Lachend ins Militär
14.04.2023 WohlenDie Freiämterin Sandrine Ünal ist in der Rekrutenschule mit 28 Jahren eine Ausnahmeerscheinung
Mit einer Sonderbewilligung darf Sandrine Ünal in die Rekrutenschule. «Es ist eine supertolle Erfahrung», sagt die 28-Jährige. Doch ihre ...
Die Freiämterin Sandrine Ünal ist in der Rekrutenschule mit 28 Jahren eine Ausnahmeerscheinung
Mit einer Sonderbewilligung darf Sandrine Ünal in die Rekrutenschule. «Es ist eine supertolle Erfahrung», sagt die 28-Jährige. Doch ihre RS-Kameraden nerven sich manchmal.
Stefan Sprenger
Den Handstand kann sie perfekt. Logisch, nach 10 Jahren im Kunstturnen. Sie weiss als Mitglied der Feuerwehr, wie man Feuer bekämpft. Und jetzt wollte Sandrine Ünal – die nach eigenen Angaben nie still sitzen kann – etwas Neues ausprobieren. Sie landete im Militär. Aufgrund ihres Alters benötigte sie eine Sonderbewilligung, um in die Rekrutenschule einzurücken. Seit Januar ist sie in Wangen an der Aare als Rettungssoldatin und Fahrerin stationiert. Schon in den Monaten zuvor hat sie sich akribisch vorbereitet auf den RS-Start. «Ich will auch dort die Beste sein», sagt die ehrgeizige Frau. Ünal ist in Wohlen aufgewachsen, lebte danach jahrelang in Bremgarten und Widen. Seit rund drei Jahren lebt sie mit ihrem Freund in Spreitenbach. Doch nach wie vor ist sie mit der Region sehr verbunden.
«Richtig geile Zeit»
Grosse Verbundenheit spürt sie auch im Militär. «Ich erlebe eine richtig geile Zeit.» Sauberkeit, Pünktlichkeit, Disziplin – und kilometerlange Märsche – das alles findet sie «richtig genial». Hauptsache, die quirlige Sand rine Ünal hat eine Herausforderung. In den sozialen Medien will sie zudem andere Frauen motivieren, an sich selbst zu glauben. Gleichberechtigung ist ihr ein grosses Anliegen. «Man kann alles erreichen, wenn man nur will», sagt sie. Sandrine Ünal lebt dieses Motto jeden Tag. Ob im Militär oder als Zivilistin. Die Frau, die einen Flick weg hat (im positiven Sinn) erstaunt in vielerlei Hinsicht.
Im Handstand durch die RS
Sandrine Ünal absolviert mit 28Jahren die Rekrutenschule – und hat sich dafür akribisch vorbereitet
Sie ist eine Wahnsinnige im positiven Sinn. Sandrine Ünal absolviert mit 28Jahren freiwillig die Rekrutenschule. «Einige RS-Kameraden sind deswegen etwas genervt von mir», sagt die Freiämterin lachend.
Stefan Sprenger
Manchmal vergisst sie, dass sie im Militär ist. «Ich erlebe eine unvergesslich tolle Zeit hier», sagt Sandrine Ünal. Mit 28Jahren hat sie sich entschieden, die Rekrutenschule zu machen. Dafür brauchte es eine Sonderbewilligung, die aber meist genehmigt wird. Und jetzt ist sie seit Mitte Januar in Wangen an der Aare in der RS. In doppelter Funktion, nämlich als Rettungssoldatin und Fahrerin. «Einfach geil», meint sie.
Es prallen Alters-Welten aufeinander
Anfeindungen wegen ihres ausländischen Namens erlebt sie nicht. Auch sexuelle Anspielungen von männlichen RS-Kameraden hat sie nie erlebt. Sie wird respektiert, mehr als in ihrem Alltag als Zivilistin, wie sie erzählt. Aber: «Das Alter spüre ich hier», sagt sie. «Ich rede vom Heiraten, Weiterbildungen oder von der 3.Säule.» Ihre meist 10Jahre jüngeren RS-Kameradinnen und -Kameraden haben ganz andere Gedanken. «Sie reden davon, dass sie von ihrer Mutter am Wochenende um 11 Uhr geweckt wurden – und sie das mühsam finden», lacht Ünal. Da prallen Welten aufeinander. «Aber eigentlich ist auch das absolut kein Problem.»
Sandrine Ünal ist in Wohlen aufgewachsen, besuchte die Unterstufe im Junkholz und Bünzmatt. Hier tanzte sie 10Jahre lang im «Tanzlade» und bei den «Streethoppers». Zur Oberstufe hin zügelte sie nach Bremgarten, ging ins Isenlauf zur Schule, wohnte später noch mehrere Jahre in Widen. Ihre Mutter ist Schweizerin, der Vater Türke. Mit beiden hat sie keinen Kontakt mehr. Ünal hat noch drei Halbschwestern, einen Halbbruder und einen Zwillingsbruder. Einige davon kennt man in der Region. Zwillingsbruder Nico Ünal ist Trainer des Frauenteams des FC Wohlen. Halbbruder Robert Wirz ist im Gemeinderat von Hägglingen.
Sandrine Ünal ist quirlig, rastlos, nimmermüde. «Ich kann nicht still sitzen und mir wird sehr schnell langweilig.» Ihre Lehre macht sie als Floristin in Fislisbach, sie absolviert danach die Handelsschule, war Logistikerin und Einkaufsmanagerin bei einem Grossverteiler. Gleichzeitig ist sie in der Feuerwehr in ihrem aktuellen Wohnort Spreitenbach.
Sandrine Ünal wurde es vor zwei Jahren wieder mal langweilig, sie wollte sich neben dem Beruf noch etwas Neues aneignen. Sie wollte etwas mit Sport zu tun haben, ihrer grossen Leidenschaft. Die Berufsmatur mit Fachrichtung Sport war ihr Ziel, doch das klappt vorerst nicht. «Es hat sich nicht ergeben», sagt sie.
Unverständnis erlebt
Aus der Enttäuschung heraus notierte sie sich auf einem Blatt Papier alle Dinge, die ihr im Leben gefallen. «Ich liebe Sport. Ich interessiere mich sehr für den menschlichen Körper und wie man an die Leistungsgrenzen kommt», sagt Ünal, die schon als Kind sehr sportlich war und heutzutage gerne Kunstturnen betreibt. Weiter meint sie: «Und ich setze mich sehr für Gleichberechtigung ein.» Anhand dieser Notizen merkt sie schnell, dass sie im Militär bestens aufgehoben wäre.
Sie geht 2021 an die Aushebung und fühlt sich sofort pudelwohl. Sie meldet sich an für die Rekrutenschule. Die Reaktionen: «Von supertoll bis ablehnend», sagt sie. Ihr Arbeitgeber verstand nicht, wieso sie mit 28 Jahren, die RS noch machen will. Von ihrem Umfeld – allen voran ihrem jahrelangen Freund und Verlobten – gibt es dagegen nur positiven Zuspruch. «Mein Bruder Nico erzählt allen stolz, dass ich im Militär bin.»
Mitte Januar startete sie die Rekrutenschule. Sie hat schon Monate zuvor jeden Tag stundenlang trainiert, um dafür topfit zu sein. Und jetzt: «Ich geniesse es sehr», sagt sie.
Schiessen? «Richtig geil»
Sie mag, dass jeder Tag durchgetaktet ist. Sie mag, dass sie immer wieder neue körperliche Herausforderungen meistern darf. Morgens um 5 Uhr aufstehen? «Kein Problem.» Jedes Ding an seinem Ort. «Sehr gerne.» Pünktlichkeit? «Unbedingt.» Schiessen? «Richtig geil.» Um auch dafür gewappnet zu sein, hat sie im Vorfeld extra den Jungschützenkurs besucht. Es hat sich gelohnt, sie hat im Schiessen schon als Beste ein Abzeichen gewonnen. «Ich will auch in meiner Kompanie die Beste sein. Und oft gelingt mir das auch», erzählt sie voller Selbstvertrauen.
Es scheint, als ob Ünal wie geschaffen für die Armee ist. Als Rettungssoldatin und Fahrerin nimmt sie auch viele Dinge für das zivile Leben mit. «Im Notfall wissen, wie man hilft. Selbstbewusst sein. Oder die Anhängerprüfung», nennt sie drei Beispiele. Sie schätzt es sehr, dass sie Dinge lernt, die ihr in ihrem späteren Leben noch hilfreich sein werden.
Sie möchte online andere Frauen motivieren
Ünal zügelte vor drei Jahren nach Spreitenbach. Sie ist mit dem Freiamt aber nach wie vor stark verbunden. Von ihrem Umfeld erntet sie viel Zuspruch für ihren Lebensweg. Doch auch von anderen Menschen gibt es viele Rückmeldungen. Die geschehen online. Denn sie postet ihren Alltag in der RS auch in den sozialen Medien. Auf Instagram unter «handstandingsandy» gibt sie Einblicke in ihren Alltag. Seit diesem Jahr ist es den Rekruten erlaubt, in den sozialen Medien unter Einhaltung gewisser Regeln militärische Inhalte mit der Öffentlichkeit zu teilen. «Ich möchte animieren und motivieren», sagt sie. Und sie erhält auch dort viele positive Rückmeldungen.
Besonders von Frauen wird sie auf Instagram kontaktiert. «Sie erzählen, dass sie ebenfalls vorhatten, die RS zu machen, aber dann von Vätern, Brüdern oder dem Freund ausgebremst werden. Es heisst, sie können dies nicht schaffen.» Doch Ünal – die den Handstand perfekt beherrscht – hat eine andere Botschaft bereit: «Du kannst alles erreichen, wenn du nur willst.» Sie möchte andere Frauen motivieren, ebenfalls das Militär zu absolvieren. Oder allgemein an sich zu glauben. «Das ist ein Ziel von mir.» Ünal behauptet von sich selbst, eine grosse Klappe zu haben. «Ich bin laut, besonders wenn es um Gleichberechtigung geht. Frauen sollten nicht um ihre Stellung kämpfen müssen. Es gibt noch viel zu tun.»
In der Rekrutenschule selbst wurde sie zu Beginn kaum auf ihr Alter, ihr Geschlecht oder ihre Herkunft angesprochen. «Hier werden alle gleich behandelt. Frauen werden nicht bevorzugt. Mir gefällt das.» Nach einigen Wochen haben dann viele männliche RS-Kameraden sie angehauen, wieso sie das eigentlich macht. «Ein paar haben es nicht verstanden. Sie müssen in die RS, ich mache es freiwillig und mit einem Lächeln. Sie waren ein bisschen genervt von mir. Mir ist das aber egal.» Die zierliche Frau (1,62m und 52kg) mischt die grossen Jungs auf. «Der Grossteil der Leute findet es supercool. Und ich weiss, dass es das Richtige ist für mich.»
RS hilft auch als Ehefrau
Noch bis Mitte Mai wird sie in der Rekrutenschule sein. Sie wird auch danach diszipliniert, ehrgeizig, perfektionistisch – und schnell gelangweilt sein. Und deshalb hat sie auch schon ihre weiteren Ziele definiert. Die Berufsmatur mit Fachrichtung Sport ist nach wie vor eines dieser Ziele. Dazu wird sie ihren Freund im Sommer heiraten und nach Aarau umziehen. Die nächsten Challenges stehen an. «Die Erfahrungen in der RS werden mir auch helfen, eine gute Ehefrau zu sein», ist sie überzeugt. Mit ihren meist 10Jahre jüngeren RS-Kameraden hat sie sich in Geduld geübt, wie sie mit einem Augenzwinkern erzählt. Das werde ihr dann auch als Ehefrau helfen.