Von der Vielfältigkeit begeistert
07.07.2023 WohlenIngrid Arnold, Leiterin des Mode-Ateliers im Berufsbildungszentrum, geht in Pension
Knapp über 30 Jahre lang war sie das Gesicht des Mode-Ateliers im Berufsbildungszentrum. Ingrid Arnold war mit viel Herz, Hingabe und Leidenschaft Ausbildnerin und Organisatorin von ...
Ingrid Arnold, Leiterin des Mode-Ateliers im Berufsbildungszentrum, geht in Pension
Knapp über 30 Jahre lang war sie das Gesicht des Mode-Ateliers im Berufsbildungszentrum. Ingrid Arnold war mit viel Herz, Hingabe und Leidenschaft Ausbildnerin und Organisatorin von mancher Modeschau. Nun verlässt sie ihr geliebtes Atelier.
Daniel Marti
Bestens gelaunt sitzt sie da, aufgestellt, zuversichtlich, mit einem ansteckenden Lachen im Gesicht. Wie immer trendig gekleidet. Positiv gestimmt. Ingrid Arnold strahlt viel Freude aus. Sie ist zufrieden mit dem, was war. Und sie ist optimistisch eingestellt betreffend Zukunft. Ingrid Arnold sitzt im Restaurant des Berufsbildungszentrums Freiamt Lenzburg, es ist praktisch ihr letzter Arbeitstag als Leiterin des Mode-Ateliers im BBZ. Nach über 30 Jahren verabschiedet sich Ingrid Arnold (Jahrgang 1960) in den Ruhestand.
Die Arbeit fürs Mode-Atelier sei «eine sehr gute Zeit gewesen», blickt sie zurück, «und ich hatte Glück, eine solche Stelle über eine so lange Zeit ausfüllen zu dürfen». Der zuverlässige Arbeitgeber mit einem sehr umsichtigen Vorgesetzten habe stets ein ideales Umfeld geboten. Damit sind das BBZ und sein Rektor Philippe Elsener gemeint.
Die «Annabelle» führte sie nach Wohlen
Die Lehre machte sie in Luzern bei einem privaten Atelier. Damals noch als Damenschneiderin, heute heisst der Fachausdruck Bekleidungsgestalterin oder Bekleidungsgestalter. Dann erfolgte der erste Karrieresprung. Die gebürtige Seetalerin wechselte von Luzern nach Zürich zur renommierten Firma Robert Siega (heute Couture Siega), die sich an der Pariser Haute Couture orientierte. Die Zusammenarbeit mit Modells aus Paris und Rom war spannend – gleiches gilt für die reiche Kundschaft. Trotzdem: Der Drang zur Selbstständigkeit war stets präsent. Mit der Meisterprüfung in der Tasche eröffnet sie in Hitzkirch ein eigenes Atelier.
In der Heimat war sie zufrieden und happy – bis sie bei einem Coiffeur-Termin die Zeitschrift «Annabelle» in der Hand hielt. Ein Inserat liess sie nicht mehr los. Gesucht: Leiterin Mode-Atelier im BBZ in Wohlen. Da wollte sie hin. Sie habe rasch gespürt, «dass es mir gefällt, mein Wissen an junge Menschen zu vermitteln», sagt sie.
Ingrid Arnold setzte sich gegen die Mitbewerberinnen durch. «Und ich hätte mir nicht vorstellen können», räumt sie ein, «dass daraus eine Lebensarbeitsstelle wird.» Der Start war eine Umstellung und ist nicht so einfach gewesen, blickt sie zurück. Denn ihr blieb nur wenig Zeit, die ersten jungen Menschen an die Abschlussprüfung zu führen. Alle haben bestanden – wie alle weiteren Lehrlinge. Total hat sie 146 Lernende ausgebildet – pro Lehrjahr jeweils vier oder fünf oder mal sechs. Alle erfolgreich. Alle mit einem guten Anschluss nach der Ausbildung. Dass sie ihre Kundschaft vom eigenen Atelier in Hitzkirch nach Wohlen lotsen konnte, machte den Start nicht nur leichter. Es zeigt auch, dass die Kundschaft zu Ingrid Arnold gehalten hat. Die Leitung des Mode-Ateliers hat ihr also sofort Spass gemacht und die ersten Herausforderungen meisterte sie. Diese Treue hielt auch in den drei folgenden Jahrzehnten in Wohlen.
Wertvolle Arbeit
Von Anfang 1993 bis Juli 2023. Geplant war diese lange Zeitspanne nicht. «Das hat sich einfach ergeben», so Arnold, «mir gefiel es hier immer, ich spürte stets eine grosse Unterstützung der Schule» und letztlich sei ihr Job sehr abwechslungsreich gewesen. Die Ausbildung, der Kontakt mit der Kundschaft, die Kreativität, «diese Vielfältigkeit machten jeden Tag interessant». Gedanken an einen Wechsel oder einen Abgang kamen in keinem Moment auf. Ihr Beruf stand im Mittelpunkt, ihr 100-Prozent-Pensum durfte gefühlt auch mal gegen 150 Prozent gehen. Ingrid Arnold war Ausbildnerin und Atelier-Leiterin stets aus Leidenschaft.
Und bei den Highlights muss sie nicht lange studieren. Bei fünf Gewerbeausstellungen (Hagewo) war sie mit ihrem Atelier vertreten, dreimal davon auch als OK-Mitglied. «Und die 27 Modeapéros mit Modeschauen waren ebenfalls nur schön.» Ob Hagewo oder Modeschauen, da durfte sie mit den Lernenden ihr kreatives Schaffen einem grossen Publikum präsentieren. «Herrlich», lacht sie, «das bedeutete jeweils viel Arbeit, aber auch ganz viel Freude.»
In all den Jahren habe sich im Umgang mit der Kundschaft gar nicht so viel verändert, die Ausbildung habe sich positiv entwickelt, «und die jungen Menschen sind anspruchsvoller geworden». Aber das sei gut so. Das mache die Herausforderungen noch interessanter und «die Arbeit mit den jungen Leuten noch wertvoller».
146 Lernende hat die Chefin des Mode-Ateliers ausgebildet, nur knapp zehn waren Männer. Bekleidungsgestalter sei halt kein typischer Männerberuf, «obwohl die grossen Modeschöpfer alles Männer sind», hält sie fest. Wenn sich jedoch ein Mann für den Berufsweg als Bekleidungsgestalter entschieden hat, dann tut er dies laut Arnold aus dem Innersten heraus. «Dann bleiben sie ein Leben lang mit Kreativität und Vielfalt dabei.»
«Wir finden immer eine Lösung»
Nicht immer lief alles optimal rund ums Atelier. Es gab durchaus Zukunftsängste. «Gleich zweimal mussten wir zittern», blickt sie zurück. Als es um die generellen Standortentscheide auf Kantonsebene ging und um die Neuausrichtung der Berufsfelder, die am Freiämter Berufsbildungszentrum unterrichtet werden. Die Schliessung der Abteilung Gewerbe und Technik hat sie als traurigen Moment empfunden. «Das hat wehgetan.»
Bis im Jahr 2007 war das Atelier an der Kapellstrasse beheimatet, dann erfolgte der Wechsel ins BBZ. Ein Gewinn für alle. «Der Standort im BBZ ist für uns wie Luxus. Das Umfeld stimmt. Hier konnte das Mode-Atelier einen Schritt vorwärtsmachen.» Also ideale Voraussetzungen, um den Modetrends nachzuleben. «Die Kundinnen machen nicht immer jeden Trend automatisch mit», relativiert Ingrid Arnold. «Wir können die Trends einfliessen lassen, die trendigen Farben betonen, aber bei uns findet ja kein Hype statt.» Mittlerweile müssten die Bequemlichkeit, der Tragekomfort und die Trageeigenschaften stimmen. Und für die angehenden Bekleidungsgestalterinnen oder Bekleidungsgestalter müsse sowieso stets die Ausbildung im Vordergrund stehen.
Wichtig ist auch die Anschlusslösung. «Wir finden praktisch immer eine Lösung», sagt Arnold mit ein bisschen Stolz. Ob Brautkleider-Geschäft, Berufsmatur oder Designer-Schule – die Auswahl ist gross. Zudem zeigt eine ETH-Studie ein positives Bild. Der Beruf Bekleidungsgestalterin oder Bekleidungsgestalter hat eine gute Zukunft, das Handwerk ist beliebt.
Co-Leitung übernimmt, das gibt ein gutes Gefühl
Bei diesen positiven Vorzeichen kann Ingrid Arnold beruhigt in Pension gehen. Und Abschied von «ihrem» Mode-Atelier nehmen. «Die Nachfolge ist geregelt, der Druck ist weg.» Sie verspürt deshalb keine Wehmut. «Denn ich kann meinen Job mit einem positiven Gefühl weitergeben.» Regula Siegenthaler und Leandra Fricker teilen sich künftig die Co-Leitung. Die Übergabe in den vergangenen drei Wochen war ein positiver Prozess, «und ich kann sehr gut loslassen». Wobei sie zugibt, dass es im Moment des Abschieds vielleicht doch noch die eine oder andere Träne geben könnte.
Gibt es einen Ratschlag für die beiden Nachfolgerinnen? Sie sollen sich aufs Bauchgefühl verlassen, das habe sie selber auch immer gemacht, so Ingrid Arnold. «Und meine zwei Nachfolgerinnen sollten den grossen Vorteil nützen: Ihre Verantwortung ist auf vier Schultern verteilt.» Das halbiert den Druck.
Und ab aufs Bike
Ingrid Arnold freut sich auf das, was kommen wird. Im August legt sie die Prüfung ab als Erwachsenensportleiterin. Dann wird sie die Velogruppe der Pro Senectute Lenzburg übernehmen. Velo und Bike sind ihr grosses Hobby, das kann sie nun ausleben und geniessen. «Mein neuer Job hat wieder mit Menschen zu tun. Auf die vielen Ausfahrten freue ich mich jetzt schon.» Erst wolle sie jedoch Abstand gewinnen vom Mode-Atelier, und sich Zeit nehmen fürs soziale Umfeld, «das in den letzten 30 Jahren zu kurz gekommen ist». Ihr Einsatz sei deshalb erst mal für den gemeinnützigen Bereich reserviert.
Zeit für sich – das braucht sie auch. Die letzten zwei Jahre seien recht hart gewesen, gibt sie erst am Schluss des Gesprächs zu. Ihre Assistentin kürzte das Pensum um 50 Prozent. Das hat die Belastung verstärkt, den Stress hat sie sich nicht anmerken lassen, denn auch diese Situation hat Ingrid Arnold wie immer gemeistert: Mit einem Strahlen im Gesicht und mit viel Hingabe für das Mode-Atelier.