Thomas Stöckli, Redaktor.
«Was ist das wertvollste Stück im Raum?» Auf die Frage der Schlossführerin schweifen die Blicke der Anwesenden herum. Hier die Kirchenglocken, jahrhundertealt, in Bronze gegossen und mit Gravur, ...
Thomas Stöckli, Redaktor.
«Was ist das wertvollste Stück im Raum?» Auf die Frage der Schlossführerin schweifen die Blicke der Anwesenden herum. Hier die Kirchenglocken, jahrhundertealt, in Bronze gegossen und mit Gravur, da die lebensgrossen Wandgemälde und dort der handbemeisselte Sandstein.
Die Szene spielt in der Eingangshalle von Schloss Wildegg. Und die Auflösung verblüfft: Es sind die Wappenscheiben an den Fenstern. Eigentlich unscheinbar. Und doch gehören sie zu den bedeutenden Objekten der Sammlung von Museum Aargau. Insbesondere die Allianzwappenscheibe «von Hallwyl-Reichlin von Meldegg» aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts.
Mancher Schatz bleibt dem Auge des Betrachters verborgen. Einfach weil anderes dominanter in Erscheinung tritt. Weil anderes grösser ist, pompöser erscheint, das Wesentliche verblassen lässt. Das gilt nicht nur kulturgeschichtlich, sondern auch in der Natur. Wer achtet sich am Flachsee auf die unscheinbaren Wasserkäfer, wenn alle Feldstecher auf Biber, Eisvogel und Kiebitz gerichtet sind? Und doch sind es auch diese wirbellosen Kleinstlebewesen, welche den ökologischen Wert einer Landschaft mit ausmachen.
«Die grössten Ereignisse – das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden», sagte Philosoph und Schriftsteller Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844–1900). Womit sich der Bogen auf den Menschen schliesst. Und untrennbar damit verbunden das soziale Miteinander.
Auch in der Gesellschaft braucht es die Stillen, die Unauffälligen. Sie sind es, die vieles am Laufen halten. Dabei haben sie es zunehmend schwer, in einer Welt, die immer lauter wird. In einer Kultur, die extrovertiertes Verhalten idealisiert. In einer Gesellschaft, die das selbstbewusste Auftreten von Blendern höher gewichtet als echte Kompetenz und Kreativität.
So schenken wir ihnen doch etwas mehr Aufmerksamkeit, den Wappenscheiben auf Schloss Wildegg, den Wasserkäfern im Flachsee. Und hören wir ihnen zu, den «stillen Wassern» in unserem Umfeld. Das lohnt sich, haben sie, die sonst immer nur zuhören, doch oft mehr zu sagen – und Überraschenderes – als die notorischen «Plagööris», die mit ihren immergleichen Geschichten alles zu übertönen pflegen.