Von der Realität eingeholt
15.09.2023 WohlenDer Gemeinderat präsentiert das Budget 2024: Steuerfuss auf 120 Prozent und defizitärer Voranschlag
Darauf haben Herr und Frau Wohler mit viel Spannung gewartet. Und das Budget 2024 weist tatsächlich happige Zahlen auf: Steuerfusserhöhung von 113 auf ...
Der Gemeinderat präsentiert das Budget 2024: Steuerfuss auf 120 Prozent und defizitärer Voranschlag
Darauf haben Herr und Frau Wohler mit viel Spannung gewartet. Und das Budget 2024 weist tatsächlich happige Zahlen auf: Steuerfusserhöhung von 113 auf 120 Prozent. Trotz siebenprozentigem Sprung wird mit einem Verlust von 1,6 Millionen Franken gerechnet. Politisch eine Herkulesaufgabe.
Daniel Marti
Wann kommt sie, die grosse finanzielle Trendwende? Mit der Investitionsflut, mit stetig steigenden Schulden, Personalkosten und Zinsen gerät Wohlens Finanzlage immer mehr aus der Balance. Die Einnahmen «hecheln» den immer höher werdenden Ausgaben seit Jahren hinterher. Nun ist sie definitiv da, die Trendwende. Der Gemeinderat will den Steuerfuss von 113 auf 120 Prozent anheben.
Trotz dieser krassen Anhebung schafft es der Gemeinderat allerdings nicht, wenigstens ein ausgeglichenes Budget 2024 zu präsentieren. Im nächsten Jahr erwartet er einen Aufwandüberschuss von 1,6 Millionen Franken sowie Investitionsausgaben von 22 Millionen Franken. An der Budgetsitzung des Einwohnerrates vom 16.Oktober wird das Budget behandelt. Eine angenehme Debatte wird das kaum.
Attraktivität nicht nur am Steuerfuss messen
«Als attraktiver Wohn- und Arbeitsort wächst die Bevölkerung der grössten Zentrumsgemeinde im Freiamt laufend», schreibt der Gemeinderat in seiner Mitteilung. Attraktiv – und das mit einem Steuerfuss von 120 Prozent? Tatsächlich? «Die 120 Prozent sind ja keine Überraschung, in den Finanzplänen wurde das schon lange angekündigt. An diesen Prognosen hat sich nichts verändert», sagt Gemeindeammann Arsène Perroud. Die Attraktivität werde von «etlichen Aspekten beeinflusst. Wohlen bietet ein grosses Angebot an Schulen und Sport-Infrastrukturen. Wohlen hat eine sehr gute Lage. Aufgrund dessen ist Wohlen doch attraktiv.» Die Attraktivität einer Gemeinde nur mit dem Steuerfuss zu erklären, sei nicht korrekt, so Perroud weiter.
Und die Erfahrung, dass allein mit dem Wachstum nicht wesentliche Steuermehreinnahmen generiert werden können, «haben schon andere Gemeinden gemacht». Bevölkerungswachstum erzeugt auch erhebliche Mehrkosten, die den Finanzhaushalt zusätzlich belasten. Einiges sei zudem aus dem Budget gestrichen worden, so Denise Strasser, Ressortverantwortliche Finanzen. Nur deshalb könne das Haushaltgleichgewicht eingehalten werden.
Steuerfusserhöhung nicht mehr zu vermeiden
Mit dem Budget 2024 erhöhen sich verschiedene Kosten, welche die ordentliche Entwicklung des Steuerertrages nicht abdecken kann. «Für die Finanzierung des Gemeindehaushaltes ist eine Erhöhung des Steuerfusses nicht mehr zu vermeiden», betont der Gesamtgemeinderat. Bereits mit dem Budget 2023 hatte der Gemeinderat ursprünglich eine Erhöhung des Steuerfusses in Betracht gezogen, aber aufgrund der problematischen wirtschaftlichen Situation wurde darauf verzichtet.
Weiter führt der Gemeinderat an, dass bei der Gesamtrevision des Abfallreglements keine Mehrheit gefunden werden konnte. Das Volk hat die Grüngutgebühr erwartungsgemäss abgelehnt. Der steuerfinanzierte Zuschuss beträgt 751 600 Franken oder gegen 2,5 Steuerprozente. Dieser Betrag ist nun in der Steuerfusserhöhung entsprechend berücksichtigt. «Plus fünf Prozent Steuern, plus zwei Prozent von der abgelehnten Grüngutgebühr, das ergibt die siebenprozentige Erhöhung auf 120 Prozent», rechnet die Finanzministerin vor.
Herausforderungen schon länger bekannt
Zu den höheren Belastungen im kommenden Jahr: die Restkosten der Pf legefinanzierung, die steigenden Zinsen (Finanzierung des Fremdkapitals), die höheren Personalkosten in der Verwaltung und in der Schule. Und die Sportpark Bünzmatt AG wies in den letzten Jahren Defizite aus. In der Folge sind die Gemeindebeiträge mit der Anpassung der Leistungsvereinbarung zu erhöhen. Mittlerweile auf total fast eine Million Franken (siehe auch Interview mit VR-Präsident Tobias Rohner in dieser Ausgabe).
Diese Entwicklungen kennt man schon recht lange. Warum wurde denn nicht früher reagiert? «Der Gemeinderat zeigt ja schon lange auf, wohin die Reise geht», erklärt Gemeindeammann Perroud. «Es wurde doch seit Jahrzehnten mit zu tiefen Steuerfüssen operiert. Letztlich waren es alles politische Entscheidungen, die damals als richtig erachtet wurden. Aber jetzt kann man nicht mehr so weiterfahren.»
Brauchen Planungssicherheit
Auch Thomas Laube, Vorsteher des Steueramtes, hat hierzu eine klare Meinung. «Gemeinden können nicht nur nach betriebswirtschaftlichen Kriterien geführt werden, da braucht es oft ganz andere Entscheide.» Und manche Steuerreform sei für die Gemeinde Wohlen nicht gut verträglich gewesen. «Steuern auf Vorrat sind nicht willkommen», so Laube weiter. «Und jetzt wurde die Gemeinde Wohlen definitiv von der Realität eingeholt.»
Gemeindeammann Perroud fügt zudem an, dass man am liebsten stabile Verhältnisse hat. Also einen konstanten Steuerfuss. Zuvor 113 Prozent, ab nächstem Jahr und für die kommenden Jahre 120 Prozent. «Wir brauchen Planungssicherheit», sagt Perroud. Und weiterfahren mit 113 Prozent, das sei ein Ding der Unmöglichkeit, sagt Strasser: «So geht es nicht mehr weiter.» Etliche Ausgaben und Aufgaben seien halt stets verschoben worden, fügt Laube noch an.
Ein erfreulicher Aspekt sei immerhin, dass die ordentliche Sozialhilfe keine höheren Ausgaben verursache. Aber die Nettoinvestitionsausgaben von 22 Millionen Franken, die lediglich zu elf Prozent mit eigenen Mitteln finanziert werden können, lassen die Verschuldung entsprechend ansteigen. Von Ende 2023 auf Ende 2024 wird ein Sprung von 58 auf 74 Millionen Franken prognostiziert. Tendenz weiter steigend. Bis gegen 150 Millionen Franken.
Übernimmt der Einwohnerrat Verantwortung?
Zurück zum Budget. Trotz massiver Steuerfusserhöhung von sieben Prozent ist es nicht gelungen, ein ausgeglichenes Budget zu erstellen. Ein ausgeglichener Voranschlag – hätte das nicht etwa das Minimalziel sein müssen? «Das ist dann eine politische Debatte», sagt der Gemeindeammann, der auch gleich eine Frage in den Raum stellt: «Übernimmt man die Verantwortung oder will man eine weitere, schlechtere Schuldenentwicklung?» Diese Frage geht vor allem an den Einwohnerrat.
«Es ist die Aufgabe des Gemeinderates, darzustellen, welche finanziellen Mittel nötig sind, um die anstehenden Aufgaben zu erfüllen», erklärt Perroud weiter, über alles andere soll der Einwohnerrat seine Debatte führen. Dass ein Budget mit einem Steuerfuss von 120 Prozent einen schweren Stand hat im Einwohnerrat und vor allem danach beim Stimmvolk, dies wissen auch Finanzministerin und Gemeindeammann. Aber eine Prognose will Perroud nicht abgeben. «Der Einwohnerrat soll diskutieren und entscheiden.» Dies wird er am Montag, 16. Oktober, tun.
Einen kleinen Vergleich kann sich Arsène Perroud zum Abschluss nicht ganz verkneifen: «Es ist schon interessant. Die grossen Investitionen werden immer bewilligt. Aber eine Mehrheit für eine Steuerfusserhöhung zu finden, ist sehr schwierig.» Wohl auch dieses Mal.
Negative Auswirkungen
Weitere Steuergesetzanpassungen werden laut Gemeinderat weitere Auswirkungen auf den Finanzhaushalt der Gemeinde Wohlen haben. «Die Erhöhung der Pauschalabzüge für Versicherungsprämien und Sparzinsen, der Ausgleich der kalten Progression, Tarifanpassungen bei den juristischen Personen sind wesentliche Faktoren, die sich bei den Steuererträgen negativ auswirken», schreibt der Gemeinderat.
In der kantonalen Steuerstrategie für die Jahre 2022 bis 2030 sind zudem weitere Gesetzesänderungen vorgesehen. «Es ist zu befürchten, dass diese für die Gemeinden, die über vergleichbare Strukturen wie Wohlen verfügen, weniger Steuern einbringen und somit die Mehrkosten damit nicht bezahlt werden können.»
Kommission für Einnahmen
Der Gemeinderat ist bereit, eine Einnahmenkommission einzuführen. Dies wurde von den Grünliberalen gefordert. Und nun soll dies umgesetzt werden. Der Gemeinderat präsentiert eine Vorlage, die bereits an der nächsten Einwohnerratssitzung behandelt wird.
Die Einnahmenkommission wird als Spezialkommission deklariert und widmet sich thematisch der Einnahmenseite der Gemeinde Wohlen und den damit verbundenen Indikatoren. Die Einnahmenkommission soll künftig folgende Aufgaben wahrnehmen:
Die vertiefte Auseinandersetzung mit sämtlichen Einnahmen der Gemeinde Wohlen. Davon ausgenommen ist der Steuerfuss. – Das Hinterfragen von Gebühren und Tarifen mitsamt Aufzeigen allenfalls unentgeltlich respektive zu günstig erbrachter Leistungen der Verwaltung. – Das Sammeln von Ideen und Impulsen zu einer angepassten Strategie des Standortmarketings. – Das Veranstalten von «Public Hearings» sowie Workshops zwecks Einbezug der Bevölkerung. – Das Vergleichen mit anderen Gemeinden («Benchmarking»).