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23.05.2023 Fussball, SportDie Freiämter Schiedsrichterassistentin Susanne Küng reist an die Weltmeisterschaft nach Ozeanien
Sie gehört zu den besten Schiedsrichterassistentinnen der Welt und ist in einer Anwaltskanzlei tätig. Susanne Küng hat schon vieles in ihrem ...
Die Freiämter Schiedsrichterassistentin Susanne Küng reist an die Weltmeisterschaft nach Ozeanien
Sie gehört zu den besten Schiedsrichterassistentinnen der Welt und ist in einer Anwaltskanzlei tätig. Susanne Küng hat schon vieles in ihrem Sportlerleben erfahren – und freut sich nun auf einen weiteren Meilenstein in ihrer Karriere. Beim Treffen mit der 35-Jährigen ereignet sich zudem ein riesiger Zufall.
Stefan Sprenger
Eigentlich unglaublich. Was am Ende des Treffens mit der Schiedsrichterassistentin Susanne Küng geschieht, ist ein Zufall. Ein toller Zufall. «Das ungewisse Etwas mit dem gewissen Etwa», wie es so schön heisst. Als man sich auf dem Parkplatz vor dem Wohler Gemeindehaus gerade verabschiedet, fährt ein Auto vor und parkiert neben Küng. Ein Mann steigt aus, auf dem Gesicht ein breites Lachen. Es ist Francesco Buragina. Der Wohler war jahrelang einer der besten Linienrichter der Welt. Immer bodenständig, immer korrekt – und er erlebte in seiner Karriere gigantische Höhepunkte. Er war an Spielen bei der EM 2004 in Portugal, der WM 2006 in Deutschland und 2010 in Südafrika dabei. Zwischen 2001 und 2011 assistierte er bei 36 Spielen in der Champions League – darunter zwei Finalspiele. Buragina kennt Susanne Küng. «Natürlich verfolge ich sie. Hammer, was sie leistet», sagt Buragina.
Zuletzt vor über 70 000 Fans
Die beiden begrüssen sich herzlich, sie kennen sich, sie schätzen sich. Buragina sagt zu Küng: «Geniess die Weltmeisterschaft. Es ist ein Riesenerlebnis.» Susanne Küng wird in wenigen Wochen abreisen. Ziel: Sydney. Auftrag: «Die beste Leistung abrufen.» Erwartung: «Eine der besten Frauenfussball-WMs der Geschichte erleben.» Mit Schiedsrichterin Esther Staubli darf die Freiämterin an der Frauenfussball-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland dabei sein. Sie freut sich riesig. Das verrät ihr Lächeln.
Nervös ist sie nicht. Dafür hat sie schon zu viel erlebt. Ein kleiner Auszug: Champions League Final (2015), Weltmeisterschaft (2019), Olympia (2020) oder Europameisterschaft (2022). Vor wenigen Wochen war sie im Champions-League-Halbfinal zwischen dem FC Barcelona und dem FC Chelsea. Und das vor 72 262 Fans im Camp Nou. «Lieber ein so volles Stadion, als wenn nur eine Handvoll Zuschauer da sind und man jedes Wort versteht», sagt sie lachend.
Ihr Freund ist zum Fussballfan geworden
Vom Camp Nou in Barcelona auf den Sportplatz Chrüzmatt in Dagmersellen. Hier, im Luzerner Hinterland, trainiert sie oft. Mehrmals pro Woche. Fitness, Ausdauer. Sie muss körperlich topfit sein. In Dagmersellen wohnt Susanne Küng gemeinsam mit ihrem Freund. Übrigens ist der frühere FC-Wohlen-Goalie Flamur Tahiraj praktisch ihr Nachbar. Ihr Freund sei «kein Fussballer» und interessiere sich nur am Rande für den Ballsport. Doch seit er mit Susanne Küng liiert ist, besucht er Fussballspiele im Stadion, wenn sie im Einsatz steht – oder schaut mit ihr die Matches im TV an. «Er weiss, wie wichtig mir das ist. Er unterstützt mich sehr», sagt Küng.
In ihrer Heimat Freiamt ist sie, so oft es ihr Sportler- und Privatleben zulässt. Aufgewachsen ist sie in Merenschwand, fussballerisch zu Hause ist sie beim FC Muri, wo sie vom Nachwuchs bis zum ersten Frauenteam spielte. Zuletzt wohnte sie ein paar Jahre in Wohlen, bevor sie 2021 nach Dagmersellen zügelte. Ihr VW-Büsli hat jetzt ein Luzerner Kennzeichen. «Daran habe ich mich noch nicht ganz gewöhnt», sagt sie.
Die Familie Küng kennt man – in der Politik
Küng besuchte in Muri die Oberstufe, ging in Wohlen zur Kanti (übrigens mit FC-Muri-Präsident Michael Stadelmann). Zu ihrer Familie hat sie einen engen Kontakt. Und auch dort gibt es bekannte Persönlichkeiten. Ihr Vater Hannes Küng war 12 Jahre lang im Gemeinderat von Merenschwand, acht davon als Ammann. Ihre Schwester Lea Küng ist Präsidentin der «Grünen» des Bezirks Muri. Bei so viel Politik stellt sich die Frage: Wo ist sie politisch zu Hause? «Nirgends. Politik ist nichts für mich. Ich bin Sportlerin», meint sie.
Steuerrecht mit Sport verbinden
Und Anwältin. In einer Kanzlei in Bern arbeitet sie als Anwältin für Steuerrecht in einem 60-Prozent-Pensum, hat gerade ihre Dissertation geschrieben – und wird bald Doktorin sein. «Steuerrecht und Sport, das möchte ich in meinem späteren Berufsleben etwas mehr verbinden, wenn es möglich ist», sagt sie. Also auch im Job drückt die Sportlerin durch.
Die aktuelle Saison war nicht nur wegen des Champions-League-Halbfinals und der bevorstehenden WM besonders. Die Freiämter Schiedsrichterassistentin war zudem dabei, als in der Schweiz zum ersten Mal ein komplett weibliches Schiedsrichter-Quartett in der Swiss Football League zum Einsatz kam. Lausanne spielte gegen Thun. Küng sagt: «Das war für uns eine Randnotiz. Für die Spieler wie auch für uns ist es mittlerweile normal, dass Frauen die Spiele leiten.» Vor über 10 Jahren war das noch ganz anders. Es sind Persönlichkeiten wie Susanne Küng, die diese Geschlechtermauern im Fussball eingerissen haben. Sie sagt dazu: «Es geht darum, die Spiele korrekt zu leiten, die richtigen Entscheide zu treffen. Daran wird man gemessen. Das Geschlecht ist egal.»
Cup-Krimi des FC Wohlen
Ebenfalls besonders in dieser Saison war das Spiel im Schweizer Cup-Achtelfinal im November 2022. Auf den Niedermatten in Wohlen – wo sie früher oftmals trainierte – war sie Assistentin beim Spiel zwischen dem FC Wohlen und Servette Genf. 1. Liga gegen Super League. Ein Spiel, das unerwartet spannend und hitzig wurde. Wohlen ging 1:0 in Führung, Servette musste unten durch – und konnte sich am Ende in der Verlängerung durchsetzen. «Ja, das war ein spezieller Abend», sagt sie.
Für ihre Leidenschaft macht sie viel. Der Aufwand ist enorm. Sie muss regelmässig ihre Trainingsdaten auf eine Plattform der FIFA laden – als Kontrolle. Sie trainiert alleine oder mit einem Personal-Trainer. Kraft Ausdauer, Sprint. Dazu kommen Matchvorbereitungen und Spielanalysen. Für Küng kein Problem. «Es ist ein Privileg. Ich erlebe eindrückliche Dinge, bereise viele Orte auf dieser Welt, lerne spannende Menschen kennen. Das alles ist nicht selbstverständlich. Das schätze ich sehr. Ich bin dankbar, dass ich so viele tolle Momente dank dem Sport sammeln darf.»
Die nahe und ferne Zukunft bieten viele Highlights
Ein solch toller Moment ereignet sich beim Interview mit dieser Zeitung, als Francesco Buragina zufällig auftaucht. Der Schiedsrichterassistent ist eine Legende in diesem Fachgebiet. «Er hat enorm viel erreicht», sagt Küng. Buragina – ebenfalls sehr bodenständig – gibt alles zurück: «Dein Weg geht steil nach oben. Du machst deine Sache hervorragend, halte deine Ziele weiterhin vor Augen, dann kommt das gut.»
Und das macht Susanne Küng. Sie ist in ihrer ersten Saison als Super-League-Schiedsrichterassistentin. «Das macht richtig Freude», sagt sie. Nun kommt die WM. «Das wird eine schöne Sache. In Australien und Neuseeland ist man sportverrückt. Die Stadien werden sicherlich gut gefüllt sein. Das freut mich sehr für den Frauenfussball.» Und was bringt die Zukunft? «International gibt es noch Teams oder Stadien, die ich gerne einmal erleben würde. Und dann ist ja noch die Europameisterschaft 2025 in der Schweiz.» Das ist ein grosses Ziel.
Ein Tipp von Buragina
Am 6. Juli ist Abflug zur WM, die vom 20. Juli bis 20. August stattfindet. Ist es ihr Traum, den Final in Sydney zu leiten? Küng überlegt. «An einer WM dabei zu sein, ist schon richtig toll und ein grosser Erfolg. Ich will nicht übermütig werden», lacht sie. Francesco Buragina steht daneben und lauscht gespannt ihren Worten. Er war 2004 beispielsweise beim Viertelfinal an der EM zwischen Portugal und England dabei, als Schiedsrichter Urs Meier die Partie leitete. 6:5 siegte Portugal in einem dramatischen Spiel. Buragina klopft Küng auf die Schulter: «Glaub mir, ein Viertelfinal oder Halbfinal ist genauso gut wie ein Final.»