«Verbundenheit ist Grundbedürfnis»
18.03.2025 Kelleramt, ArniPsychologin Naima Ferrante, spezialisiert aufs Thema Einsamkeit, referiert in der Kirche Arni
Neu ist das Thema Einsamkeit nicht. Erst die Coronapandemie hat es allerdings so richtig ins Bewusstsein gebracht. In Arni sind zwei Vorträge mit Diskussion geplant. Am 28. ...
Psychologin Naima Ferrante, spezialisiert aufs Thema Einsamkeit, referiert in der Kirche Arni
Neu ist das Thema Einsamkeit nicht. Erst die Coronapandemie hat es allerdings so richtig ins Bewusstsein gebracht. In Arni sind zwei Vorträge mit Diskussion geplant. Am 28. März stehen Kinder und Jugendliche im Fokus, am 4. April Erwachsene und Senioren.
Thomas Stöckli
Zum Anfang eine These: Viele einsame Menschen leiden still. Stimmen Sie zu?
Naima Ferrante: Ich stimme definitiv zu.
Und weshalb?
Da man Einsamkeit den Menschen nicht ansieht. Ähnlich verhält es sich mit Trauer. Es gibt jedoch subtile Anzeichen von Einsamkeit, für die es ein Gespür braucht. Wir sollten den Mut haben, die Betroffenen anzusprechen.
Die reformierte Kirche Kelleramt wollte das Thema bewusst machen und suchte über zwei Jahre nach einer Referentin oder einem Referenten zu diesem Thema. Wird das an den Universitäten und Institutionen vernachlässigt?
Als ich damals klinische Psychologie studierte, ist mir das Thema Einsamkeit nicht begegnet, was mich heute sehr überrascht. Die Coronapandemie hat jedoch zwangsläufig dafür gesorgt, dass das Thema in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist, und mittlerweile wird viel Forschung in diesem Bereich betrieben. In den letzten Jahren habe ich auch Anfragen für Interviews von Studierenden erhalten, die ihre Arbeit darüber schreiben. Die Forschung zum Thema Einsamkeit liefert viele wertvolle Erkenntnisse, die von den Forschenden selbst stärker in die Öffentlichkeit getragen werden sollten. Diese Lücke versuche ich mit meinem Engagement zu schliessen.
Was hat Sie dazu bewogen, sich intensiv mit der Einsamkeit auseinanderzusetzen?
Das Thema Einsamkeit begleitet mich schon seit der Kindheit, doch erst seit der Coronapandemie beschäftige ich mich intensiv damit. Ich habe mich damals intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie es um die Einsamkeit von jungen Menschen steht. Es war mir wichtig, diese Zielgruppe in den Fokus zu nehmen, denn wir müssen Alterseinsamkeit präventiv angehen – und dazu gehört eine frühzeitige Auseinandersetzung mit der Thematik.
Was heisst einsam sein und worunter leiden die Betroffenen?
Wichtig ist, dass es bei Einsamkeit um ein Gefühl geht. Daher beschreibt «einsam sein» eher einen objektiven Zustand des Alleinseins. Einsamkeit kann als ein subjektives Gefühl definiert werden, das auftritt, wenn das Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit nicht befriedigt wird. Ich würde diese Definition jedoch erweitern, denn diese Diskrepanz kann sich nicht nur in Bezug auf soziale Verbundenheit zeigen, sondern auch darin, dass wir uns mehr Verbundenheit mit uns selbst wünschen. Verbundenheit mit sich selbst ist eine wichtige Voraussetzung für Bindungsfähigkeit. Menschen beschreiben das Gefühl der Einsamkeit unterschiedlich – es hängt davon ab, welches Bedürfnis sie haben, was ihnen fehlt. Man unterscheidet zudem zwischen verschiedenen Formen von Einsamkeit. So gibt es neben der emotionalen oder sozialen Einsamkeit auch etwa die existenzielle Einsamkeit.
Auf welche Anzeichen sollte man als Angehöriger oder Nachbar reagieren und wie?
Eine negative Haltung gegenüber anderen oder Rückzug könnten Hinweise auf Einsamkeit sein. Einsame Menschen haben oft eine Negativ-Brille auf: Sie sind empfänglicher für Kritik und Ablehnung. Sie nehmen Signale stärker wahr oder interpretieren diese fehl. Eine Folge kann sein, dass sie anderen gegenüber misstrauischer werden und sich immer mehr zurückziehen, was zu einem Teufelskreis führen kann. Man muss das Verhalten im Kontext betrachten – und noch wichtiger ist die Kommunikation, also vorsichtig nachfragen. Dazu werde ich am Vortrag mehr verraten.
Wie arbeiten Sie als Therapeutin mit einsamen Menschen?
Ich werde erst ab Mai psychotherapeutisch arbeiten, habe aber schon viele Ideen und Impulse, wie ich vorgehen möchte. Wichtig ist, das Thema möglichst früh anzusprechen, denn ich bin überzeugt, dass Menschen, die eine Psychotherapie aufsuchen, einen Berührungspunkt mit diesem Thema haben. Der Wunsch nach Verbundenheit ist ein Grundbedürfnis, das wir alle haben. Ich spreche dabei nicht nur von Verbundenheit mit anderen Menschen. Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu verbinden: die Natur, Spiritualität, Körper, Tiere, Aktivitäten, Musik, Poesie, Reisen und so weiter. Deshalb finde ich das Thema auch so spannend. Dies möchte ich den Menschen, die zu mir kommen, vermitteln. Mein Credo lautet: Es gibt viele Wege aus der Einsamkeit.
Mit welchen Strukturen können wir als Gesellschaft Einsamkeit reduzieren?
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, wir müssen als Gesellschaft zuerst ein Bewusstsein für die Relevanz dieser Thematik entwickeln. Eine wichtige Massnahme ist die Aufklärung und Sensibilisierung. Der Verein «connect» hat mit seiner Initiative den Grundstein dafür gelegt. Ich war am Vorprogramm beteiligt und bin positiv überrascht, was daraus entstanden ist und was noch kommen wird.
In Arni finden zwei Vorträge mit Diskussion statt, einer über Kinder und Jugendliche, ein zweiter für Erwachsene und Senioren – weshalb diese Trennung?
Ich war ehrlich gesagt auch überrascht, dass diese Trennung gemacht wurde, jedoch macht es auch Sinn, die unterschiedlichen Altersgruppen in den Fokus zu nehmen. Wenn wir bei Kindern und Jugendlichen ansetzen, geht es um Prävention. So können wir Einsamkeit auch im Alter entgegenwirken. Wenn wir bei Erwachsenen und Senioren ansetzen, geht es eher darum, Einsamkeit zu reduzieren und soziale Isolation zu verhindern.
Was darf sich die Gemeinde Arni, die Region Kelleramt vom Anlass erhoffen?
Mein Hauptziel ist es, Diskussionen anzuregen, die Menschen für diese Thematik zu sensibilisieren und aufzuklären. Ich begreife mich daher als Impulsgeberin. Das Thema ist so komplex, und es gibt viele verschiedene Ansatzpunkte. Zu glauben, dass Einsamkeit an einem Abend abgehandelt werden kann, wäre ein Trugschluss. Wenn die Personen nach dem Anlass sagen, es sei inspirierend gewesen, freut es mich. Wenn sie danach den Wunsch haben, selbst aktiv zu werden, dann habe ich mein Ziel erreicht: Gemeinsam weniger einsam – eben, wie mein Claim lautet.
Welche Rolle spielt die Generationendurchmischung im Kampf gegen Einsamkeit?
Die Generationendurchmischung ist eine sehr wirksame Massnahme gegen Einsamkeit. In welcher Form sich Menschen unterschiedlichen Alters verbinden und unterstützen, ist vielfältig. Ich kann aus persönlicher Erfahrung sagen, dass die enge Beziehung zu meiner Grossmutter mir geholfen hat, mich weniger einsam zu fühlen. Für sie da zu sein und sie zu betreuen, als sie an vaskulärer Demenz erkrankt ist, hat mir für mein Leben sehr viel mitgegeben. Wir können sehr viel voneinander und aus unterschiedlichen Geschichten lernen. Es ist ein Geschenk.
Welche Entwicklung wünschen Sie sich für eine Gesellschaft mit weniger Einsamkeit?
Dass wir als Gesellschaft das Miteinander bewusster gestalten, um gesünder und zufriedener zu sein. Dass wir den Gemeinschaftssinn (wieder) stärken und nicht zuletzt das, was der Verein «connect» heute leistet.
Psychologin Naima Ferrante referiert auf Einladung der reformierten Kirchgemeinde zum Thema Einsamkeit in der Kirche Arni, Staldenstrasse. Am Freitag, 28. März, um 19.30 Uhr geht es um Kinder und Jugendliche, am Freitag, 4. April, 19.30 Uhr, um Erwachsene und Senioren.