Raus aus der Komfortzone
22.09.2023 WohlenReto Helbling, Inhaber und Schulleiter der Privatschule Lern mit, absolvierte drei Schnupperlehren
Maurer, Landschaftsgärtner, Maler. In diese Rollen schlüpfte Reto Helbling. Und er schnupperte, während andere am Strand lagen. ...
Reto Helbling, Inhaber und Schulleiter der Privatschule Lern mit, absolvierte drei Schnupperlehren
Maurer, Landschaftsgärtner, Maler. In diese Rollen schlüpfte Reto Helbling. Und er schnupperte, während andere am Strand lagen. «Perspektivenwechsel», nennt der Inhaber der Privatschule Lern mit diese einmalige und wertvolle Erfahrung. «Es war hochspannend», freut er sich.
Daniel Marti
So etwas Abenteuerliches wollte er schon lange machen. Über zwei Jahrzehnte lang coacht und betreut er Schülerinnen und Schüler – und will für diese in der Berufswelt nur das Allerbeste. Wenn die Jugendlichen die geschützten Räume der Privatschule Lern mit verlassen, sollen sie so gut wie möglich auf die grosse Welt da draussen vorbereitet sein. Nur: Wie funktioniert diese Berufswelt überhaupt? Wie ist der Einstieg in eine Zeit als Lehrling? Das wollte Reto Helbling, Inhaber der Privatschule, unbedingt erfahren. Als Schnupperstift.
Der harte Alltag des Maurers, die Vielfalt des Landschaftsgärtners, das bunte Malerdasein – wie ist das genau? Helbling wagte es, je eine Woche lang. «Ein Perspektivenwechsel tut doch gut», sagte er sich.
Gleich alle Vorurteile vergessen
So setzte er sich mit drei Betrieben in Kontakt: Xaver Meyer AG in Villmergen, Gartenbau Stutzer in Beinwil, Maler Keller AG in Stetten. Und alle drei reagierten gleich: «Was willst du genau?»
«Schnupperstift will ich sein, und ich will genau gleich behandelt werden wie die jungen Leute.» Und so stand er zum Auftakt in aller Herrgottsfrüh bei der Xaver Meyer AG. Und alle schauten ihn ein wenig schräg an. «Von da an bin ich in eine andere Welt eingetaucht», erinnert sich Helbling. Er hatte effektiv keine Ahnung, was auf ihn zukommen würde. «Aber ich wollte ja bewusst raus aus der Komfortzone.»
Vorneweg: Es war hochspannend, und der Schulleiter hat auf dem Bau eine ganze Menge gelernt. «Man kann gleich alle Vorurteile über das Bauwesen vergessen. Die Aussenansicht entspricht selten der Wahrheit.» Er musste als Maurer, Landschaftsgärtner und Maler hart ran, wurde nie geschont. Er habe nun einen grossen Respekt vor allen drei Jobs. «Und ich habe immer eine spezielle Herzlichkeit gespürt.» Letztlich bekam er interessante Feedbacks, auch negative. Und als Malerstift machte er am ersten Tag tatsächlich alles falsch. «Was löst das in einem jungen Menschen aus?», fragte er sich.
Deutsch und Mathematik sind unverzichtbar
Reto Helbling stellte für sich viele Fragen, er erhielt ganz viele Antworten. Und er opferte dafür die Sommerferien. «Die drei Schnupperlehren haben sich jedoch definitiv gelohnt.» Es sei aber nur dann steigerungsfähig, wenn er das Gelernte seinen Schülerinnen und Schülern weitergeben könne. «Denn ich möchte den Jugendlichen ein ehrliches Bild abgeben.» Beispiele kann er da viele nennen. Eine Auswahl: Fehlende Wertschätzung kann mit dem Zeitdruck zu tun haben. Der Preisdruck ist krass und gnadenlos. Die Mentalität «geiz ist geil» hat auch viele Nachteile.
«Und es braucht bei vielen Berufen Grundkompetenzen und solides Grundwissen. Das Bodenständige, wie Deutsch und Mathematik, ist wichtig und unverzichtbar.» Nur diese wenigen Angaben könnten auch auf die Schule Einf luss nehmen. «Wisst ihr», möchte er allen Lehrpersonen sagen, «wie es da draussen zuund hergeht?»
Laut Helbling sind kreative, handwerkliche, technische Grundlagen gefragt. Ob das alles zum aktuellen Lehrplan 21 der Schulen passt, dürfe man zumindest hinterfragen. Helbling geht noch einen Schritt weiter: «Ein Perspektivenwechsel könnte ja auch Pflichtprogramm sein.» Was für ein Vorschlag.
Neue Horizonte eröffnet
Zu diesen genannten Grundlagen gesellen sich Schlüsselqualifikationen, die bereits in der Vergangenheit von Bedeutung waren: «Durchhaltevermögen und Zuverlässigkeit sind essenziell», sagt er. Ehrlichkeit und Empathie ebenfalls. «Funktioniert der Umgang mit Menschen, dann hat man auch im Berufsleben Erfolg.» Und auf dem Bau, das hat er selbst erfahren, braucht es Kritikfähigkeit. Er, der Anfänger, habe in allen drei Berufen einiges an Kritik schlucken müssen. «Nur, wie verdaut das ein 15- oder 16-Jähriger?»
Am Ende kämpfte sich Reto Helbling durch. «Und ich hatte zuletzt drei Jobangebote …», witzelt er und korrigiert postwendend: «Nein, ich war der Nobody.» Ein Nobody, der allerdings ganz viel gelernt hat in den drei Wochen – und keinen der harten Tage bereut. Und so kehrt er auch in seine Schule zurück. Sogar ein Stück besser in der Rolle des Vorgesetzten oder des Vorbilds, das man als Lehrperson, Schulleiter und Schulinhaber sein muss.
«Der Perspektivenwechsel und die Einbindung in den Arbeitsalltag boten vielfältige Einsichten und eröffneten definitiv neue Horizonte», bilanziert er. Und das Handwerk sei zweifelsohne auch in der Zukunft «eine wertvolle Option und bietet eine Fülle an Weiterbildungsmöglichkeiten». Reto Helbling, der dreifache Schnupperlehrling, möchte seine wertvollen Erfahrungen aus seinen einzigartigen Sommerferien nicht missen. «Das war auf jeden Fall besser als Wellness-Urlaub in einem Hotel.»
Gute Perspektiven
«Lern mit»: Lehrpersonenmangel kein Thema
Fachkräftemangel gibt es auch an den Schulen. Dieses Problem kennt jedoch die Privatschule Lern mit nicht. Man habe alle Stellen besetzt, sagt Reto Helbling, Schulleiter und Inhaber von «Lern mit». «Wir sind komplett und geniessen gute Perspektiven. Zum Glück haben wir keinen Fachkräftemangel», sagt er. Seit acht Jahren kann er auf das gleiche Lehrpersonen-Team zählen. «Ja, das ist extrem», betont er. Ein Lehrer mit nunmehr acht Jahren bei «Lern mit» ist der Dienstjüngste. Und alle Klassen sind bis auf den letzten Platz gefüllt. «Das ist nicht selbstverständlich.» Pro Klasse finden maximal zwölf Schülerinnen und Schüler Platz. «Man kennt uns», nennt er einen Grund für die Beständigkeit. Und die Eltern wissen die Konstanz an der Privatschule zu schätzen. Dagegen, das gibt Helbling zu, sei nicht alles so einfach an der Volksschule. «Nicht alle Reformen sind gewinnbringend.»
Und nicht alle schulpolitischen Entscheide würden automatisch das Niveau steigern. Er bewundert beispielsweise das riesige Unternehmen Schule Wohlen. «Davor habe ich grossen Respekt.» Aber Helbling wünscht sich auch eine kritische Sichtweise auf die Schule im Aargau. Die integrative Schule sei beispielsweise nicht immer und restlos umsetzbar, es können laut Helbling nicht alle Kinder ganz so einfach integriert werden.
«Und die Schule muss sich laufend an der Gesellschaft anpassen, denn die Wertvorstellungen haben sich verschoben», so Helbling weiter, «die Schule von heute muss sich also verändern können. Und wir müssen extrem aufpassen, wohin sich die Schule bewegt.»
Auch hier habe seine Privatschule Lern mit einen gewissen Vorteil. «Wir bieten eine traditionelle Schule – einfach modern verpackt.» --dm