Spekulatives Leben auf Planet Pink
11.10.2024 Kelleramt, ArniPinkes Leben auf pinkem Planeten
Künstlerin Nici Jost stellt zurzeit bei Leipzig ihre jüngsten Werke aus
Pink ist Nici Josts Farbe. Jetzt kreierte sie fiktive pinke Lebewesen auf einem realen Planeten.
Der Planet ...
Pinkes Leben auf pinkem Planeten
Künstlerin Nici Jost stellt zurzeit bei Leipzig ihre jüngsten Werke aus
Pink ist Nici Josts Farbe. Jetzt kreierte sie fiktive pinke Lebewesen auf einem realen Planeten.
Der Planet «GJ 504b» befindet sich rund 57 000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Er schimmert pink. Darauf wurde die Künstlerin Nici Jost durch den Ben Moore, Astrophysik-Professor an der Uni Zürich, aufmerksam gemacht. Er hatte den Planeten entdeckt, während Jost sich seit 20 Jahren mit der Farbe Pink befasst. Fast gleichzeitig wie der Professor meldete sich Nadine Friedel bei Nici Jost und fragte, ob sie zusammen ein Kunstprojekt mithilfe von künstlicher Intelligenz realisieren könnten.
Die beiden Frauen kreierten nun fiktive Lebewesen, die auf dem Planeten «GJ 504b» leben könnten. Zudem entstand eine künstliche Person, die als Moderatorin an das Thema Farbwahrnehmung im Weltall heranführt. Die Ergebnisse sind noch bis 26. Oktober im Schloss Gleina und in der Arche Nebra bei Leipzig zu besichtigen. Zudem wird Nici Jost am Samstag, 19. Oktober, vor Ort sein und referieren. --red
Das jüngste Werk von Künstlerin Nici Jost aus Arni ist eine Verschmelzung von Kunst, Wissenschaft und Technologie
Seit 20 Jahren beschäftigt sie sich künstlerisch-forschend intensiv mit der Farbe Pink. Neu auch jenseits der Erdatmosphäre. In ihrem Atelier in Arni lässt Nici Jost Aussergewöhnliches entstehen.
Thomas Stöckli
Wie weiter? Diese Frage stellte sich für Nici Jost nach einem halbjährigen Recherche-Aufenthalt in Shanghai, China, dessen Resultate sie 2021 im Kunstraum Baden gezeigt hat. Just in diesem Neuorientierungsprozess meldete sich Ben Moore, Astrophysik-Professor an der Uni Zürich bei ihr: Ob ihr bewusst sei, dass es auch pinke Planeten gebe? «GJ 504b» heisst der Gasplanet, dessen hydrogenes Gas im ultravioletten Licht «seines» Sterns tatsächlich in einem matten Magentaton sichtbar würde, falls je ein menschliches Auge die 57 000 Lichtjahre Entfernung überwinden könnte. Fast gleichzeitig wurde auch Nadine Friedel vorstellig. Die Technologie-Enthusiastin meldete Interesse an, gemeinsam ein Kunstprojekt mit künstlicher Intelligenz (KI) zu realisieren. Nici Jost erkannte sofort: KI könnte helfen, sich dem Planeten, der auf andere Wege unerreichbar bleibt, anzunähern.
Zusammensetzung nicht entschlüsselbar
In einem ersten Schritt hat die Künstlerin ihren eigenen Farbfächer um einen neuen Ton erweitert: «GJ 504b-Pink». «Zum ersten Mal hatte ich für einen Farbton keine fassbare Vorlage», beschreibt sie die Herausforderung.
Entsprechend lange pröbelte sie in Zusammenarbeit mit einer Farbenfabrik mit verschiedenen Pigmenten. Die Mischung sei so aussergewöhnlich geworden, dass die Messgeräte im anschliessenden Analyseversuch der Zusammensetzung scheiterten.
«Ein Farbton, der nicht messbar ist – das passt gut zum Universum», hat sich Nici Jost gedacht und eine Wandfläche ihres Ateliers in Arni in diesem Farbton gestrichen. Im April haben ihr Partner Thomas Schibli und sie ihr «studio toni» bezogen, einen Kreativort für Kunst, Fotografie und Grafik.
Potenzielle Bewohner gestaltet
Mit einer Oberflächentemperatur von 237 Grad Celsius dürfte «GJ 504b» kaum Leben ermöglichen. Und wenn doch? Mit diesem Thema haben sich Nici Jost und Nadine Friedel im Dialog mit künstlicher Intelligenz beschäftigt. Als «Pingpong-Spiel zwischen KI, Künstlerin und Wissenschaft» beschreibt die Arnerin den Schaffensprozess. Dabei haben die beiden Frauen ihre Kenntnisse über KI verfeinert und gleichzeitig die KI an ihre Erwartungen herangeführt, sie in ihrem Sinne «trainiert». So nahmen potenzielle Wesen Form an. Etwa die «Luminal Floaters», mehrere Kilometer grosse, ballonartige Kreaturen, die ihre Energie einerseits direkt aus dem Sonnenlicht beziehen und sich andererseits von kleineren Organismen ernähren, die ihrerseits Licht in chemische Energie umwandeln können. Grundsätzlich zeichnet die hypothetische Fauna aus, dass sich die einzelnen Lebewesen mit anderen zusammenschliessen und so signifikant wachsen können. Die Gedankenspiele haben überraschende Parallelen zu den «Gassack-Theorien» der Cornell Universität aus dem Jahr 1976 über hypothetische Ökosysteme in der Atmosphäre des Jupiters gezeigt: «Plötzlich passte alles zusammen», so die Künstlerin.
Künstliche Intelligenz und ihre Grenzen
Nebst den Visualisierungen von interstellaren Wolken, dem Planeten «GJ 504b» und seiner Atmosphäre, wobei die KI mit öffentlich zugänglichen Aufnahmen der NASA und Bildern aus dem Fotoarchiv von Nici Jost «gefüttert» wurde, erstellten die beiden Frauen auch einen «KI-Avatar», also eine künstliche «Person», die den Betrachter als Moderatorin ans Thema Farbwahrnehmung im Weltall heranführt. «Mika» haben Nici Jost und Nadine Friedel diese Kunstfigur genannt. Es ist eine bewusst androgyne Figur, die allerdings einige Züge ihrer «Schöpferinnen» aufweist. «Die Herausforderung war, eine Figur zu erstellen, die nicht aussieht wie ein Model», beschreibt die Künstlerin. Im Dialog mit der KI haben sie deshalb versucht, von der Perfektion wegzukommen, etwa indem sie Hautunreinheiten ins virtuelle Gesicht einfügten.
Kritische Auseinandersetzung mit der Technologie
Doch darf eine Koproduktion mit Künstlicher Intelligenz überhaupt als Kunst bezeichnet werden? «Das hat tatsächlich eine Debatte ausgelöst», verrät Nici Jost. In ihrem Fall beantwortet sie die Frage mit einem überzeugten Ja. Schliesslich dient die KI als Werkzeug, um die künstlerische Idee umzusetzen. Dabei sieht sie die Technologie durchaus auch kritisch, etwa in Bezug auf Ethik und Urheberrechte. Aber auch auf den Strom, den die hohen Rechnerleistungen verbrauchen. «Weggehen wird die Technologie nicht mehr», ist die Künstlerin überzeugt. Deshalb baut sie auf Transparenz und einen effizienten Umgang und bietet gemeinsam mit Nadine Friedel ihr gewonnenes Wissen in KI-Workshops an.
Seit dem 13. September und noch bis zum 26. Oktober ist das Kunstprojekt «GJ 504b» in Deutschland zu bestaunen, im Rahmen der Ausstellung «KOS-MOS[KA.OS]» im Schloss Gleina und in der Arche Nebra bei Leipzig. Am Sonntag, 19. Oktober, referieren Nici Jost und Nadine Friedel dort gemeinsam über Kunst und Wissenschaft.
Persönlich
Nici Jost ist Fotografin und Konzept-Künstlerin und lebt in Arni. In ihrem künstlerischen Schaffen hat sie sich seit 20 Jahren der intensiven Auseinandersetzung mit der Farbe Pink verschrieben. Einer Farbe, die polarisiert wie keine andere. Um der Vielfalt der Nuancen von Pink Ausdruck zu verleihen, hat die Künstlerin ihre eigene Palette entwickelt, die sie kontinuierlich erweitert, zuletzt um den Farbton «GJ 504b Pink» vom gleichnamigen, 57 000 Lichtjahre entfernten Gasplaneten.