WK der speziellen Art
25.08.2023 Dintikon, Dottikon, Region UnterfreiamtSandro Müller und Christian Kleiner im Einsatz am Royal Edinburgh Military Tattoo
Es kommt wohl nicht häufig vor, dass ein Schweizer in seinem WK der BBC ein Interview gibt. Oder 100 Millionen am TV begeistert. Die beiden Mitglieder der Freiämter Formation ...
Sandro Müller und Christian Kleiner im Einsatz am Royal Edinburgh Military Tattoo
Es kommt wohl nicht häufig vor, dass ein Schweizer in seinem WK der BBC ein Interview gibt. Oder 100 Millionen am TV begeistert. Die beiden Mitglieder der Freiämter Formation «Brässkalation» erleben derzeit unglaubliche Wochen. «Hier dabei zu sein, das ist das Grösste», sagen sie.
Chregi Hansen
Für Christian Kleiner ist es der letzte WK. «Ganz genau mache ich drei Tage zu viel Dienst», lacht er. Auch sein Kumpel Sandro Müller hat bald Abtreten. «Nach dem Tattoo muss ich noch drei Tage machen. Die absolviere ich im Herbst bei einem Auftritt im KKL», erzählt er.
Die beiden Freiämter sind für einen Monat mit der Swiss Armed Forces Central Band, dem Repräsentationsorchester der Schweizer Armee, am Royal Edinburgh Military Tattoo im Einsatz, dem grössten Tattoo der Welt. Dass die beiden Freiämter dieses Spektakel miterleben und mitgestalten können, ist nicht selbstverständlich. Erstens kann die Schweiz nicht jedes Jahr teilnehmen. «Hier wollen Formationen aus der ganzen Welt spielen.
Erst nur die Bewegungen geübt
Das Schweizer Armeespiel war letztes Mal vor 14 Jahren dabei», weiss Kleiner zu berichten. Zweitens ist es gar nicht so einfach, Mitglied der Swiss Armed Forces Central Band zu werden. «Es gibt im Militär verschiedene Formationen. Um ins Repräsentationsorchester zu kommen, muss man schon ziemlich gut sein. Einige von uns sind sogar Berufsmusiker», erzählt Müller. Zudem muss man nicht nur musikalisch top sein, sondern auch die teilweise komplizierten Bewegungsmuster beherrschen. «Jeder erhält ein Script, auf dem genau eingezeichnet ist, bei welchem Takt er wo stehen muss. Am ersten Tag der Probewoche haben wir nur mit Playback die Abläufe geprobt», lacht der Dintiker.
Er, der Bandleader der «Brässkalation», spielt hier in Schottland Posaune und teilweise Alphorn, sein Dottiker Kumpel Chregi Eufonium. Eine Woche haben sich die beiden mit über 70 anderen Musikern in der Schweiz auf die Auftritte vorbereitet. Seit dem 4. August treten sie nun fast täglich ein- und am Samstag auch zweimal auf. Dafür werden sie jeweils mit dem Car vom Universitätsgelände, wo sie untergebracht sind, direkt auf den Platz gefahren. «Ein besonderes Gefühl», finden die beiden.
Auftritt bei jedem Wetter
Der Auftritt der Schweizer Formation dauert 7 Minuten und 40 Sekunden. «Das ist exakt vorgegeben», schmunzelt Müller. In dieser Zeit werden sieben Stücke kombiniert, welche die Geschichte der Schweiz repräsentieren sollen. Wobei Wilhelm Tell und der berühmte Apfelschuss nicht fehlen dürfen. «Dazu formiert sich das Orchester zu einer Armbrust, und ein Teil der Musiker löst sich als Pfeil aus der Formation», erzählt Kleiner. Gar nicht so einfach, schon gar nicht bei dem bekannten schottischen Wetter. «Es gibt jeden Tag Sonne, Regen und Wind. Und manchmal stürmt es so sehr, dass es nicht einfach ist, das Alphorn zu tragen», fügt Müller an. Einmal jagte es einem Mitglied der Swiss Armed Forces Central Band sogar die Mütze vom Kopf. Da heisst es: Einfach weitermachen, als wäre nichts passiert. Aber auch ein Lied von Yello kommt im Schweizer Auftritt vor.
Die Auftritte finden mit wenigen Ausnahmen jeweils abends um 22 Uhr statt. Viel von der Show bekommen die beiden Freiämter nicht mit, höchstens den einen oder anderen Videoausschnitt. Aber sie geniessen es, wenn sie vor dem Auftritt in den Uniformen unterwegs sind und dabei von vielen Menschen angesprochen werden. Ab und zu wird der eigene Auftritt nochmals verbessert, hin und wieder wird ein Teil der Musiker für Spezialauftritte aufgeboten, beispielsweise für die Botschaft oder für VIP-Anlässe. Dabei ist meist typisch Schweizerisches gefragt, etwa ein Auftritt mit einer Ländlerkapelle.
«Es gibt sicher schlimmere Arten, seinen WK zu leisten»
Daneben bleibt aber auch viel Freizeit. Beispielsweise, um Sport zu machen. Oder im Fall der beiden «Brässkalation»-Musiker an ihrem Studium zu arbeiten. Müller steht kurz vor dem Master als Maschinen-Ingenieur, Kleiner schreibt seine Bachelor-Arbeit in Geografie. Untergebracht sind sie in Einzelzimmern im Uni-Campus, dreimal täglich können sie sich am Buffet bedienen. «Es gibt sicher schlimmere Arten, seinen WK zu leisten», sind sich die beiden bewusst. Gleichzeitig sei es fordernd, jeden Abend so spät noch Höchstleistungen zu erbringen. Schliesslich repräsentiert das Orchester die Schweiz im Ausland. Dass es das hervorragend tut, davon hat sich der Chef der Armee, Korpskommandant Thomas Süssli, bei einem Besuch persönlich überzeugt. Auch der eine oder andere Royal ist jeweils im Publikum. Der Anlass hat in Grossbritannien eine grosse Bedeutung.
Interview mit BBC
Mehr gefreut haben die beiden Freiämter aber die Besuche von vielen Freunden. «Es gab einige, die extra nach Schottland gekommen sind. Es ist immer schön, bekannte Gesichter zu sehen. Vor allem, wenn sie noch etwas zu essen aus der Schweiz mitgenommen haben», lacht Müller. Auch die Kontakte mit den Formationen aus anderen Ländern sind sehr spannend. Etwa zu den Norwegern, die zu einem Norwegerabend eingeladen haben. «Diese absolvieren die Rekrutenschule. Da geht es schon viel strenger zu als bei uns, wo etliche ihren letzten WK leisten», hat Kleiner festgestellt. Nach den Vorstellungen trifft man sich meist noch an der Bar und tauscht sich aus. Manchmal geht es auch noch in den Ausgang in die Stadt. «Einmal machten wir einen Ausflug in die Highlands. Wir erleben eine tolle Zeit. Da ist man gern vier Wochen weg von zu Hause», sagt Müller. Von Lagerkoller sei jedenfalls nichts zu spüren.
Und Sandro Müller kann noch eine ganz besondere Anekdote erzählen. «Die BBC war fasziniert von den Alphörnern. Sie haben angefragt, ob ich mal Zeit hätte für sie. Ich dachte, ich solle für sie vorspielen. Aber dann wurde ich plötzlich in Englisch interviewt für das Fernsehen», berichtet er. Er sei im ersten Moment richtig perplex gewesen, fügt er an. Hat sich dann aber tadellos geschlagen.
Nächste Woche in Sarmenstorf
Die letzte Show findet am Samstag statt. Am Sonntag geht es für die Swiss Armed Forces Central Band zurück in die Schweiz. Höchste Zeit für Sandro Müller und Christian Kleiner, denn am Wochenende darauf spielt «Brässkalation» am 850-Jahr-Jubiläum in Sarmenstorf. «Die anderen proben jetzt eben ohne uns. Aber wir sind alles versierte Musiker. Das wird sicher ein toller Auftritt», schaut Bandleader Müller auf das Konzert vom 2. September voraus. Und kündigt gleich noch eine Neuheit an. «Wir haben jetzt auch eine Sängerin in unseren Reihen.» Auf das Wiedersehen mit ihren Bandkumpels freuen sich die beiden. Gleichzeitig geniessen sie derzeit jeden Tag. «Vor allem der Kontakt zu anderen Formationen ist toll. Alle sind hervorragende Musiker, da versteht man einander schnell», sagen sie. Bevor es wieder zurück ans Studium geht.