Statt Bauern jassen nun Frauen
08.08.2025 KelleramtGesellschaft im Wandel
«Weisch no»: Ruth Bruderer, Wirtin in Werd
Als Ruth Bruderer vor bald 40 Jahren im Restaurant Reussbrücke in Werd zu wirten begann, hielt sich hier der Vertrauensvorschuss, der ihr – «der ...
Gesellschaft im Wandel
«Weisch no»: Ruth Bruderer, Wirtin in Werd
Als Ruth Bruderer vor bald 40 Jahren im Restaurant Reussbrücke in Werd zu wirten begann, hielt sich hier der Vertrauensvorschuss, der ihr – «der Zürcherin» – entgegengebracht wurde, in engen Grenzen. Jetzt sind sie und ihr «ewigs Liechtli» aus dem Weiler und der ganzen Region nicht mehr wegzudenken. Die Gastgeberin ist gekommen, um zu bleiben.
Und sie hat so manches erlebt. Darauf blickt Ruth Bruderer im Rahmen der Sommerserie «Weisch no» zurück. Aus der Perspektive der Wirtin zeigt sie auf, wie sich die ländliche Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat – und mit ihr auch die Gastronomie. --tst
Sommerserie «Weisch no» mit Ruth Bruderer, Wirtin im «ewige Liechtli» in Werd
Ruth Bruderer gefällt es in Werd, Rottenschwil. Sie könne es ja nirgends besser haben, sagt sie – und blickt zurück auf ihr langjähriges, allseits geschätztes Wirken.
Thomas Stöckli
«Die Gäste sind anspruchsvoller geworden», sagt Ruth Bruderer. Sie empfängt am grossen Holztisch in der gedeckten Gartenwirtschaft. Da, wo rauchen noch erlaubt ist. Selbst hat sie zwar aufgehört. «Aber die Leute schätzen es sehr, hier rauchen zu dürfen», sagt sie. «Und ich rieche es immer noch gern», fügt sie an.
Bald 40 Jahre ist es her, dass Ruth Bruderer mit ihrem im September 2023 verstorbenen Mann Richard das Restaurant Reussbrücke – besser bekannt als «s ewige Liechtli» – in Werd übernommen hat. Auch wenn sie zuletzt den Aristauer «Talhof» geführt hatte, sei sie, «die Zürcherin», doch mit Argwohn empfangen worden, blickt sie zurück. «Den Sommer zu überleben, das trauten sie mir zu, aber den Winter nicht.» Doch sie schaffte es und erarbeitete sich das Vertrauen der Einheimischen. «Jetzt essen alle bei mir», sagt die Wirtin, lächelt und lobt den Zusammenhalt im idyllischen Weiler. Wie es ihr gelungen ist, die Vorurteile abzubauen, daran kann sie sich nicht erinnern.
Der Stammtisch hat sich gehalten
«Die Leute hocken nicht mehr so lange», nennt die Wirtin den grössten Unterschied zu den Anfangszeiten: «Die meisten kommen, essen – und gehen dann wieder.» Als einschneidende Änderungen nennt sie die Senkung der Promillegrenze im Strassenverkehr (2005), aber auch das Rauchverbot in der Gastronomie (2010). Weiter traf man sich früher noch zum Znüni im Restaurant. «Das gibt es heute nicht mehr.»
Immerhin der Feierabend-Stammtisch am Mittwoch hat sich gehalten. Und am Wochenende kommen die Ausflügler, viele Velofahrer, aber auch «Böötler» nach der geselligen Flussfahrt auf der Reuss. Bei Letzteren mangle es allerdings zuweilen an der Verlässlichkeit: «Kürzlich hatten wir eine Gruppe von zehn Personen, die drei Stunden später kamen, als ursprünglich angemeldet», so die Wirtin. Umstände, die sie gerne in Kauf nimmt, um an diesem verträumten Ort leben und arbeiten zu dürfen.
Frauen sind heute selbstständiger
Das traditionelle Landrestaurant bietet 55 Personen Platz. Bis zu 30 Personen passen ins Säli und weitere 80 in die lauschige Gartenwirtschaft. Auf Plastikstühlen braucht hier längst keiner mehr zu sitzen. «Das hat mich lange genervt», gibt Ruth Bruderer unumwunden zu. So sehr, dass sie vor 15 Jahren in hochwertige Gartenmöbel investierte und diese erst kürzlich revidieren liess. «Vor 40 Jahren war Werd nur ein Bauernkaff», blickt die Wirtin zurück. Die rege Bautätigkeit hat den Charakter des Weilers beeinflusst, ebenso wie der zunehmende Schleichverkehr. Was hat sich gesellschaftlich geändert? «Wir hatten jeden Tag ‹Jassete›», erinnert sich Ruth Bruderer. Vor allem Bauern aus Jonen seien jeden Nachmittag gekommen, hätten zum Kartenspiel geraucht und getrunken, während mutmasslich die Frauen auf dem Hof die Arbeit verrichteten. «Bauern, die den ganzen Nachmittag jassen, das gibt es heute nicht mehr», so die Wirtin.
Gejasst wird zwar immer noch, aber heute sind es eher die Frauen. Vier verschiedene Gruppen kommen unabhängig voneinander alle 14 Tage bis drei Wochen, um gemeinsam zu essen und Karten zu spielen. «Manchmal haben wir am Abend 30 Frauen und nur fünf Männer», sagt die Gastgeberin. Dass die Frauen selbstständiger sind, auswärts arbeiten und weniger auf die Kinderbetreuung reduziert werden, macht ihr Freude. Selbst hätte sie in jener Lebensphase weder die Zeit noch das Geld dazu gehabt, erinnert sie sich mit etwas Wehmut.
«Konkurrenz» nimmt ab
Auch diesbezüglich haben sich die Zeiten geändert: «Man merkt, dass die Portemonnaies besser gefüllt sind», stellt sie fest. Insbesondere die älteren Gäste geben Geld aus, um es sich gut gehen zu lassen. An einem normalen Mittwoch kommen bis zu 100 Mittagessen aus der Küche. «Aber es gibt ja auch ringsum immer weniger Restaurants», ordnet sie ein.
«Wie lange machen Sie noch weiter?» Darauf werde sie immer wieder angesprochen, sagt Ruth Bruderer. «Aber ich kann es ja nirgends besser haben», winkt sie ab. Und: «Das Personal schaut so gut zu mir.»