Erkenntnisse aus der Ferne
11.06.2025 Region Unterfreiamt, Sarmenstorf, BücherDer Sarmenstorfer Stefan Heeb hat das Buch «Wir und der Westen» veröffentlicht
Der Westen sah sich selbst während Jahrhunderten als die treibende Kraft dieser Erde. Doch die Welt verändert sich. Darum, so Stefan Heeb, «müssen wir uns die ...
Der Sarmenstorfer Stefan Heeb hat das Buch «Wir und der Westen» veröffentlicht
Der Westen sah sich selbst während Jahrhunderten als die treibende Kraft dieser Erde. Doch die Welt verändert sich. Darum, so Stefan Heeb, «müssen wir uns die Frage stellen, was der Westen eigentlich ist und wie wir zu ihm stehen.» In seinem Buch sucht er nach Antworten.
Chregi Hansen
Aufgewachsen als Kind im beschaulichen Freiamt, hat es ihn schon früh hinaus in die Welt gezogen. Nach der Matur arbeitete Stefan Heeb während zwei Jahren als Flight Attendant, weil er etwas sehen wollte von der Welt. Studiert hat er später in Genf, weil er glaubte, da an der weiten Welt teilnehmen zu können. Bereits zu Kantizeiten hatte er ein Austauschjahr in Venezuela verbracht (und im «Wohler Anzeiger» davon berichtet). Später verbrachte er zwei Sommer in Russland, dazu einiges an Zeit in China und zuletzt fünf Jahre in Japan. «Ohne mir dessen bewusst zu sein, habe ich mich quasi immer weiter vom Westen entfernt im Versuch, seine Grenzen und sein Ausmass zu erfassen», sagt er heute. Der Kontakt mit dem fernen Osten habe ihm auch die Grenzen des Westens aufgezeigt.
20 Jahre nachdem er damals die Deutschschweiz verlassen hat, ist Stefan Heeb wieder hierher zurückgekehrt. Zusammen mit seiner Familie lebt er heute in Zürich. Regelmässig zieht es ihn wieder in das Freiamt. Er besucht seine Mutter, die immer noch in Sarmenstorf lebt. Oder auch Freunde von früher, mit denen er verbunden geblieben ist. Doch die Zeit im Osten, sie hat ihn geprägt. Und seinen Blick auf den Westen verändert. «Alle reden immer vom Westen, als sei dies eine Einheit. Dabei ist er das nicht unbedingt», sagt Heeb.
Den Sachen auf den Grund gehen
Der Westen sei schwer fassbar, was daher rühre, dass er zwar das vielleicht einflussreichste Gebilde sei, das es je gegeben hat, aber doch keine klar fassbare Einheitlichkeit habe. Und das habe Auswirkungen. Gerade auch für die Schweiz. «Alle grösseren Fragen hängen für die Schweiz damit zusammen, wie wir zum Westen stehen.» Dazu würden auch die Grundannahmen gehören, ob «der Westen» wirklich die Guten seien und wir mit unserer Ausrichtung zum Westen auch automatisch dazugehören würden.
Stefan Heeb macht sich viele Gedanken. Und will den Sachen auf den Grund gehen. Schon als Student. Heeb hat verschiedene Bachelor- und Master-Abschlüsse in Soziologie, Philosophie (mit Russistik) sowie Asienwissenschaften (Sinologie und Japanologie). «Ich habe in verschiedenen Fakultäten und Programmen studiert, das war schon etwas aussergewöhnlich», sagt er heute. Er hat in sechs Jahren Vollzeitstudium ein Programm absolviert, für das man im Normalfall elf Jahre benötigt. Dahinter steckte kein Plan, eins habe einfach zum anderen geführt. «Ich habe jedes Semester das interessantestmögliche Programm zusammengestellt, am Anfang noch ohne klare Vorstellung», erklärt er. Zuletzt war er mehrere Jahre als Professor an einer japanischen Universität tätig. Nun will er als Autor, Forscher, Dozent und Berater in der Schweiz tätig sein. Das Buch sieht er auch als eine Art Eintritts- und Visitenkarte. «Ich war so lange weg, mich kennt man hier noch nicht. Ich muss erst neue und alte Verbindungen aufbauen.»
Zeichnet Entwicklung des Westens nach
Ein gutes halbes Jahr lang hat er an seinem ersten Buch geschrieben. «Das hatte für mich Priorität», sagt er. In «Wir und der Westen (und die Welt)» stellt Stefan Heeb die Frage nach dem Westen. Er zeichnet die Entwicklung dieser so umfassenden wie unfassbaren Zivilisation nach und geht auf die drängenden Aspekte des Westens als zeitgenössisches Gebilde in einer sich wandelnden multipolaren Weltordnung ein. Dazu stellt er die Frage, wohin der Weg der Zukunft führt. Auf knapp 350 Seiten geht er auf die Historie ein, das antike Griechenland oder das Römische Reich, aber auch auf den Umstand, dass der Westen erst in den letzten paar Hundert Jahren zu seiner Dominanz gekommen ist. «Noch vor fünfhundert Jahren stellten die Westeuropäer einen Bruchteil der wirtschaftlichen und politischen Wichtigkeit der indischen und chinesischen Zivilisationen. Asien mit den beiden Riesen China und Indien war lange Jahrhunderte im Zentrum der Weltwirtschaft gestanden. So gesehen ist die Verschiebung des geopolitischen Schwerpunktes zurück nach Asien nichts anderes als ein Zurückbewegen in alte Gleichgewichte.»
Er selbst sei in einer Zeit der sogenannten «liberalen internationalen Weltordnung» gross geworden, die auch die Zeit der uneingeschränkten westlichen Vorherrschaft gewesen ist. Der Westen sah sich als Mass aller Dinge. Dieser «unipolare Moment» sei aber vorbei, und die Welt werde multipolarer. Heeb zeigt aber auch auf, dass viele Vorstellungen im Westen ein Trugschluss sind. Zum Beispiel die Selbstdarstellung als einziger Hort von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten – dabei lohne es sich durchaus, genauer hinzuschauen, ob dies tatsächlich zutrifft. Abgesehen vom zeitgenössischen Politischen wurde ihm während der vielen Jahre in Asien bewusst, dass es auch in Bezug auf tiefere Weltanschauungen noch anderes gibt. «Hier hat man zum Teil andere Vorstellungen von der Welt», sagt er.
Einfluss ist allgegenwärtig
Heeb stellt in seinem Buch Fragen und liefert viele Antworten. Und er fordert auch die Schweiz auf, sich Gedanken zu machen über ihre künftige Rolle. Der vom Westen ausgehende Einfluss ist hier allgegenwärtig – zu jeder Zeit und beinahe überall. Andererseits sei der Westen kein offensichtlich einheitliches und geschlossenes Gebilde, gibt Heeb zu bedenken. Weder geografisch, gesellschaftlich, sprachlich noch politisch. «In langem und intensivem Suchen bin ich bisher keiner überzeugenden Antwort auf die Frage nach dem Westen begegnet. Doch nicht nur eine Antwort auf die Frage fehlt. Auch die Frage selbst wird kaum gestellt. Gibt es ein Problem mit ihr, oder ergibt sie womöglich keinen Sinn?», schreibt er in seinem Buch.
Geprägt von Heidi, Schokolade und Käse
Der Sarmenstorfer ist überzeugt, dass die Schweiz in Zukunft eine wichtige Rolle spielen kann. Dafür sei es aber nötig, sich nicht einseitig auf eine Seite zu schlagen, sondern den Westen als einen Pol unter mehreren zu sehen.
Und um das Spannungsfeld zwischen Einheit und Unterschiedlichkeit zu erkennen, müsse man gar nicht weit reisen. «Allein schon zwischen Deutschund Westschweiz gibt es grosse Unterschiede», weiss der Autor, der lange in Genf gelebt hat. Und wie sehen die Asiaten die Schweiz? «Überwiegend positiv», sagt Stefan Heeb. Aber das Bild sei manchmal auch geprägt von Klischees wie Heidi, Schokolade und Käse.
Doch für wen ist das Buch gedacht? «Für jeden, der sich für diese Fragen und Themen interessiert», sagt der 42-Jährige. Das Buch verstehe er als Panorama der uns umgebenden Lebenswelten und Weltanschauungen. Und darin sei «der Westen», und unser Bezug zu ihm, eben zentral. Er habe bewusst kein wissenschaftliches Werk verfasst, sondern den Text so formuliert, dass er möglichst für alle verständlich ist. Diese Arbeit war ihm eine Herzensangelegenheit – nun will er sich daran machen, die nächsten beruflichen Schritte zu unternehmen. Ziel sei es, weiterhin selbstständig zu bleiben und verschiedene Mandate und Aufträge in Forschung, Unterricht und Ähnlichem zu übernehmen.
«Ich hatte das Glück, dass ich ganz Vieles studieren durfte. Ab jetzt möchte ich gern zur Schweiz beitragen, und, ja, der Gesellschaft auch etwas zurückgeben», erklärt Stefan Heeb zum Schluss.
Wir und der Westen (und die Welt). Infos und Bestellung unter www.sjh-xgd.ch.