Vom Kindheitstraum zum Vorbild
26.07.2024 Sport, RadsportDie Olympischen Spiele in Paris starten heute Freitag – die Hägglingerin Michelle Andres ist mit dabei
Heute Freitag ist die feierliche Eröffnung der 33. Olympischen Sommerspiele in Paris. Unter den Athleten, die während der rund zwei Wochen auf ...
Die Olympischen Spiele in Paris starten heute Freitag – die Hägglingerin Michelle Andres ist mit dabei
Heute Freitag ist die feierliche Eröffnung der 33. Olympischen Sommerspiele in Paris. Unter den Athleten, die während der rund zwei Wochen auf Medaillenjagd gehen, sind auch Freiämter. Neben dem Ruderer Tim Roth ist die Radsportlerin Michelle Andres mit dabei. Ein Kindheitstraum geht für die Hägglingerin in Erfüllung.
Josip Lasic
Wenn heute Freitag die feierliche Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris stattfindet, wird man Michelle Andres und die Schweizer Radsportdelegation vor Ort vermissen. Die Freiämterin reist erst am 4. August in Paris an. Am 9. August wird sie mit ihrer Teamkollegin Aline Seitz den Madison-Wettkampf bestreiten. Für die Hägglingerin ist das kein Problem. «Wir befinden uns gerade in der härtesten Trainingsphase und wollen uns optimal vorbereiten. Klar sind Dinge wie die Eröffnungsfeier ein schönes Erlebnis. Aber wir sind dort wegen den Wettkämpfen und nicht, um Ferien zu machen. Das ist schon okay so, wir wollen ja die bestmögliche Leistung zeigen.»
Und dafür benötigt es viel Fokus. Die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele ist aus Sicht der Hägglingerin die härteste, die sie bisher erlebt hat. Deutlich intensiver als bei Welt- und Europameisterschaften. «Du weisst, dass es um viel mehr geht, gibst aber automatisch mehr Einsatz.» Äussere Faktoren kommen hinzu. «Wir haben die Olympiatenues erhalten. Das erfüllt einen mit Stolz und Vorfreude. Gleichzeitig kommt auch bereits erste Nervosität, wenn man in diesen Tenues trainiert.» Und da das neuseeländische Team aktuell wie die Schweizer im Velodrome in Grenchen trainiert, fühlt man sich schon von der Konkurrenz beobachtet. Momentan durchlebt die Athletin einen Cocktail an Emotionen. Zusätzlich zu den intensiven Trainings wird sie noch die 1.-August-Rede in Hägglingen halten, bevor sie nach Paris abreist.
Ehrgeizig, fokussiert und die Familie mit Stolz erfüllend
Wenn es jemandem gelingen sollte, das alles unter einen Hut zu bringen und trotzdem eine gute sportliche Leistung abzurufen, dann ist es Michelle Andres. Ihre Mutter Monika Andres erinnert sich, dass die Tochter zwischen fünf und sieben Jahre alt war, als sie zum ersten Mal gesagt hat, dass es ihr Traum ist, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Monika Andres war bis März Präsidentin des VC Hägglingen, und als ihre Töchter Michelle und die vier Jahre ältere Fabienne mit dem Radsport angefangen haben, war sie ihre Kindertrainerin. «Sie hatten beide Talent, aber wir haben die Kinder nie in irgendeine Richtung gedrängt, ja sogar eher gebremst. Die beiden haben auch keine Sportschulen besucht, weil wir wollten, dass sie eine normale Ausbildung machen, um beruflich breit aufgestellt zu sein. Denn vom Sport leben zu können, ist schwer bis unmöglich.»
Die Töchter befolgten die Ratschläge ihrer Eltern. Fabienne, die ebenfalls an Weltcuprennen teilgenommen hat, fokussierte sich stärker auf ihre berufliche Laufbahn. Michelle hingegen studierte an der Universität Fribourg Kommunikation, Medien und Soziologie, verlor aber den Radsport und ihren Traum von Olympia nie aus den Augen. «Wenn sie etwas will, zieht sie es auch durch», erinnert sich ihre Mutter Monika. Die 27-jährige Athletin hat regelmässig trainiert, sich nach Verletzungen und Rückschlägen immer wieder zurückgekämpft, ihr Studium beendet und das Olympiaticket gesichert. «Vor vier Jahren für Tokio war das bereits ein Thema, hat damals aber nicht geklappt. Eltern leiden bei solchen Rückschlägen immer mit. Es erleichtert mich und macht mich wirklich sehr stolz, was sie erreicht hat.»
Und sie ist durchaus in der Lage, noch mehr zu erreichen. An den Olympischen Spielen wäre für Michelle Andres und ihre Madison-Teamkollegin Aline Seitz das Ziel, ein Diplom zu holen. «Es muss allerdings viel stimmen, dass das gelingt. In Tokio hatte die Madison-Disziplin für Frauen Premiere. Wir haben die Rennen analysiert und es gab enorm viele Stürze. Es wird nirgends so offensiv, aggressiv und hart gefahren wie an Olympia. Da spielen auch Faktoren wie Glück und Tagesform eine Rolle. Aber wir bleiben zuversichtlich.»
Unverletzt bleiben und auch geniessen können
Ihre Eltern, die Schwester und der Freund der Radsportlerin werden alle vor Ort sein, um sie zu unterstützen. In ihren Augen hat Michelle Andres schon sehr viel gewonnen, egal, wie die Rennen ausgehen. «Sie ist Olympiateilnehmerin. Das ist der grösste Sportanlass der Welt und ihr wird das niemand nehmen können, dass sie zu einem illustren Kreis von Athleten gehört, die einmal an Olympischen Spielen mit dabei waren», sagt Monika Andres. «Für mich ist es das Wichtigste, dass sie unverletzt bleibt und auch das Ganze geniessen kann.» Davon geht die Olympionikin aus. «Wir kommen am Sonntag an. Ab Mittwoch ist dann nur noch Fokus auf den Wettkampf angesagt, aber die paar Tage vorher wollen wir uns ein wenig Zeit nehmen, um etwas von der Stadt und dem olympischen Dorf zu sehen, einige Wettkämpfe nach unserem Auftritt zu sehen, und wir sind zwar nicht an der Eröffnungs-, dafür aber an der Schlussfeier mit dabei.»
Zeigen, dass man die Olympiaquali schaffen kann
Die Hägglingerin hat ohnehin schon etwas sehr Besonderes erreicht. Seit 2008 starteten keine Frauen mehr in den Radbahndisziplinen an den Olympischen Spielen für die Schweiz. «Als ich mit dem Radsport auf der Bahn begonnen habe, gab es kaum noch Frauen, die auf diesem Level gefahren sind. Das motiviert mich umso mehr. Ich will für junge Radsportlerinnen ein Vorbild sein, ihnen zeigen, dass man es schaffen kann, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Ich hatte leider keine solchen Vorbilder, an denen ich mich ausrichten konnte.»
Das hat sie definitiv geschafft. Ein kleines Mädchen, das sich als Kind vornimmt, sich den Traum von Olympia zu erfüllen, und dem das jeder Widrigkeit zum Trotz gelingt, ist jemand, an dem sich viele junge Radsportlerinnen orientieren können. Michelle Andres hat enorm viel gewonnen, bevor sie überhaupt an die Olympischen Spiele angereist ist.
Madison an Olympia
Der Madison-Wettbewerb wird auch Zweier-Mannschaftsfahren genannt. 15 Teams mit je zwei Fahrerinnen treten an. Das Rennen wird in einem einzigen Lauf entschieden, der regulär über 120 Runden (30 km) geht. Die Teilnehmerinnen können alle zehn Runden bei Zwischensprints oder jederzeit durch einen Rundengewinn Punkte sammeln. Für Michelle Andres und Aline Seitz steht dieser Wettkampf am Freitag, 9. August, auf dem Programm. «An diesem Tag wird alles entschieden. 120 Runden und danach sind diese Olympischen Spiele für uns bereits vorbei», fasst die Freiämterin zusammen. --jl