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08.07.2025 Region Bremgarten, ZufikonMit echter Leidenschaft
Während 44 1/2 Jahren steuerte der Zufiker Urs Schlittler die Bahn von Wohlen nach Dietikon
Mit 70 Jahren ist Schluss: Urs Schlittler begann 1979 bei der Bremgarter-Dietikon-Bahn als Zugführer. Vor Kurzem fuhr er ...
Mit echter Leidenschaft
Während 44 1/2 Jahren steuerte der Zufiker Urs Schlittler die Bahn von Wohlen nach Dietikon
Mit 70 Jahren ist Schluss: Urs Schlittler begann 1979 bei der Bremgarter-Dietikon-Bahn als Zugführer. Vor Kurzem fuhr er zum letzten Mal.
«Mir wurde auf dieser Strecke nie langweilig. Man sieht immer wieder etwas Neues», lacht Urs Schlittler. Er muss es wissen. Während 44 1/2 Jahren fuhr er die Bahn zwischen Wohlen, Bremgarten und Dietikon. Und er hatte auch Einsätze bei der Wohlen-Meisterschwanden-Bahn und der Wynental-Suhrentalbahn. Er tat das so gerne, dass er nach seiner Pensionierung als Springer im reduzierten Pensum geblieben ist. Kürzlich endete aber auch diese Zusatzschleife.
Erlebt hat der Bähnler in dieser Zeit viel. So hatte etwa eine Frau ihren Kinderwagen samt Kind im Zug vergessen, weil sie sich beim Aussteigen auf ihr Smartphone konzentrierte. Schlittler sah Kinder zu Erwachsenen heranwachsen, baute Beziehungen zu seinen Fahrgästen auf. «Das ist heute aber immer weniger möglich, da man im Führerstand abgeschottet arbeitet.» Kürzlich fuhr Urs Schlittler zum letzten Mal im Bahnhof Bremgarten ein. Dort standen rund 50 Weggefährten, Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Fahrgäste für ihn Spalier. «Es war ein sehr emotionaler Moment. Es ist toll, dass so viele Menschen mir die Ehre erwiesen haben.» --red
Der Zufiker Urs Schlittler wurde nach über 44 Jahren bei der BDB in die Pension verabschiedet
1979 begann Urs Schlittler bei der Bremgarten-Dietikon-Bahn seine «Bähnlerkarriere». In der Region war er vielen als sympathischer Zugsführer und Kontrolleur bekannt. Nun hat er im Alter von fast 70 Jahren seine letzte Fahrt angetreten. Eine, die nicht nur von Wohlen nach Dietikon führte, sondern auch mitten durchs Herz.
Sabrina Salm
Vergangene Woche fuhr Urs Schlittler mit dem Zug 7152 (Regioexpress Ex- 466) zum letzten Mal in den Bahnhof Bremgarten ein. Rund 50 Weggefährten, Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Fahrgäste empfingen ihn dort und standen für Schlittler Spalier. Alle wollten dem Vollblut-«Bähnler», der 44 ½ Jahre Mitarbeiter der Bremgarten-Dietikon-Bahn (BDWM Transport AG) beziehungsweise Aargau Verkehr AG (AVA) war, einen unvergesslichen letzten Arbeitstag bieten. «Das war sehr emotional. Ich hätte nie gedacht, dass so viele Leute kommen», sagt Schlittler gerührt.
Von Langeweile keine Spur
Schon als Kind in Bern war Urs Schlittler vom Bahnvirus infiziert. Warum? Das könne er gar nicht genau sagen. Aber das Feuer sei einfach entfacht worden – und nie wieder erloschen. Es führte ihn zuerst zur Lehre als Stationsvorsteher bei der Emmentalbahn. Doch schon früh wurde ihm nahegelegt, sich beruflich neu zu orientieren: «Stationsvorstände braucht es bald nicht mehr», lautete die ernüchternde Prognose seines damaligen Chefs. Schlittler blieb dennoch auf der Schiene – und bewarb sich als Wagenführer bei der Bremgarten-Dietikon-Bahn. Seine Jungfernfahrt trat er im Dezember 1979 an. Sie führte ihn von Bremgarten nach Dietikon. Unzählige Male hat er diese Strecke (und später bis nach Wohlen) zurückgelegt. Fahrdiensteinsätze hatte er dann auch bei der Wohlen-Meisterschwanden-Bahn (WM) und der Wynental- und Suhrentalbahn. Hauptsächlich war er aber für die BDB im Dienst.
Wenn ein Mensch über 44 Jahre lang Tag für Tag die gleiche Strecke fährt, dann spricht man entweder von sturer Gewohnheit – oder von echter Leidenschaft. Bei Urs Schlittler ist Letzteres der Fall. Monoton sei das für den Vater von drei Kindern nie gewesen. «Man sieht immer wieder etwas Neues. Die Region hat sich stark verändert, Häuser und Quartiere sind wie Pilze aus dem Boden geschossen. Wenn man die Augen offenhält, wird einem nie langweilig», erklärt er, der seither in Zufikon zu Hause ist. Seit Schlittlers Einstieg in den Bahnberuf hat sich viel verändert. Die alten Züge, die orangefarbenen 7152, haben längst modernen Fahrzeugen wie dem «Diamant» Platz gemacht – klimatisiert, bequem, digitalisiert. «Als Arbeitsplatz ist der Diamant super, aber mein Herz schlägt noch immer für die alten Modelle», sagt er mit einem Lächeln. Auch die Sicherheit wurde kontinuierlich verbessert. Damals waren Barrieren und Signale noch rudimentär – einige Kurven galten als gefährlich. «Beispielsweise dort, wo heute der Mc Donald’s steht, war eine riskante Passage.» Im Berufsalltag änderte sich ebenfalls vieles. Der Fahrplan war früher mehr eine Orientierung als Präzisionsvorgabe. «Wir machten ab und an einen kundenspezifischen Extrahalt», erinnert sich Schlittler mit einem Schmunzeln zurück.
Schöne Begegnungen
Wo früher der Lokführer an jeder Station «Einsteigen bitte!» rief oder Billette verkaufte, sitzt er heute allein im modernen Führerstand – abgeschottet und digital überwacht. Die Veränderungen brachten viele Vorteile mit sich, aber auch Nachteile, wie er resümiert. «Was ich anfing zu vermissen, war der Kontakt mit den Menschen», und er erklärt: «Früher kannte man die Fahrgäste. Es war persönlicher. Man sah sie täglich, es gab Zeit für ein Gespräch, für ein Lächeln. Es entwickelten sich echte Beziehungen.» Eine Begebenheit bleibt ihm besonders in Erinnerung: «Eine junge Frau klopfte an meine Kabine und fragte: ‹Kennen Sie mich noch? Sie haben meiner Mutter damals geholfen, mich im Kinderwagen in den Zug zu heben.› Das war ein schöner Moment.» Er sah viele Fahrgäste aufwachsen und er hat Hunderte solcher Geschichten auf Lager. Auch skurrile Erlebnisse gab es zuhauf. Etwa die Frau, die mit Blick auf ihr Smartphone den Zug verliess – und den Kinderwagen samt Kind einfach stehen liess. «In diesem Beruf und nach so langer Zeit erlebt man einiges.»
Modelleisenbahn in vier Räumen
Eigentlich hätte Schlittler vor fünf Jahren in Rente gehen können. Doch er blieb – als Springer mit reduziertem Pensum. «Ich habe meinen Job zu gerne gemacht, um einfach aufzuhören.» Nun passe es aber dafür. «Wie gesetzlich vorgeschrieben verliere ich mit 70 Jahren die Fahrerlizenz.» Zwar ist dies erst im November der Fall, doch da eine Woche nach ihm auch seine Frau in den wohlverdienten Ruhestand getreten ist, erachtet er es als perfekten Zeitpunkt, dem Zugfahrerleben Adieu zu sagen.
Doch so ganz ohne Bahn geht es bei Urs Schlittler natürlich auch in der Pension nicht. Seit Jahren werkelt Urs Schlittler an seiner Modelleisenbahnanlage herum. Diese ist so gross, dass sie vier Räume einnimmt. «Ich bin und bleibe Modelleisenbähnler mit Leib und Seele», sagt er und lacht. Auf seiner Anlage werden also weiterhin Weichen gestellt, Züge gesteuert, Landschaften erbaut – nur eben im kleineren Massstab.