Zwischen Sternenstaub und Glauben
22.08.2025 Berikon, MutschellenDas «Wie» und «Warum»
Vortrag vom Pfarrei Forum St. Mauritius
Astrophysikerin Kathrin Altwegg und Theologe Michael Jablonowski zeigten in Berikon, wie Wissenschaft und Glaube einander bereichern können.
...Das «Wie» und «Warum»
Vortrag vom Pfarrei Forum St. Mauritius
Astrophysikerin Kathrin Altwegg und Theologe Michael Jablonowski zeigten in Berikon, wie Wissenschaft und Glaube einander bereichern können.
Wie alt ist das Universum wirklich – und warum sind wir Menschen darin kaum mehr als ein Wimpernschlag? Warum leuchten Sterne heller, je älter sie werden – und weshalb wird die Erde spätestens in 600 Millionen Jahren unbewohnbar? Solche und viele weitere Fragen standen im Zentrum eines besonderen Abends in Berikon.
Wissen mit Humor vermittelt
Astrophysikerin Kathrin Altwegg, die an der berühmten Rosetta-Mission beteiligt war, führte in das Geheimnis des Weltalls ein. Gemeinsam mit Theologe Michael Jablonowski nahm sie die zahlreichen Gäste mit auf eine Reise von den Anfängen des Kosmos bis zur Hoffnung auf Ewigkeit. Staunen, Nachdenken und auch Humor hatten Platz. Ein Abend, der zeigte: Wissenschaft und Glaube sind keine Gegner – sie stellen nur unterschiedliche Fragen. --sab
Spannender Vortragabend in Berikon mit der Astrophysikerin Kathrin Altwegg
Die Aula in der KSM ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die interessierten Vortragsteilnehmenden wollen hören, wie eine Astrophysikerin und ein Theologe ins Gespräch über die grossen Fragen des Lebens treten. Eingeladen hat das Pfarrei Forum St. Mauritius – und es wurde ein Abend voller Staunen, Nachdenken und spannender Erkenntnisse.
Sabrina Salm
«Stellen Sie sich vor, Sie seien die Assistenz vom Herrgott», beginnt Kathrin Altwegg, Astrophysikerin und ehemalige Direktorin des «Center for Space and Habitability (CSH)» der Universität Bern. Mit dieser Vorstellung nimmt sie die Zuhörenden mit auf eine Reise an den Ursprung des Universums. Der göttliche Auftrag: herausfinden, wie sich das «Experiment Mensch» entwickelt hat. Doch bevor die Assistentin zu Gott zurückkehrt, macht sie einen Exkurs in die Vergangenheit – zum Urknall, vor 13,8 Milliarden Jahren. Dort begann alles: Zeit, Raum und Materie. «Doch sich das wirklich vorzustellen, sprengt jede Dimension unseres Denkens», weiss Altwegg, die als Projektleiterin des Massenspektrometers ROSINA, das an Bord der ESA-Raumsonde Rosetta den Kometen «Chury» vermessen hat, tätig ist.
Werden, Sein, Vergehen
Um den Zuhörenden eine Vorstellung zu geben, quetscht sie die gesamte kosmische Geschichte in ein einziges Kalenderjahr. «Am 1. Januar, kurz nach Mitternacht, wäre demnach der Urknall. Im Februar die ersten Sterne, im März die Milchstrasse.» Erst Mitte August entsteht das Sonnensystem, im September folgen Einzeller, im November Mehrzeller. Im Dezember wird es rasant: am 17. Dezember das erste Wirbeltier, am 20. Dezember die ersten Vierbeiner. An Heiligabend treten die Dinosaurier auf und am 31. Dezember schliesslich lernen Affen um 21.45 Uhr aufrecht zu gehen, um 22.48 Uhr erscheint das erste menschenähnliche Lebewesen. Und sechs Minuten vor Mitternacht endlich der Homo sapiens. «Unsere Hochkulturen? Die Schrift wurde 15 Sekunden vor Mitternacht erfunden. Und eine Sekunde vor Mitternacht entdeckte Kolumbus Amerika», sagt Altwegg. Dann lächelt sie: «Wir Menschen existieren also gerade einmal sechs Minuten.»
Für Altwegg ist der Mensch deshalb keineswegs die «Krone der Schöpfung». Vielmehr sei er «ein Staubkorn in der Wüste oder ein Augenblick in der Ewigkeit». Werden, Sein und Vergehen gelten für Galaxien, Sterne, Planeten – und auch für den Menschen. «Wenn wir Glück haben, überleben wir fünf Tage wie die Dinosaurier», erklärt sie mit einem Augenzwinkern. «Aber wenn wir so weitermachen, wäre ich schon froh, wenn es nochmals sechs Minuten werden.» Denn die Menschheit beschleunige den Klimawandel. «Aufhalten können wir ihn jedoch nicht.» In rund 600 Millionen Jahren werde die Erde ohnehin unbewohnbar, weil die Sonne immer heller wird. Und in fünf Milliarden Jahren wird sie sich zu einem roten Riesen aufblähen und die Erde verschlingen. «Doch auch dann geht es weiter: Aus unseren Atomen können neue Sterne und Planeten entstehen. Wir sind tatsächlich Sternenstaub.»
Wissenschaft und Religion – kein Gegensatz
Die Weltraumforscherin ist eine Ikone in ihrem Gebiet und kann ihr Wissen über das Universum gut verständlich und mit Begeisterung an die Zuhörenden weitergeben. Dies macht sie auch mit viel Witz und Charme. Nach der Reise ins All übernahm Michael Jablonowski, Pastoralraumleiter und Theologe. Wer eine Konfrontation erwartet, wird enttäuscht. «Ich muss Sie enttäuschen, wenn Sie denken, ich würde Professorin Altwegg widersprechen», sagt er schmunzelnd. «Wissenschaft und Religion kommen gut miteinander aus – weil ihre Fragerichtungen anders sind.» Die Naturwissenschaft sei für das «Wie» zuständig, die Religion für das «Warum». «Meine Antwort auf das Warum lautet: Weil ihr aus Liebe gewollt seid.» Es wäre fatal, so Jablonowski, wenn die Religion das «Wie» für sich beanspruchen würde – das führe in den Fundamentalismus. Ebenso fatal wäre es, wenn die Wissenschaft das «Warum» beanspruchte. Stattdessen gehe es um ein Miteinander: «Was uns verbindet, ist das Staunen – über die Grösse wie auch über das Kleine.» Jablonowski betont auch, dass das Prinzip der Seele dabei nicht verloren geht. «Unsere Glaubenshoffnung ist, dass die Seele nicht nur für Millionen Jahre gemacht ist, sondern für die Ewigkeit.» Natürlich könne man das mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht beweisen – aber ebenso wenig widerlegen. Kathrin Altwegg greift den Gedanken auf. «Wenn wir sterben, bleibt unser Material bestehen. Unsere Atome verschwinden nicht, sie gehen in neue Kreisläufe über. Aber nicht unser Geist.»
Ein Abend voller Staunen
Geistes- und Naturwissenschaften werden immer wieder gegeneinander ausgespielt. «Für mich braucht es beides. Naturwissenschaft hat keine ethische Komponente, sondern misst nur», sagt Altwegg. Die beiden Positionen widersprechen sich nicht, findet der Theologe: «Sie ergänzen sich – die Physik beschreibt den Kreislauf der Materie, die Theologie deutet das Geheimnis der Seele.»
Als die Veranstaltung endet, ist deutlich spürbar, dass die Zuhörenden etwas mitnehmen – nicht Antworten auf alle Fragen, aber ein vertieftes Staunen. Am Ende steht kein Widerspruch, sondern ein Miteinander. Denn Wissenschaft und Glaube erzählen zwei verschiedene, aber einander ergänzende Geschichten. Geschichten, die – wie an diesem Abend in Berikon – Menschen zum Nachdenken und Staunen bringen: über die sechs Minuten Menschheitsgeschichte, über Sterne und Staub, und über die Hoffnung auf Ewigkeit.
Sind wir allein im All?
Die Frage nach ausserirdischem Leben durfte auch am Vortrag in Berikon nicht fehlen. Astrophysikerin Kathrin Altwegg erklärte, dass es im Universum rund 1022 Sterne und noch mehr Planeten gebe. Statistisch sei es daher sehr wahrscheinlich, dass es irgendwo Mikroben gibt, vielleicht auch höher entwickelte Lebewesen. Doch die Entwicklung komplexen Lebens wie des Menschen sei extrem unwahrscheinlich, da unzählige Zufälle nötig waren und unser Planet dafür über Milliarden Jahre stabil bleiben musste. Selbst wenn es anderswo Intelligenz gäbe, würden wir wohl nie davon erfahren: Die nächste Galaxie liegt 1600 Lichtjahre entfernt – eine Antwort auf ein Signal käme frühestens nach 3200 Jahren.
Die Chancen für Kontakt seien also minimal. Mit einem Augenzwinkern schloss Altwegg: «Der beste Beweis für ausserirdische Intelligenz ist vielleicht, dass sie nie versucht hat, mit uns Kontakt aufzunehmen.» --sab