Besonderer Moment im Redaktionsalltag: Treffen mit Ukraine-Flüchtlingen
Celeste Blanc
Es waren Bilder, die wir so seit 77 Jahren nicht mehr gesehen hatten: Panzer rollen über die Grenzen eines souveränen europäischen Staates. ...
Besonderer Moment im Redaktionsalltag: Treffen mit Ukraine-Flüchtlingen
Celeste Blanc
Es waren Bilder, die wir so seit 77 Jahren nicht mehr gesehen hatten: Panzer rollen über die Grenzen eines souveränen europäischen Staates. Mit der russischen Invasion am 24. Februar begann der Krieg in der Ukraine. Die Nachrichten überschlugen sich mit Videoaufnahmen: Panzerkolonnen in leergefegten Strassen, Alarmsirenen in der Hauptstadt Kiew warnen vor Bombenangriffen, Aufnahmen von zerstörten Häusern. Krieg auf europäischem Boden, ein schrecklicher Gänsehautmoment.
Zu sehen, was nah von der Schweiz passiert, ist das eine. Das andere hingegen ist, zu hören, was betroffene Personen erzählen. Es geht unter die Haut, es ist unangenehm, es bewegt. «Ich bin um fünf Uhr morgens durch die Sirenen erwacht. Um acht Uhr hörten wir die ersten Bomben fallen. Abends sassen wir im Auto und fuhren Richtung Westen», erzählte Elena Pedorich bei einem Treffen im Gemeindehaus in Rudolfstetten. Die junge Mutter wurde in ihrem Leid mit ihrer Freundin Lidia Kuschnirenko vereint. Gemeinsam f lüchteten sie aus ihrer Heimat. In der Mutscheller Gemeinde Rudolfstetten-Friedlisberg fanden sie schliesslich Schutz.
An Autos weisse Flaggen angebracht
Zwei absolut unschuldige Menschen sprachen über die schlimmsten Momente in ihrem Leben. «Ich hatte Arbeit als Krankenschwester, meine Kinder gingen zur Schule. Wir waren wirklich zufrieden», so Lidia Kuschnirenko unter Tränen. Ihre Schilderungen hallten nach. Wie die beiden Frauen an ihren Autos weisse Flaggen angebracht haben, um zu kennzeichnen, dass sich Kinder im Wagen befanden. Wie sie bei minus neun Grad Schutz in einem Kellerkorridor suchten. Wie eine Bombe, die im Garten nebenan einschlug, aus dem Zufluchtsort schnell eine Todesfalle hätte werden lassen können. «Auch fiel das Internet aus. Wir wussten nie, wo die Russen waren oder wo zwischenzeitlich militärische Checkpoints aufgestellt wurden. Wir standen unter Strom.» Das nüchterne Fazit: Man habe schlichtweg nur Glück gehabt, dass einem nichts geschehen sei.
Extrem berührt
Die Angst um die geliebten Menschen, die Ungewissheit, ob man die eigene Heimat je wieder sehen wird, und der Moment, in dem sich das Leben von einer Sekunde auf die andere ändert und die Welt nicht mehr die gleiche ist – das Erlebte von Elena Pedorich und Lidia Kuschnirenko berührten mich extrem. Es war ein Moment aus dem Redaktionsalltag, der in mir unbekannterweise Nachwirkungen auf meine persönliche Gefühlswelt hatte – und der mich bis heute begleitet.