«Legt das Handy weg!»
16.07.2024 Region OberfreiamtDas Leben wegscrollen
Lenn Kennel kreiert einen Film zu Handykonsum
Schon mit 12 Jahren wollte er seinen eigenen Film machen. Und diesen Traum erfüllt sich der Sinser Lenn Kennel bereits drei Jahre später. Vor wenigen Wochen zeigte der 15-Jährige im Kino Cinepol in Sins sein Werk, seine Abschlussarbeit an der Bezirksschule. 100 Menschen schauten sich den 20-minütigen Film mit dem Titel «Screentime ist over» an.
Die Thematik, die er sich für den Film ausgesucht hat, betrifft uns alle. Es geht um den übermässigen Handykonsum unserer Gesellschaft. «Wir vernachlässigen unser Leben. Das ist beängstigend», sagt Kennel. Deshalb war es ihm auch so wichtig, diese Thematik in seinem Film aufzugreifen. --spr
Der 15-jährige Freiämter Lenn Kennel greift in seiner Abschlussarbeit eine spannende Thematik auf
Die Menschen sind zu viel am Handy. Der durchschnittliche Handykonsum eines Schweizers liegt bei zwei Stunden pro Tag. Bei Jugendlichen massiv mehr. «Das kann doch nicht sein. Wir wissen gar nicht, was wir anrichten», sagt Lenn Kennel. Der Sinser hat seine Abschlussarbeit an der Bezirksschule genau diesem Thema gewidmet. Und er erntete dafür auch Selbsterkenntnisse.
Stefan Sprenger
Ganz wichtig: «Ich will nicht wie ein Bünzli klingen, ich will nicht bevormunden», sagt Lenn Kennel. Die Thematik, die er in seiner Abschlussarbeit behandelt, ist so faszinierend wie er selbst. Beim Gespräch mit dem 15-Jährigen ist man erstaunt, welche Gedanken er sich macht und wie selbstreflektiert er schon durch sein Leben schreitet. «Ich bin auch betroffen von dieser Problematik», sagt der Sinser. Jugendliche in seinem Alter sind täglich zwischen 3,5 und 5 Stunden am Handy (siehe Kasten). «Erschreckend, nicht?», sagt Kennel.
Leichtathletik-Talent beim TV Wohlen
Zuerst zu ihm. Der aufgeweckte Lenn Kennel mag Sport, startete beim STV Sins mit Leichtathletik. Heute ist er beim TV Wohlen und trainiert intensiver, bis zu viermal pro Woche. Er nimmt an Wettkämpfen teil, schaffte zuletzt über 110 m Hürden die Limite für die U16-Schweizer-Meisterschaft. Der Sport macht ihm riesig Spass. Seine Mutter ist Grafikdesignerin, sein Vater arbeitet als Architekt beim Kanton (Luzern). Er hat einen älteren Bruder. Im Sommer startet Lenn Kennel seine Lehre als Mediamatiker bei der Firma Schindler in Ebikon. Und zum Abschluss seiner Bezirksschulzeit in Sins haute er mit seiner Abschlussarbeit ein richtiges Feuerwerk raus.
Denn was er auf die Leinwand zauberte, ist aussergewöhnlich. Vor drei Jahren sitzt er vor dem Fernseher und denkt sich: «Ich möchte nicht nur Zuschauer sein. Ich möchte selbst Filme kreieren.» Kennel, der film- und fotoaffin ist, entwickelt in seinem Kopf einen Plan. Die erstbeste Gelegenheit nutzte er aus, um seinen Traum zu verwirklichen. Als er seine Abschlussarbeit machen darf als 15-Jähriger, produziert er einen Kurzfilm. Drehbuch und Sprache sind auf Englisch. Über ein halbes Jahr ist er an seinem Werk dran, Filmschnitt inklusive. Er gestaltet das Filmplakat und komponiert auch die Filmmusik selbst. Liest man seine Abschlussarbeit durch, die er auch schriftlich und sehr detailliert festhielt, dann ist man beeindruckt und fragt sich, wie man in so jungem Alter schon so aufgeweckt sein kann.
Sein Bruder hat die Hauptrolle
Das Thema (übermässiger Handykonsum) wählte er bewusst aus. «Ich legte sehr viel Wert auf eine gute Geschichte. Es soll ein Problem aufgegriffen werden, das viele in meinem Alter bewegt. Jedoch soll der Film auch gute Unterhaltung bieten. Beides ist wichtig: Entertainment und Botschaft.» Und er wollte auch den Film im Kino zeigen. Das ist ihm gelungen. Mitte Juni wurde «Screentime is over» im Kino Cinepol in Sins gezeigt. Eintritt: 5 Franken. Zuschauerzahl: 100. Feedback: «Sehr gut», wie er sagt.
Im Film hat sein Bruder Jess die Hauptrolle. Die Geschichte hat mehrere Handlungsstränge. Kennel erklärt kurz: «Die Hauptfigur im Film ist ständig am Handy, isst Fast Food, ignoriert so ziemlich alles um sich herum. Sein Handy wird gehackt, funktioniert nicht mehr und er muss ohne sein geliebtes Gerät überleben. Dann gehen ihm die Augen auf.» Die Quintessenz des Films: «Legt das Handy weg! Denn wir alle hängen viel zu oft am Bildschirm. Ich schliesse mich da nicht aus.»
Doch er achtet sich mittlerweile sehr bewusst, wie viel und was er am Handy konsumiert. «Während der intensiven Phase der Film-Erstellung war ich an manchen Tagen nur rund 10 Minuten am Handy. Das machte mich stolz», sagt er. Es sei eine sinnvolle Beschäftigung gewesen.
Neun Stunden Bildschirmzeit: «Das macht Angst»
Und dass man diese Thematik immer wieder diskutiert, sei besonders in seiner Generation enorm wichtig. Ein konkretes Beispiel, das ihm aus aktuellem Anlass einfällt: «An der Abschlussfeier der Bezirksschule war eigentlich Feiern angesagt. Einige meiner Mitschüler konnten selbst in diesem besonderen Moment die Finger nicht vom Handy lassen. Ich finde das enorm schade.» Lieber Tiktok, Youtube und Instagram, anstatt zu tanzen und miteinander Zeit zu verbringen. Die Algorithmen sind so programmiert, dass man nicht mehr wegkommt. «Man scrollt sein Leben weg. Alles wird vernachlässigt. Und Menschen in jungem Alter kommen an Inhalte, die nicht geeignet sind», erklärt Kennel. In seiner Klasse an der Bezirksschule in Sins wurde der Medienkonsum einst thematisiert. «Einige hatten bis zu 9 Stunden Bildschirmzeit pro Tag. Das macht irgendwie Angst.»
«Langeweile fördert die Kreativität»
Natürlich, er hat recht. Wer sich die wenigen Studien zu diesem Thema ansieht, der merkt schnell, dass übermässiger Handykonsum schlecht ist für ganz viele Dinge in unserem Leben. «Und ich glaube, wir Menschen wissen das. Und trotzdem tun wir es. Es ist wie eine Sucht.» Lenn Kennel sagt: «Manchmal ist mir langweilig. Dann versuche ich, einfach den Moment zu geniessen. Und Langeweile fördert auch die Kreativität. Ich persönlich denke dann nach, lasse meine Gedanken kreisen und mache Pläne.» Und was für tolle Dinge aus Kreativität entstehen können, zeigt sich an seinem Film «Screentime is over». Kennel erzählt: «Rückblickend war das ein echt cooles Projekt. Es war eine Beschäftigung, die mir viel mehr Spass gemacht hat, als am Handy rumzuhängen.»
Er wird gefragt, wieso er sich seines Handykonsums bewusster ist als andere Jugendliche in seinem Alter. «Meine Eltern hatten da wohl den Finger drauf», sagt Kennel. Und er hat wohl auch früh damit begonnen, sich selbst Gedanken zu machen. «Die Zeit am Handy ist selten gewinnbringend. Natürlich, man braucht ein Smartphone für viele Dinge in der digitalisierten Welt heutzutage. Aber ich achte sehr darauf, dass ich das Smartphone nur wirklich dann gebrauche, wenn es auch nötig ist – und nicht einfach, um meine Zeit zu verplempern.» Das zeigt auch der Fakt, dass er sein Handy während des Gesprächs die ganze Zeit nicht hervornimmt. Oder dass er die Youtube-App von seinem Handy löschte.
«Ich finde es auch ohne Google Maps»
1,5 Stunden erzählt der eindrückliche junge Mann über sich, den Film und das Thema Handykonsum. Und dann verabschiedet er sich. Er fragt den Journalisten an diesem sonnigen Tag, wo es in Wohlen einen schönen Platz gibt, um sein Mittagessen zu geniessen. Der Park des Strohmuseums wird ihm empfohlen. Kennel – der eine durchschnittliche Bildschirmzeit von einer Stunde pro Tag hat – zückt sein Handy aus der Tasche, überlegt kurz und lässt es wieder in der Hosentasche verschwinden. Er sagt: «Ach. Ich finde es auch ohne Google Maps und Onlinekarte. Ich frage einfach jemanden auf der Strasse.»
JAMES-Studie
JAMES ist die Schweizer Studie zum Mediennutzungs- und Freizeitverhalten von 12- bis 19-Jährigen. Die ZHAW – eine Schweizer Hochschule für angewandte Wissenschaften – führt die repräsentative Umfrage alle zwei Jahre durch. Die Bildschirmzeit wird dabei genauer untersucht. Die Zahlen sind erschreckend. «Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren verbringen unter der Woche im Schnitt täglich 3,5 Stunden an ihrem Smartphone, und am Wochenende täglich rund 5 Stunden.» Der durchschnittliche Handykonsum aller Schweizerinnen und Schweizer beträgt rund 2 Stunden pro Tag.
Weitere Auszüge aus dieser Studie lauten wie folgt: «Bei den breit genutzten sozialen Netzwerken setzen Mädchen die Trends. Sie steigen früher bei neuen sozialen Netzwerken ein als Jungs. Die gamen dafür häufiger, besonders beliebt sind Gratisgames. Jugendliche pflegen zudem weniger, jedoch qualitativ hochwertigere Freundschaften als vor zehn Jahren.» Die Studie zeigt zudem, dass die Jugendlichen beim Datenschutz nachlässiger werden. Und: Sexuelle Belästigung im Internet und auch Cybermobbing haben stark zugenommen. Fast die Hälfte der Jugendlichen wurde bereits mindestens einmal online sexuell belästigt (aus dem Jahr 2022). 2014 waren es noch 19 Prozent. Auch die Beleidigungen online haben über die Jahre um fast 10 Prozent zugenommen. --red