Weil es immer zwei Seiten gibt
21.03.2025 Boswil, Region OberfreiamtJakob Dolder leistete drei Monate Freiwilligenarbeit in Malawi, Südafrika und auf den Seychellen
Er zählte Löwen, Geparde, Elefanten. Er half mit, dass die Population von Meeresschildkröten steigt. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Jakob Dolder in ...
Jakob Dolder leistete drei Monate Freiwilligenarbeit in Malawi, Südafrika und auf den Seychellen
Er zählte Löwen, Geparde, Elefanten. Er half mit, dass die Population von Meeresschildkröten steigt. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Jakob Dolder in fernen Ländern engagierte. «Die Erlebnisse begeistern», sagt der Boswiler, «aber nicht selten frustrieren sie auch.» Und Dolder ist sich sicher: «Die Natur steht mit dem Rücken zur Wand.»
Annemarie Keusch
Dass er zum ersten Mal einen Pangolin gesehen hat, ein Schuppentier. Oder dass er als begeisterter Fotograf Löwenfamilien beim Spielen fotografieren konnte. «Es gab viele positive Erlebnisse. Aber fast eindrücklicher sind die negativen», sagt Jakob Dolder. Sich in fernen Ländern freiwillig zu engagieren, gehört für ihn seit seiner Pensionierung dazu. Vor einem Jahr etwa in Indonesien.
«Dass ich wieder gehe, stand für mich ausser Frage», sagt er. Aber dieses Mal sollte es Afrika sein. Der Kontinent, auf dem er sich vor wenigen Jahren einen Traum erfüllte und die Ausbildung zum Naturguide absolvierte. Der Kontinent, auf dem er einen Teil seiner Kindheit verbrachte. «Hier ist mein Herz», sagt er. Malawi, Südafrika und die Seychellen waren für je einen Monat seine Wirkungsländer. Natur, wilde Tiere, atemberaubende Sonnenuntergänge. Schöne Erinnerungen hat Jakob Dolder auch von diesen drei Monaten ganz viele abgespeichert. «Aber die Einsätze haben mich auch zum Nachdenken gebracht.»
Etwa, dass hungrige Leute in Reservaten in Malawi Tiere erlegen. «Nicht mit Gewehren, dafür hätten sie kein Geld. Sie legen Schlingen.» Und vor seinem Einsatz kam es gar vor, dass Wasserlöcher vergiftet wurden. Malawi gehört zu den drei ärmsten Ländern der Welt. «Es ist schwierig, das zu verurteilen. Was würden wir machen, wenn wir an Hunger leiden würden?» Kommt hinzu, dass die Bevölkerung im Land sehr jung ist, deren Zahl stetig steigt. «Lösungen? Schwierig, ganz schwierig.» Entwicklungspolitische Veränderungen wären nötig. Zumal dies nicht die einzige grosse Herausforderung ist.
Eine Tierart nimmt immer Überhand
«Auch in riesigen eingezäunten Reservaten, etwa in der Grösse des Kantons Aargau, herrscht kein ökologisches Gleichgewicht mehr.» Dolder hat es in Malawi und in Südafrika erlebt. Eine Tierart nimmt immer Überhand, verändert die Landschaft oder bedroht andere Tierarten. Mal sind es die Löwen, mal die Geparde, mal die Elefanten. Ohne Regulierung hätten die Reservate keine Zukunft. Und dafür braucht es Zählungen – im Wildlife-Monitoring machte Dolder genau das. Er zählte Tiere. Mit Telemetrie suchte er nach mit Sendern versehenen Tieren. «Oft weibliche Raubtiere, weil mit ihnen die Jungtiere unterwegs sind und die männlichen Exemplare oft nicht fern davon.» Daten dienen als Grundlagen dafür, von welchen Tieren es zu viel gibt und von welchen zu wenig. «Es gibt einen Handel zwischen den verschiedenen Reservaten.» Das verurteilt Dolder nicht. «Schliesslich müssen die Reservate auch finanziell überleben.»
Und trotzdem, es ist Ohnmacht, mit der er den Entwicklungen entgegentritt. «Der Konflikt zwischen Mensch und Tier ist allgegenwärtig.» Dass die Ökologie in eingezäunten Gebieten nicht funktioniert, kann nicht einfach damit behoben werden, dass die Tiere nicht mehr in Reservaten leben. «Sonst kommen sich Mensch und Tier noch viel schneller näher, Löwen reissen beispielsweise Rinder.» Die Zäune könnten zumindest einige der Konflikte zwischen Mensch und Tier verhindern. Das alles macht nachdenklich, lässt einen ohnmächtig zurück. Auch Jakob Dolder: «Ich habe noch nie so stark hinter die Fassaden gesehen wie in den letzten Monaten.» Begeisterung und riesiges Engagement treffen auf Desillusionierung. «Es hat eben immer alles zwei Seiten.»
«Kontrolliertes Schlüpfen» der Meeresschildkröten
Beim Wildlife-Monitoring in Malawi und in Südafrika, aber auch beim Meeresschildkrötenschutzprojekt auf den Seychellen. Dort gehörte es zu Dolders Aufgaben, am Morgen am Strand die Spuren der Meeresschildkröten zu suchen und die Orte, an denen sie ihre Eier verbuddelten. «Wenn diese zu nahe am Wasser waren und drohten, ausgeschwemmt zu werden, gruben wir weiter entfernt ein Loch, damit auch möglichst aus allen Eiern eine kleine Schildkröte schlüpft», erzählt Dolder. Zwei Monate nach Eiablage ist dies jeweils der Fall. «Kontrolliertes Schlüpfen», nennt es Jakob Dolder. Freiwillige wie er beschützen die kleinen Schildkröten auf dem Weg vom Ei zum Meer vor Fressfeinden – Krabben oder Vögel. «Präsenz reicht oft», sagt Dolder dazu. Im Januar und Februar letzten Jahres legten 37 Schildkröten am besagten Strand der Seychellen ihre Eier, ein Jahr später sind es 112. «Warum? Keine Ahnung. Aber es führt manchmal dazu, dass eine eierlegende Schildkröte das Gelege einer anderen ausbuddelt.» Auch hier, das Gleichgewicht sei nicht mehr da. Dolders Fazit: «Die Natur steht mit dem Rücken zur Wand.» Die Biodiversität sinkt – auch in Westeuropa.
Das heisst aber nicht, dass er sich nicht weiter punktuell einsetzen will. Jakob Dolder plant, sich in der Vogelpflegestation in Lenzburg zu engagieren. Und er wird wohl auch den nächsten Winter nicht gänzlich zu Hause in Boswil verbringen. «Ein Einsatz im Grasland oder in den Wäldern Ugandas bei den Schimpansen würde mich reizen.» Aller Ambivalenz zum Trotz.