Viel Hoffnung auf besseres Leben
24.06.2025 Wohlen, KircheEin Tag der Vielfalt
Flüchtlinstag in Wohlen
Sie haben sich alle grosse Mühe gegeben, das Thema Flüchtlinge den Menschen näher zu bringen. Den Organisatoren – die Caritas Aargau, Integration Freiamt, der Pastoralraum Unteres ...
Ein Tag der Vielfalt
Flüchtlinstag in Wohlen
Sie haben sich alle grosse Mühe gegeben, das Thema Flüchtlinge den Menschen näher zu bringen. Den Organisatoren – die Caritas Aargau, Integration Freiamt, der Pastoralraum Unteres Freiamt, der kirchliche regionale Sozialdienst – ist dies mit einem vielfältigen Programm auch sehr gut gelungen. Aber in erster Linie suchten die Besucherinnen und Besucher vor allem ein Plätzchen im Schatten. Als Schutz vor der Sommerhitze. Da war es in der katholischen Kirche am angenehmsten. Für einmal wurde in der Kirche Politik gemacht, Eine Podiumsdiskussion widmete sich auch dem Thema «Zusammen leben. Zusammen wachsen». --dm
Flüchtlingstag rund um die katholische Kirche voller Vielfalt und mit Polit-Podium
Die Schweiz soll ein Auffangnetz für Flüchtlinge sein. Dies wurde mit dem Flüchtlingstag vorgelebt. «Zusammen leben. Zusammen wachsen», lautete das Motto, das mit etlichen Programmpunkten bestens umgesetzt wurde.
Daniel Marti
Kunterbunte Geschichten in der Bibliothek, der Dokumentarfilm «Gefangene des Schicksals», ein Theater mit Geflüchteten, ein ökumenischer Gottesdienst, ein Referat «Einfache Sprache» und ein Podiumsgespräch mit lokalen Politikerinnen und Politikern, moderiert von Fabian Hägler, Chefredaktor «Aargauer Zeitung». Das Angebot beim Flüchtlingstag rund um die katholische Kirche war sehr vielfältig. Die Sommerhitze verhinderte jedoch einen Grossaufmarsch. Der Flüchtlingstag hätte mehr Publikum verdient. Interessant war er trotzdem. Die Flüchtlingswellen beschäftigen ja viele Menschen.
«Wir sind das Netz»
Deshalb war es wichtig, dass auch Flüchtlinge selber in den Mittelpunkt gerückt wurden. So haben am Podium auch eine junge Frau aus dem Iran und eine junge Ukrainerin teilgenommen. Sie schilderten ihr Schicksal und zeigten auch auf, wie sie in der Schweiz Fuss gefasst und Wurzeln geschlagen haben. «Im ganzen Land zittert die Bevölkerung vor Drohnen der Russen, nirgends ist es zu hundert Prozent sicher in der Ukraine.» Sie könne selbst in der Schweiz nicht gut schlafen, denn sie zittert um die Familienangehörigen und die Bekannten, die in der Ukraine geblieben sind, so die junge Ukrainerin. Sie wohnte ursprünglich in Kiew und sei dann aus Sicherheitsgründen geflüchtet.
Und als Frau sei es im Iran einfach nicht sicher, Frauen werden unterdrückt, deshalb sei sie in die Schweiz geflüchtet, erklärte die Iranerin, die ihre Gefühlswelt ganz offen darlegte. Die aktuellen Militäraktionen gegen den Iran, dem auch viele Menschen aus dem Machtzentrum zum Opfer gefallen sind, seien gut für viele Iranerinnen und Iraner, sagte sie. Sollte es den ersehnten Regimewechsel geben, dann würde sie gerne in ihren Iran zurückkehren.
«Es ist unsere Aufgabe und unser Alltag, solche Menschen aufzufangen, wir sind das Netz für Flüchtlinge», sagte dazu Caritas-Präsidentin Elisabeth Burgener. «Wichtig ist, dass Flüchtlinge in jedem Dorf einen Treffpunkt haben. Von dort aus kann man dann vieles weiterziehen.» Die Betreuung, die Kontaktpflege, die Deutschkenntnisse.
Notstand – bitte relativieren
Die Sprache so schnell wie möglich zu beherrschen, ist ein eminent wichtiger Aspekt. «Und da sind die Verhältnisse in der Schweiz sehr gut», sagte die Ukrainerin, die sich in Deutsch und Englisch verständigen kann. Plätze in Deutschkursen zu finden, sei dagegen nicht immer einfach. Die Deutschkenntnisse machen es natürlich alleine nicht aus.
Der Anfang der Flüchtlingswelle aus der Ukraine vor knapp dreieinhalb Jahren sei nicht einfach gewesen, blickte Mitte-Grossrätin Rita Brem-Ingold zurück. «Wir wurden anfänglich überschwemmt, auch der Kanton musste sich ja zuerst orientieren, und in unserer Gemeinde Oberwil-Lieli waren wir auch nicht vorbereitet.» Dies gilt wohl für alle Gemeinden. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung sei gross gewesen, «und in der Zwischenzeit hat es auch der Kanton Aargau geschafft» und habe so ziemlich alles im Griff. Dem widerspricht Stefan Dietrich, SP-Grossrat aus Bremgarten. «Der Kanton Aargau spricht von einem Notstand. Und genau das muss man relativieren.» Beim Kanton habe man «zu lange geschlafen», das sei die Wahrheit. Dietrich ist so etwas wie Flüchtlingsexperte, seit rund zehn Jahren ist er immer wieder auf der sogenannten Balkanroute präsent. In der Politik gebe es eben zu viele Widersprüche, so Dietrich weiter. «Es braucht mehr Flexibilität. Zur Erinnerung: Wir haben Menschen unter uns, die in unsicherem Zustand leben.» Und das sei einfach nicht gut.
Falsche Flüchtlinge?
Hier hakte Elisabeth Burgener ein. Es dauert laut Caritas-Präsidentin im Aargau zu lange, bis Flüchtlinge wissen, wie es mit ihnen weitergeht. «Wir müssen ein Regelwerk schaffen, damit die Flüchtlinge so rasch wie möglich wissen, wie ihre Zukunft aussieht.» Und vor allem Menschen aus der Ukraine seien gut ausgebildet. «Die Aargauer Politik ist gefordert, etwas zu ändern.»
Auf welcher Seite denn er stehe, wollte Moderator Fabian Hägler von Grossrat und Gemeinderat Roland Vogt wissen. «Auf der Seite der SVP natürlich», antwortete dieser prompt. Und man müsse schon differenzieren, fügte er noch an. «Mit dem Status S haben die Flüchtlinge aus der Ukraine schon Vorteile, sagte er, «einen schnelleren Zugang zur Wirtschaft, zur Schweiz im Allgemeinen.» Irgendwann sei der Krieg vorbei und der Status S verwirkt, «dann müssen diese Menschen wieder zurück».
Und Vogt sprach sofort ein Problem an. Es gebe Ukrainerinnen und Ukrainer, die als Flüchtlinge in der Schweiz sind, «in ihren Ferien reisen sie aber in die Ukraine. Dann kommt die SVP und stellt ein paar kritische Fragen.» Darum sei er der Meinung, dass möglichst schnell entschieden werden sollte, wer bleiben dürfe. «Wer keine Bewilligung hat, muss wieder gehen», so Vogt, «denn wir haben auch falsche Flüchtlinge hier. Und das ist störend.»
Diese Feststellung nervte Stefan Dietrich. Das sei eine polemische Sicht der Dinge, so der SP-Grossrat. «Bitte geht vorsichtig mit solchen Ausdrücken um», warnte er. Man solle die Verhältnisse schon auch betrachten und relativieren. Im Aargau leben über 700 000 Menschen, 6500 davon sind Flüchtlinge.
Wirtschaftsflüchtlinge ausschliessen
Es gehe eben nicht nur um den Status S, warnte Rita Brem. Die Flüchtlinge sollten auch Arbeit suchen. «Wenn aber Flüchtlinge zwei, drei Jahre hier sind und dann kommt der Entscheid, dass sie gehen müssen, dann ist das tragisch.» Andererseits sind laut Brem halt viele Abklärungen nötig, «damit man Wirtschaftsflüchtlinge ausschliessen kann». Als Caritas-Präsidentin mache sie bei diesem Punkt keine Unterschiede, konterte Elisabeth Burgener. In der Regel kommen Menschen zu uns, «weil sie in Not und psychisch belastet sind. Und dann beginnt unsere Arbeit.» Die Bezeichnung Wirtschaftsflüchtling sei ebenfalls mit Vorsicht zu geniessen, warnte Stefan Dietrich. «Die Menschen kommen in die Schweiz, weil sie ein besseres Leben wollen. Für diesen Schritt gibt es allerdings viele Gründe. Und man muss von Fall zu Fall urteilen.» Aus welcher Situation heraus Flüchtlinge sich in Bewegung setzen, müsse genau betrachtet werden. Fakt sei, dass diese Menschen viel Hoffnung auf ein besseres Leben haben. Und in der Schweiz biete der Fachkräftemangel zudem Möglichkeiten, und zwar mit ganz legalen Mitteln.
Schweizer Werte tatsächlich gefährdet?
«Aber», räumte Roland Vogt ein, «die Schweiz kann nicht alle aufnehmen.» Kommen laut dem SVP-Grossrat zu viele Flüchtlinge ins Land, sei das Schweizer Volk bald überfordert, «und unsere Werte und die Schweizer Kultur sind gefährdet». Und oft kämen einfache Arbeiter in die Schweiz und eben keine Fachkräfte, so Vogt.
Die beiden jungen Podiumsteilnehmerinnen aus der Ukraine und aus dem Iran betonten, dass sie sehr gerne in der Schweiz sind und hier auch arbeiten möchten. Die Ukrainerin sucht eine Stelle in der Region. Obwohl sie weiss, dass sie vielleicht einmal nach Hause gehen wird oder muss.
Und die junge Iranerin versichert: Sollte das Iran-Regime endlich gestürzt werden und die Frauen in Freiheit leben können, dann gehe sie zurück in ihre Heimat. Und die grosse Dankbarkeit an die Schweiz werde sie dabei begleiten.
«Diese Zahl ist erschütternd»
Flüchtlingstag: Begrüssungsreferat von Elisabeth Burgener
Die ehemalige Grossratspräsidentin und aktuelle Präsidentin von Caritas Aargau Elisabeth Burgener wandte sich mit eindringlichen Worten an die Besucherinnen und Besucher des Flüchtlingstages. Dies sei ein Tag des Innehaltens und Feierns. «Zusammen leben – zusammen wachsen» sei ein passendes Motto, so Burgener anlässlich ihrer Eröffnungsrede. Gegenwärtig sind weltweit über 120 Millionen Menschen auf der Flucht, «mehr als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese Zahl ist erschütternd.» Und ein kleiner Teil dieser Menschen besuchte auch den Flüchtlingstag in Wohlen, «dies sind alles Menschen mit Hoffnungen und Träumen. Menschen, die ihr Zuhause verloren haben.»
Am Anfang ein Gefühlschaos
Hier in der Schweiz gehe man oft davon aus, dass die Krisen dieser Welt weit weg seien. «Das ist ein Irrtum, denn wir sind mittendrin», betonte sie. Ob der Nahe Osten, die Ukraine, Afghanistan, «die Krisen betreffen uns politisch und menschlich», sagte Burgener. «Diese Krisen machen uns betroffen und überfordern uns.» Darum sei es umso wichtiger, dass die Schweiz ihre humanitäre Tradition fortführt. Die Schweiz soll ein Ort sein, wo man diese Menschen aus den Krisengebieten fragt, was sie brauchen für ein sorgenfreies Leben.
Man müsse unbedingt bedenken, so die ehemalige Grossratspräsidentin, «dass Flucht oft die letzte Entscheidung ist. Denn niemand verlässt in der Regel ohne Grund sein Zuhause.» Wer flüchtet, habe oft eine lange und traumatisierende Reise hinter sich. Wer dann erst mal ankommt, der erlebe bei seiner Ankunft ein Gefühlschaos. Deshalb benötigen Flüchtlinge erst Orientierung. Erst dann könne eine soziale Teilhabe entstehen. «Darum tragen auch wir Verantwortung für die Integration dieser Menschen.» Und in einer solchen Welt dürfe Flucht nicht einfach zum Schicksal werden.
Gelingende Integration zahlt sich aus
Elisabeth Burgener forderte zum Schluss ihrer Ansprache, dass «Polemik nicht die Debatte beherrschen darf». Es gebe zudem viele Gemeinden, in denen das Miteinander funktioniere. Auch die Zusammenarbeit zwischen Bund, Kanton und Gemeinden funktioniere recht gut. «Das ist das Instrument für gelingende Integration.» Zwar kostet Integration etwas, «aber sie zahlt sich aus». Bei der Integration sparen zu wollen, erzeugt das Gegenteil, nämlich Mehrkosten. Der Flüchtlingstag sei ein wunderbares Beispiel, wie gut Integration funktionieren könne, so Elisabeth Burgener abschliessend. --dm