Noch eine Rechnung offen
13.08.2024 Sport, RadsportDie Hägglingerin Michelle Andres erlebt ein schmerzhaftes Olympia-Debüt
Ein früher Sturz macht den Olympia-Hoffnungen von Michelle Andres und ihrer Teamkollegin Aline Seitz einen Strich durch die Rechnung. Am Ende wird es Rang 14. Die Hägglingerin ist ...
Die Hägglingerin Michelle Andres erlebt ein schmerzhaftes Olympia-Debüt
Ein früher Sturz macht den Olympia-Hoffnungen von Michelle Andres und ihrer Teamkollegin Aline Seitz einen Strich durch die Rechnung. Am Ende wird es Rang 14. Die Hägglingerin ist enttäuscht, aber gibt sich kämpferisch.
Michelle Andres musste in den letzten Jahren oft mit Stürzen an grösseren Rennen kämpfen. Wenn es einen Wettkampf gegeben hätte, wo sie sich hätte wünschen können, dass es definitiv nicht passiert, wären es die Olympischen Spiele gewesen. Und doch ist es eingetroffen. Sieben Runden sind erst gefahren im Madison-Wettkampf, als die Britin Neah Evans Andres überholen will. Sie zieht der Hägglingerin bei diesem Manöver das Vorderrad weg. «Wir waren gerade bei einer Übergabe. Ich war deswegen nur mit einem Arm am Lenker und ohnehin instabil. Und Aline war direkt hinter mir und konnte nicht mehr ausweichen.»
Beide Fahrerinnen stürzen, kommen aus dem Rhythmus und versuchen trotzdem, sich irgendwie zurückzukämpfen. Am Ende bleiben sie ohne Punkte und beenden das Rennen auf dem 14. von 15 Rängen. Gegenüber dem Schweizer Fernsehen versucht es Andres mit Galgenhumor. «Wenn ich in den letzten Jahren gestürzt bin, habe ich mir oft etwas gebrochen. Das ist diesmal nicht der Fall. Es ist mehr das Herz, das schmerzt.» So ganz stimmt das aber nicht. Der Herzschmerz, die Enttäuschung, sie sind definitiv vorhanden, ebenso aber grosse Schürfwunden, die immer noch schmerzen. Am Abend nach dem Rennen hatte die 27-Jährige sogar Fieber. Das Olympia-Debüt hat sich die Freiämterin definitiv anders vorgestellt.
Alles lief gegen die beiden
Die beiden Athletinnen wussten, dass alles zusammenpassen muss, damit ein olympisches Diplom möglich ist. Stattdessen schien nichts zu passen. «Wir sind beide gestürzt. Wenn es nur eine von uns gewesen wäre, hätte die andere noch etwas reissen können, die Kollegin durch das Rennen tragen. So waren wir aber beide aus dem Rhythmus, mussten trotz Schmerzen irgendwie wieder zurückkommen. Und es war so früh im Rennen. Ein Sturz ist auch nach 50 Runden nicht angenehm, aber dann konnte man zumindest 50 Runden lang zeigen, was man kann. Und das Schlimme ist, dass wir nichts für den Sturz konnten.» Die Britin, die ihn verschuldet hat, konnte mit ihrer Kollegin auf den Silberplatz fahren. Ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht für die Hägglingerin und ihre Kollegin.
Viel gelernt und viel für die Zukunft mitgenommen
Das Rennen war am Freitag. Bis Sonntag und zur Schlussfeier hätte Andres die Möglichkeit gehabt, sich andere Wettkämpfe anzusehen. Sie hatte so starke Schmerzen, dass es nicht möglich war. Und die Enttäuschung war auch noch zu stark. Die Hägglingerin gibt zu, dass sie zunächst gehadert hat. Doch nach Gesprächen mit ihrer Familie, ihrer Mentaltrainerin und anderen Athleten bekommt sie einen anderen Blick auf das Ganze. «Ich will mich nicht jedes Mal schlecht fühlen, wenn ich an Paris denke. Das haben die Stadt und die Olympischen Spiele nicht verdient.»
Sie sagt, dass sie enorm viel lernen konnte. «Meine Vorbereitung war sehr gut. Meine Trainingsperformance ebenso. Ich war bereit und konnte im Rennen in den Momenten, in denen es wichtig war, über mich hinauswachsen», erzählt sie. «Wir haben keine Runde verloren trotz Sturz. Ein Jahr zuvor waren wir an der Weltmeisterschaft. Kein Sturz, aber zwei verlorene Runden. Einfach, weil wir nicht gut gefahren sind. Und jetzt konnten wir uns so noch zurückkämpfen. Das zeigt, dass wir uns gesteigert haben, auch wenn ohne Sturz sicher noch mehr drin gewesen wäre.» Vor Ort sah sie zahlreiche andere Athleten, die ebenfalls enttäuscht waren und Tränen in den Augen hatten. «Das gibt schon noch eine andere Perspektive. Einerseits ist man stolz, dass man mit so vielen Sportlern an einem Ort ist. Man weiss, wie hart man selbst gearbeitet hat, um an die Olympischen Spiele zu kommen, und ebenso, dass die anderen nicht weniger hart trainiert haben. Und gleichzeitig merkt man, dass so viele ohne Medaillen oder Diplome nach Hause fahren. Die Wahrscheinlichkeit, dass man einen perfekten Tag erwischt, ist sehr klein.»
Los Angeles im Hinterkopf
An der Schlussfeier konnte Andres dann dabei sein. «Das war schon einer der Höhepunkte des Ganzen. Im Stade de France vor 70 000 Zuschauern, da kriegt man Gänsehaut. Und man kommt mit Sportlern ins Gespräch, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Aber dort, vor Ort, sind alle gleich.»
Für Michelle Andres bleiben die Olympischen Spiele in Paris in besonderer Erinnerung, auch wenn es sportlich nicht optimal lief. «Und ich habe noch eine Rechnung mit den Olympischen Spielen offen. Es ist zwar noch sehr früh, aber ich habe doch das Gefühl, dass ich wieder teilnehmen und etwas richtigstellen muss.»