«Schule ist Abbild der Gesellschaft»
17.03.2023 WohlenPräsidium der Schulleitungskonferenz, Franziska Walti und Paul Bitschnau, zu Führungsstrukturen und aktuellen Themen
Die neue Führungsstruktur hat sich eingespielt. Die Co-Leitung mit Franziska Walti und Paul Bitschnau zieht eine positive erste Bilanz. Die ...
Präsidium der Schulleitungskonferenz, Franziska Walti und Paul Bitschnau, zu Führungsstrukturen und aktuellen Themen
Die neue Führungsstruktur hat sich eingespielt. Die Co-Leitung mit Franziska Walti und Paul Bitschnau zieht eine positive erste Bilanz. Die Herausforderungen bleiben jedoch vielfältig: Lehrpersonenmangel, Heterogenität, Integration, Ausländerthematik, Wachstum und bald fehlender Schulraum beschäftigen die Verantwortlichen der Schule Wohlen.
Daniel Marti
Die Schule ist ein gut behüteter Ort – so sind zumindest die Erwartungen. Wissen und Fertigkeiten werden vermittelt, ein Stück Erziehung inklusive. Die Kinder und die Jugendlichen werden fit gemacht für Lehre, Mittelschule und Weiterbildung. Auch fürs Leben. Aber die Schule ist auch in ständiger Bewegung, oft ein Prozess, und Bildung ist nicht günstig zu haben. Schliesslich sollen auch die gesellschaftlichen Herausforderungen gemeistert werden.
Je grösser, je vielfältiger dieser Bildungsort ist, desto komplexer ist das Gesamtbild Schule. Und in dieser aktuellen Phase kommt den Schulleitungen eine noch grössere Bedeutung zu. Vor etwas mehr als einem Jahr erfolgte der bedeutungsvolle Wechsel: Die Verantwortung ging von der Schulpf lege auf den Gemeinderat über. Die Stellung der Schulleitung wurde gestärkt – und die Schulleitungskonferenz (SLK) ist gleichzeitig noch stärker gefordert, die Doppelführung mit Präsidentin Franziska Walti und Vizepräsident Paul Bitschnau erst recht.
Guten Draht zurneuen Schulchefin
Wie gut funktioniert diese neue Führungsstruktur? Wie sieht die Bilanz nach einem Jahr aus? «Der Übergang ist gut gelungen», antwortet Franziska Walti. Der Wechsel von Schulpflege zu Gemeinderat sei eine grosse Herausforderung gewesen. Sich dessen bewusst, waren beide Seiten gut vorbereitet. Und es ist wichtig, dass das eingespielte Schulleitungsmodell beibehalten wurde. «Das Konferenzmodell der SLK hat sich bewährt. Mit den neuen Führungsstrukturen liegen viele Entscheide direkt bei uns. Lösungen werden vor Ort gesucht.» Die Schulleitungskonferenz ist nach wie vor operatives Führungs- und Vollzugsorgan der Schule Wohlen. Mit der Änderung der Führungsstrukturen habe jedoch eine «gewisse Professionalisierung innerhalb der SLK stattgefunden. Und die Wege sind kürzer als zuvor», fasst Walti zusammen.
Jedes SLK-Mitglied betreut zudem einen Fachbereich. Und im SLK-Präsidium wurde die Verantwortung auf zwei Personen verteilt. «Die Zusammenarbeit und die Kommunikation in der SLK ist sehr offen», sagt Paul Bitschnau, «und im Gemeinderat stossen wir auf grosses Verständnis für die Anliegen der Schule. Dort hat man immer ein offenes Ohr für uns.» Zur neuen Schulchefin im Gemeinderat, Ariane Gregor, wurde schnell ein guter Draht aufgebaut.
Auch die neue Doppelführung der SLK hat sich schnell bewährt. Beide entwickelten ein gutes Gespür füreinander. «Wir harmonieren und funktionieren sehr gut. Das passt», sagen beide fast gleichzeitig. Die grosse Schule Wohlen mit über 2400 Schülerinnen und Schülern ist eine komplexe Angelegenheit, «da ist eine Doppelführung tragfähiger», erklärt Bitschnau. Das Vieraugenprinzip macht die Führung nur stärker.
Die neuen Führungsstrukturen haben sich also eingespielt. Die Herausforderungen sind jedoch geblieben. Lehrpersonenmangel, das Wachstum der Gemeinde, Heterogenität, Integration und digitale Medien dominieren den Schulalltag.
Lehrpersonenmangel wird zum grossen Problem
Einige Probleme verschärfen sich zudem laufend. «Der Lehrpersonenmangel», seufzt Franziska Walti, «schlägt nun voll durch.» Auf das neue Schuljahr hin werde die Situation problematisch und schwierig. «Aus heutiger Sicht betrifft es jede Einheit.» Gegenwärtig ist der Markt ausgetrocknet, Bewerbungen auf offene Stellen sind Mangelware. «Für die Besetzung der Stellen müssen wir sehr viel investieren.» Die Gründe für den Lehrermangel sind laut SLK-Führung sehr komplex. «Es hat sich vor Jahren abgezeichnet», so Walti weiter, «die Politik hat einfach zu spät reagiert.»
Die demografische Entwicklung wird das Problem in der nahen Zukunft weiter verschärfen. Viele Lehrpersonen, die Jahrgänge der Babyboomer, gehen bald in Pension. Immerhin hat sich die Lohnsituation für Lehrkräfte verbessert. Aber deswegen gibt es nicht mehr Lehrpersonen, zumal Teilzeitpensen immer beliebter geworden sind. «Oft können halt Lehrpersonen aus verschiedenen Jobangeboten auswählen», erklärt Bitschnau, «und wir müssen Kompromisse eingehen» – und Personen ohne Lehrerausbildung anstellen.
Ob jede Klasse zu Beginn des nächsten Schuljahres im August tatsächlich eine qualifizierte Lehrperson hat, das kann die SLK-Führung jetzt nicht garantieren. «Die Gefahr ist real, denn es sind keine Bewerbungen in Sicht», warnt Bitschnau.
Politik und Gesellschaft müssen sich also zwingend Gedanken machen, wie attraktiv der Lehrerberuf gestaltet werden kann. Menschen auszubilden, die den Lehrerjob nach wenigen Jahren wieder aufgeben, verbessert die angespannte Lage keinesfalls. Es braucht neue Ansätze und Antworten, damit der Lehrerberuf nicht nur «cool und lässig wirkt», sondern Lehrerinnen und Lehrer ihrer Berufung lange die Treue halten, sagt Bitschnau. Der Lehrerberuf sei nach wie vor «gesellschaftlich relevant». Aber in den letzten Jahren sind die vielen Herausforderungen, die an die Lehrpersonen gestellt werden, nicht kleiner geworden.
Wachstum der Gemeinde macht Sorge
Beim Lehrpersonenmangel gibt es eine weitere Komponente zu beachten. Wohlen wächst stetig. Bautätigkeit bedeutet mehr Schülerinnen und Schüler, mehr Platz und mehr Lehrpersonen, die benötigt werden. «Diese Perspektiven machen uns wirklich Sorgen», folgert Walti.
Das Wissen ist heute anders verfügbar als zu früheren Zeiten. Diese Entwicklung sei nicht nur spannend, sondern auch herausfordernd. «Denn wir erziehen heute die Kinder zu eigenverantwortlichen Menschen», so Walti. «Kritisches Denken, Kreativität und Kooperation sind gefordert», ergänzt Bitschnau. «Darum muss Wissen anders vermittelt werden als früher. Und es ist unser Ziel, dass Kinder ihre Potenziale ausschöpfen können.» Man dürfe nicht in alten Strukturen hängen bleiben, fordert Franziska Walti. Die Schule sei nun mal ein Abbild der Gesellschaft. Und mit der sich ändernden Gesellschaft hat sich auch die Art des Unterrichts gewandelt.
Die wachsende Heterogenität macht die Schule von heute anspruchsvoller. Begleitung und Förderung der Kinder sollen dabei im Vordergrund stehen. Heterogenität wird von Aussenstehenden allerdings oft mit der Ausländerthematik gleichgestellt – in Wohlen erst recht, denn der Anteil fremdsprachiger Kinder ist in der grössten Freiämter Gemeinde recht gross.
Gute Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit
Dies ist nicht neu. «Wir haben Erfahrung im Umgang mit Mehrsprachigkeit und sind diesbezüglich gut aufgestellt. Und bei den Schülerinnen und Schülern ist die jedenfalls kein grosses Thema», wehrt sich die SLK-Präsidentin. Die Mehrsprachigkeit der Kinder führt zwar zu Herausforderungen, «aber wir machen damit mehrheitlich gute Erfahrungen». Und es ist auch ganz normal, dass Kinder ohne Deutsch als Muttersprache die Schule gut meistern, «oder sogar besser abschliessen», räumt Bitschnau ein. Nicht der Ausländeranteil sei das Problem an der Schule, «sondern Schülerinnen und Schüler aus schwierigen sozialen Verhältnissen stellen die Schule vor grosse Herausforderungen», präzisiert Walti, «dies unabhängig von der Nationalität».
Was gerne verkürzt als Integrationsproblem dargestellt wird, ist laut Franziska Walti «eine gesellschaftliche Erscheinung. Wir haben es generell vermehrt mit jungen Menschen zu tun, die auf dünnem Eis unterwegs sind», sagt sie ganz offen. Es gibt einfach mehr Jugendliche, deren Befindlichkeit «nicht stabil ist. Sie geben schnell auf, sie brauchen eine enge Begleitung oder gar psychologische Betreuung. Die Welt ist eben auch für Kinder unsicher.» Und die Unsicherheit der Eltern greift auch auf die Kinder über.
Digitalisierung: Zeitgemäss unterwegs
Und allen Zweiflern und Kritikern gibt Paul Bitschnau noch die schweizerische Grundhaltung mit auf den Weg: «Wir sind eine Volksschule, und wir sind für alle Kinder da. Wer hier wohnt, darf hier zur Schule. An diesem Grundsatz wird nicht gerüttelt.»
Abschliessend noch zu einem sehr erfreulichen Thema: die Digitalisierung an der Schule Wohlen. «Da sind wir sehr zeitgemäss und fortschrittlich aufgestellt», freut sich Franziska Walti. «Wir sind in diesem Bereich inzwischen bei einem modernen Unterricht angelangt», fügt Paul Bitschnau an. Dank dem gegenwärtigen Konzept können Schülerinnen und Schüler ab der fünften Klasse am eigenen Laptop arbeiten. Die fortschreitende Digitalisierung ist laut Franziska Walti «auch an der Schule die Zukunft».