Quasi mit Russ am Kopf geboren
07.03.2025 Beinwil/Freiamt, Region OberfreiamtFast 40 Jahre lang war Ewald Trottmann im Freiamt als Kaminfeger unterwegs
«S Chämifägers». Dieser Übername galt der ganzen Familie. In dritter Generation führte Ewald Trottmann das Kaminfegergeschäft. Per 1. Januar übergab er den ...
Fast 40 Jahre lang war Ewald Trottmann im Freiamt als Kaminfeger unterwegs
«S Chämifägers». Dieser Übername galt der ganzen Familie. In dritter Generation führte Ewald Trottmann das Kaminfegergeschäft. Per 1. Januar übergab er den Betrieb an seinen Mitarbeiter Alexey Springer. Trottmann schaut zurück auf eine schöne Zeit voller Entwicklungen.
Annemarie Keusch
Er wusste, wer wo wohnt. In wessen Kinderzimmer gleich fünf Betten nebeneinanderstehen. In wessen Küche die Hygiene nicht wirklich grossgeschrieben wurde. Wer welches Holz verbrannte. «Früher kannte ich alle Häuser in den Dörfern», sagt Ewald Trottmann. Alle, in denen es Holzfeuerungen gab oder in denen mit einer Ölheizung Wärme erzeugt wurde. In all diesen Haushalten war Trottmann oder jemand seines Teams regelmässig zu Gast. «Mittlerweile ist das anders», sagt er. Das Arbeitsvolumen der Kaminfeger hat abgenommen. Wärmepumpen brauchen sie nicht mehr. «Sorgen mache ich mir deswegen nicht», sagt Trottmann. Nicht, weil er das Geschäft mittlerweile übergeben hat. «Es ist eben der Lauf der Zeit. Veränderungen hat es immer gegeben.»
Trottmann weiss das wie kein Zweiter. 1987 wars, als er in die Fussstapfen seines Grossvaters und seines Vaters stieg und das Kaminfegergeschäft übernahm. Drei Söhne der total 13 Kinder wählten den Beruf des Vaters. Warum? «Vielleicht wurde ich mit Russ am Kopf geboren», sagt Ewald Trottmann und lacht. Ein anderer Beruf kam für ihn nie infrage. Dass er das Geschäft übernimmt, war spätestens mit der bestandenen Meisterprüfung klar. Der Kontakt mit den Leuten, das gefällt ihm am Beruf. Und die Vielfalt. «Kein Tag ist wie der andere.»
Kriecht nicht mehr durch Kamine
Erst recht ist kaum etwas mehr, wie es damals vor fast 40 Jahren war. «Unser Beruf hat sich massiv entwickelt», sagt Trottmann. Längst hat ein PC-Programm die riesigen Bücher und die vielen Karteikarten abgelöst. Während früher die Kamine der Ölheizungen zuunterst mit Schamottsteinen ausgestattet sein mussten, bestehen diese heute aus Plastik. Holzfeuerungen gibt es immer weniger. «Deren Anschaffung ist teurer als die einer Ölheizung – verrückt.» Vom Russ am Kopf, den er familiär mit auf den Weg bekam, ist wenig geblieben. «Dieses Klischee stimmt längst nicht mehr.» Die Gerätschaften haben sich entwickelt, die Heizungen. Nur russen, das ist längst nicht mehr alles, was ein Kaminfeger wissen muss. Technisch musste sich Trottmann immer wieder den neuen Anforderungen anpassen – seien es neue Verbrennungstechniken oder im Bereich der digitalen Steuerungen. «Früher war es einfacher, Heizungen zu putzen. Heute ist es dafür spannender», fasst er zusammen. Durch Kamine kriechen, das macht der Kaminfeger längst nicht mehr. «Die Kamine wären viel zu klein dafür», sagt er und lacht.
Aber auch dies hat Ewald Trottmann noch miterlebt. Er erinnert sich daran, dass er kurz nach Lehrabschluss in Aarau einen Hochkamin reinigen sollte. Mit einer kleinen Maske, einem Mundtuch und einer Kappe ausgestattet stieg er in den Kamin. «Auf halbem Weg ging mir die Luft aus», sagt Trottmann. Geistesgegenwärtig stieg er möglichst schnell bis ganz nach oben, um den Kopf aus dem Kamin zu strecken und Luft zu holen. Trottmann grinst. «Gesund war es sicher nicht immer.» Heute seien die Masken besser, die jüngeren Berufsleute besser daran gewöhnt. Trottmann nutzt sie nur, wenn es wirklich staubig ist. «Ja, man merkt meiner Lunge meinen Beruf an.» Bereut, diesen Weg eingeschlagen zu haben, hat er aber nie.
Viel Vertrauen erlebt
Ewald Trottmann hat in den 40 Jahren ganze Dörfer kennengelernt. Aristau, Besenbüren, Bettwil, Boswil, Bünzen, Buttwil, Geltwil, Rottenschwil und Waltenschwil – dieses Revier übernahm er einst von seinem Vater. Als die Reviere des Versicherungsamtes 1991 aufgelöst wurden, waren die Gemeinden damit betraut, für ihre Dörfer einen Kaminfeger zu organisieren. Alle vorherigen Gemeinden bestätigten Trottmann. Und auch seit 2022 alle Hauseigentümer selber entscheiden können, wer diese Arbeit übernimmt, hat sich für Trottmann und sein Team wenig verändert. «Das waren über all die Jahre tolle Zeichen des Vertrauens», sagt der Boswiler.
Ewald Trottmann hat auch diese Veränderungen angenommen. «Übrigens, nicht nur Technik, Gerätschaften und Arbeitsweisen haben sich entwickelt, sondern auch die Kundschaft», betont er. Geblieben ist die Tatsache, dass nicht selten ältere Leute dem Kaminfeger auf Schritt und Tritt folgen, das Gespräch suchen. Schwieriger wurde es, mit der Kundschaft in Kontakt zu treten. «Früher waren alle im Telefonbuch eingetragen. Heute braucht es teils mehrere Karten im Briefkasten oder ich muss sogar abends klingeln, damit wir einen Termin abmachen können.» Dass ein ganzes Quartier an einem Tag vom Kaminfeger besucht wird, das gibt es nicht mehr. «Die Leute sind weniger zu Hause.» Geliebt hat er seinen Beruf trotzdem bis zum Schluss. «Mich hat auch nie gestört, dass die Leute mich einfach mit ‹Chämifäger› ansprachen. Schliesslich bin ich einer von ‹s Chämifägers›.» Der Zuname anhand des Berufes – keine Seltenheit.
Festnetznummer weitergegeben
Trotzdem kam für ihn die Übergabe nun zur richtigen Zeit. Weil seine Frau nach wie vor arbeitstätig ist, arbeitete auch Trottmann ein Jahr über die Pensionierung hinaus. «Aber jetzt ist es gut», sagt er. Schliesslich will er so viel Zeit wie möglich mit der Familie, allen voran dem Enkelkind, verbringen. Immer erreichbar für Notfälle, das will er nicht mehr sein. «Obwohl die Anrufe am Sonntagmorgen um 5.30 Uhr selten waren.» Aber es gab sie. Ein Kaminbrand in Oberniesenberg war es damals, der Feuerball aus dem Kamin liess keine Zweifel offen. Trottmann entschärfte die Situation – ganz allein. «Rückblickend staune ich manchmal, was ich alles geschafft habe.»
Trottmann hat nun nicht nur sein Geschäft weitergegeben, sondern auch den Festnetzanschluss. Telefonische Notrufe kommen zu seinem Nachfolger. Und der heisst nach drei Generationen nicht mehr Trottmann. «Das ist absolut kein Problem für mich», sagt der Vater zweier erwachsener Söhne. Alexey Springer tritt in seine Fussstapfen. Seit drei Jahren gehört er zu Trottmanns Team – die Dritte im Bunde ist übrigens Heidi Egli-Bieri, die einst einer der Lehrlinge war, die Trottmann ausbildete. «Ich freue mich sehr, dass dies so möglich war», sagt Trottmann. Der Keller seines Wohnhauses, wo Gerätschaften und Staubsauger vorher lagerten, ist mittlerweile geräumt, Alexey Springer hat ein neues Depot an der Oberdorfstrasse in Boswil bezogen. Vermisst Trottmann den Kaminfegeralltag? «Nein, es ist gut, wie es ist.» Der langjährige Glücksbringer – weil ein Kaminfeger Kaminbrände vermeidet – geniesst sein eigenes Glück nun umso mehr.