Fall sei, da gelte es hinzuschauen. Dass viele den Beruf wieder verlassen, habe auch mit politischen Entscheidungen zu tun. Cadisch weiss aus vielen Gesprächen, dass etliche auch gehen, weil sie mit der Belastung nicht klarkommen. Weil es eben kein Schoggi-Job ist. «Es gab Lehrer, die haben mir abgeraten, den Beruf zu ergreifen.»
«Bleib so, wie du bist»
Seklehrer Stefan Peterhans und Kindergartenlehrerin Jessica Cadisch haben sich heute zum ersten Mal gesehen. Auch wenn sie ganz unterschiedliche Ausbildungen hinter sich haben, so eint sie die grosse Motivation, mit Kindern zu arbeiten und sie ein Stück auf ihrem Weg zu begleiten. Und was rät der ältere Lehrer der jungen Kollegin? «Ich spüre deine Freude und Motivation für den Beruf. Ich hoffe, dass du vor allem das Schöne siehst und ein Gespür entwickelst für die dir anvertrauten Kinder», sagt er. Zudem brauche es eine gewisse Portion Gelassenheit. Und umgekehrt? «Ich konnte erfahren, dass du als schon älterer Lehrer sehr modern denkst. Ich hoffe, du kannst das behalten», sagt Cadisch. Es sei vor allem wichtig, sich der technischen Entwicklung nicht zu verschliessen, «denn dann kommt man auch an die jungen Menschen heran». Und beide versichern, dass sie den grössten Respekt vor dem anderen haben. Und sich auf ein Wiedersehen freuen an einem Schulanlass.