Lächeln ins Gesicht zaubern
03.05.2024 Region UnterfreiamtIn tierischer Mission
Der Reusspark setzt auf spezielle Unterstützung
100 Tiere leben im Reusspark. Einige von ihnen sind regelmässig im Einsatz.
Im Alter oder bei Krankheit baut der Mensch gewisse Fähigkeiten ab. ...
In tierischer Mission
Der Reusspark setzt auf spezielle Unterstützung
100 Tiere leben im Reusspark. Einige von ihnen sind regelmässig im Einsatz.
Im Alter oder bei Krankheit baut der Mensch gewisse Fähigkeiten ab. Durch Aktivierung oder Therapien lässt sich dieser Prozess stoppen oder gar umkehren. Dafür sorgen im Reusspark ganz viele Menschen. Aber seit acht Jahren auch verschiedene Tiere. Der Kontakt mit ihnen ist für viele eine willkommene Abwechslung. --chh
Tiere haben eine wichtige Funktion im Reusspark – nicht nur in diesem Jahr
«Tierisch gut!» lautet das diesjährige Jahresmotto. Aber bereits seit 2016 setzt der Reusspark auf tiergestützte Interventionen. Doch wer kommt hier zum Einsatz? Und wie und wo? Ein Besuch an einem wunderbar sonnigen Frühlingstag bietet Antworten.
Chregi Hansen
Ein sanfter Wind fährt durch die Bäume, die Sonne schickt die ersten warmen Strahlen vorbei, der Ort ist erfüllt vom Gezwitscher der Vögel. «Ich mag diese Zeit am Morgen, wenn es noch ruhig ist hier. Nachmittags hat es oft viele Leute. Manchmal fast zu viele», sagt Cornelia Trinkl, während sie im Kleintier- und Vogelgehege zum Rechten sieht. Seit sieben Jahren ist die Luzernerin im Freiamt tätig, davor hatte sie eine Stelle in einem Tierheim. Ihr gefällt die neue Aufgabe. «Wir sorgen nicht nur für unsere Tiere, sondern kümmern uns auch um die Menschen, das ist bereichernd», sagt sie, während sie vorsichtig ein verletztes Meerschweinchen versorgt.
Rund 300 pflegebedürftigen Menschen bietet die Institution ein Zuhause. Doch sie sind nicht die einzigen Bewohner im Reusspark. Auch etwa 100 Tiere leben hier: Esel, Minipigs, Ziegen, Meerschweinchen, Schildkröten, Kaninchen, Frettchen, Hühner, Enten und andere Vögel. Sie erfreuen nicht nur die Bewohner und Besucher beim Spaziergang durch den Park, sondern übernehmen eine wichtige Funktion in der Institution. Vier Tierpflegerinnen kümmern sich um sie – alle arbeiten in Teilzeit. Dazu kommt eine Praktikantin. Sie gehen konzentriert ihren Pflichten nach. Doch die morgendliche Ruhe trügt dabei. «Unser Tag ist extrem getaktet. Mit Füttern, Putzen, Unterhalt der Gehege, Training mit den Tieren sowie Stationsbesuchen und Therapien», erklärt Trinkl.
Nur füttern, nicht streicheln
Inzwischen belädt sie einen Wagen mit den Utensilien für einen Stationsbesuch mit den Meerschweinchen. Aber sind diese für einen solchen Einsatz geeignet? Schliesslich sind sie von Natur aus ängstliche Fluchttiere und mögen keinen Körperkontakt. «Wir wissen, wie man mit den Tieren umgehen muss. Die Meerschweinchen werden von den Bewohnern nur gefüttert und nicht gestreichelt. Darauf achten wir», erklärt die Tierpflegerin. Zudem werden die Tiere zuvor im Training auf ihren Einsatz vorbereitet. Trinkl weiss genau, was sie tut. Sie hat 2021 den schweizweit ersten CAS-Lehrgang für tiergestützte Interventionen erfolgreich absolviert.
Auf der Station warten die Bewohner und Bewohnerinnen bereits am Tisch sitzend auf die tierischen Besucher. Schnell breitet Trinkl eine Decke aus und baut ein kleines Gehege auf samt Rückzugsmöglichkeiten. Dann holt sie die Meerschweinchen hervor. Die kleinen Nager zaubern den älteren Menschen ein Lächeln ins Gesicht. Vorsichtig halten sie das Futter ins Gehege und freuen sich über den Heisshunger der putzigen Nager. Besonders die Gräser und Blätter, welche zuvor in der Wiese gepflückt wurden, sind begehrt. Alle sind beschäftigt, nur ein älterer Herr macht nicht mit, er isst das angebotene Rüebli lieber selbst. «Viele, aber nicht alle sprechen auf die Tiere an. Und nicht jeder Mensch auf jedes Tier», weiss Trinkl aus Erfahrung.
Wohl der Tiere steht im Zentrum
Es kommt eine grosse Ruhe über die Gruppe, zeitweise hört man nur das Knabbern der Tiere. Cornelia Trinkl nimmt sich Zeit, spricht mit den Bewohnern und Bewohnerinnen, beantwortet Fragen, achtet darauf, dass die Tiere keinen Stress haben. Dabei geht es bei diesem Einsatz um mehr als blosse Beschäftigung. «Das Füttern erlaubt den älteren Menschen, Verantwortung zu übernehmen und sich um etwas zu kümmern. Sonst sind sie in der Rolle des Empfängers. Der Rollenwechsel tut ihnen gut», erklärt die Tierpflegerin. Einige sind sofort mit Herz und Seele dabei, andere haben erst Hemmungen, müssen sich überwinden. Und freuen sich, wenn das Tier ihnen aus der Hand frisst. Wobei das Wohl des Tieres stets im Zentrum steht. «Es muss für sie stimmen, sonst intervenieren wir.»
Mit Fakir auf Tour
Doch nun müssen die Meerschweinchen zurück, auf die Tierpflegerin wartet der nächste Einsatz. In den unteren Gehegen, wo die Minipigs, Ziegen und Esel untergebracht sind, wartet Kollegin Danja Kägi mit Fakir. Bei ihm handelt es sich um einen reinrassigen Poitou-Esel, der letztes Jahr in den Reusspark gezogen ist und vom Direktor persönlich gesponsert wurde. Er ist deutlich grösser als die alte Eseldame Cindy und wirkt mit seinem dicken Fell wie ein Tier zum Knuddeln. «Wir bieten jetzt schon Spaziergänge mit Eseln an», berichtet Kägi, während sie Fakir ein Geschirr anzieht. «Bisher konnten aber nur diejenigen mitkommen, die mobil sind. Unser Ziel ist es, dass Fakir eine kleine Kutsche zieht, damit auch die nicht mehr mobilen Bewohnerinnen und Bewohner in den Genuss kommen.»
Daran muss sich der Esel aber erst gewöhnen, dafür nehmen sich die Tierpflegerinnen viel Zeit. Danja Kägi führt Fakir durchs Areal, Cornelia Trinkl imitiert hinten einen gewissen Widerstand. Auf dem Spaziergang sorgt der grosse Esel überall für Aufsehen. Alle bleiben stehen, schauen der Gruppe nach, stellen Fragen. Es wird schnell klar: Der Poitou-Esel hat alle Chancen, zum neuen Liebling des Reussparks zu werden. Und ihm selbst scheint es auch zu gefallen. Dies umso mehr, als Danja Kägi nach ihren Ferien erstmals wieder mit ihm unterwegs ist. «Wir bauen schon eine Beziehung zu den Tieren auf», erklärt Trinkl.
Einsatz in der Ergotherapie
Neben der Aktivierung auf den Gruppen werden die Tiere auch für die Einzeltherapie eingesetzt. Darum besucht jetzt Ergotherapeutin Rahel Gassmann mit eine Bewohnerin das Meerschweinchengehege. Die ältere Frau sitzt im Rollstuhl. Um die Tiere zu füttern, muss sie aufstehen, sich gross machen und strecken. Cornelia Trinkl gibt ihr die Gräser in die Hand, damit sie diese dann den Tieren hinhalten kann. Ein Strahlen geht ihr übers Gesicht. «Für diesen Moment gebe ich alles», sagt die Frau und erhebt sich mit etwas Hilfe noch ein zweites Mal. «Die Tiere motivieren. Sie helfen aber auch beim Training und beim Mobilisieren der Patienten», erklärt Gassmann. Aber nicht nur physisch, sondern auch psychisch hätten die Tiere eine heilende Wirkung. «Wir arbeiten sehr gerne mit ihnen», sagt denn auch die Ergotherapeutin. Einzig der Raum dürfte etwas grösser sein, mit dem Rollstuhl wird es eng in der Box. «Den entsprechenden Antrag haben wir bereits gestellt», sagt Trinkl mit einem verschmitzten Lächeln.
Inzwischen hat sie bereits alles vorbereitet für einen weiteren Besuch. Diesmal mit ihren Lieblingen, den Frettchen. Über die Einsatzmöglichkeiten der kleinen Nager hat sie ihre Diplomarbeit geschrieben. Sie hatte damals nach einem neuen Tier gesucht, das sich für den therapeutischen Einsatz eignet, aber schon domestiziert ist und sich leicht trainieren lässt. Dabei ist sie auf die Frettchen gestossen, die vom Iltis abstammen. «Hier bei uns sind sie wenig bekannt, während sie in den USA oft als Haustiere gehalten werden», erklärt Trinkl.
Die Frettchen werden sehnsüchtig erwartet
Auf ihren Vorschlag hat der Reusspark inzwischen vier Exemplare angeschafft. Da sie menschenfreundlich, neugierig und verspielt sind, eignen sie ich bestens für den therapeutischen Einsatz. Umgekehrt braucht es für die Haltung eine Bewilligung. «Das Gehege haben wir extra nach unseren Plänen für sie gebaut», erzählt die Pflegerin, während sie die beiden Weibchen für den Besuch einfängt. Die beiden Männchen müssen im Gehege warten. «Die ärgern sonst immer die Weibchen», lacht Trinkl.
Auf der Station werden sie und ihre tierischen Begleiter schon sehnsüchtig erwartet. Erneut wird ein Gehege aufgestellt. Und schon wuseln die Tiere am Boden herum, aufmerksam beobachtet von den im Kreis sitzenden Bewohnern und Bewohnerinnen. Im Gegensatz zu den Meerschweinchen dürfen die Frettchen auch gestreichelt werden – dafür geht Trinkl mit den Tieren von einer Person zur anderen. Und allen scheint das Herz aufzugehen in diesem Moment. Auch hier muss die Tierpflegerin viele Fragen beantworten. Und versprechen, bald wiederzukommen. «Je nach Station sind wir wöchentlich oder alle zwei Wochen da», erklärt sie.
Ihr gefällt die Aufgabe, auch wenn sie täglich mit Menschen konfrontiert ist, die am Ende ihres Lebens stehen. «Mit unserer Arbeit können wir nicht unbedingt heilen. Die meisten sterben hier. Aber wir können durch unsere Arbeit einen Beitrag leisten, dass sie möglichst lange ihre Fähigkeiten und damit auch Lebensqualität erhalten können», sagt die Luzernerin. Und immer wieder erlebe sie, wie die Tiere Emotionen auslösen. Auch dann, wenn die kognitiven Fähigkeiten stark nachgelassen haben. «Ich sehe tagtäglich, wie ich mit meiner Arbeit einen wichtigen Beitrag leisten kann. Und wir Tierpflegerinnen sind gut integriert in der Institution, wir werden geschätzt», sagt sie. Dann eilt sie zurück, um die Frettchen zu versorgen. Und sich um den Bürokram zu kümmern. Denn die Auflagen des Tierschutzes sind hoch. «Bisher haben wir aber jede Kontrolle mit Bravour bestanden.»