In die Kunst-Wildnis
31.07.2025 Wohlen, Kunst, NaturDer Freiämter Künstler Pirmin Breu erfüllt sich auf dem Gotthardpass einen Lebenstraum
An der Gotthardpassstrasse hat sich Pirmin Breu ein kleines Häuschen gemietet – und betreibt dort sein Sommeratelier. Das Wetter ist allerdings aktuell alles ...
Der Freiämter Künstler Pirmin Breu erfüllt sich auf dem Gotthardpass einen Lebenstraum
An der Gotthardpassstrasse hat sich Pirmin Breu ein kleines Häuschen gemietet – und betreibt dort sein Sommeratelier. Das Wetter ist allerdings aktuell alles andere als sommerwürdig, dennoch ist diese Erfahrung für ihn etwas ganz Besonderes. Der 53-Jährige fühlt sich wie in seinem Lieblingsfilm.
Stefan Sprenger
Pirmin Breu ist seit Jahrzehnten ein Film-Freak. Er führt gar eine Bestenliste. «Der Film Nummer eins ist seit bald 20 Jahren ‹Into the wild› – mit Abstand», erzählt Breu. 15 Mal hat er sich den Streifen schon angesehen. «Into the wild» (zu Deutsch: In die Wildnis) erschien 2007 und beruht auf wahren Begebenheiten. Der Film erzählt die Geschichte von Christopher McCandless, der allein in die Wildnis von Alaska zieht und zu sich selbst findet. «Dort oben, im Mätteli auf dem Gotthard, da ist es für mich wie in Alaska», erzählt Breu.
Von Meteoriten und Autopannen
Der Gotthard ist für ihn schon als Kind ein besonderer Ort. In den 1980er-Jahren ist er oft mit den Eltern dort gewesen, in der Oberstufe ist er mit dem Velo über den Pass gefahren und als Erwachsener ist er auch immer wieder auf dem Gotthard unterwegs, übernachtet in seinem Auto – beispielsweise im Hochsommer, wenn die Meteoritennächte (Perseiden) sind. Alles wunderbare Erinnerungen. «Als ich vor 20 Jahren mit meinem alten Volvo ausnahmsweise mal durch den Tunnel fuhr und eine Panne hatte, da wusste ich, dass ich immer nur über den Gotthard fahren sollte», erzähl Breu lachend. Immer, wenn er in der Gegend unterwegs ist, hält er Ausschau nach einem Ort, wo er eine Zeit lang leben könnte. Es hat sich aber nie etwas ergeben.
«Heidi besucht Pirmins Alpaufzug»
Bis zum letzten Frühling. Er erhält die Chance, ein kleines Haus zu mieten. «Ich musste einfach zusagen», sagt Breu. Im Juni räumt er das Haus, das früher ein Restaurant war. Er richtet es neu ein – ohne Heizung und bei teilweise sehr kühlen Temperaturen in der Nacht. «Mittlerweile habe ich mir einen Ofen zugelegt», sagt er.
Vom 10. Juli bis 10. August stellt er gar aus in seinem Sommeratelier unter dem Titel «Heidi besucht Pirmins Alpaufzug». Ein Artshop in Handwerkskunst, eine 1.-August-Feier (ohne Feuerwerk) und weitere Events hat er geplant. Manchmal in Zusammenarbeit mit dem Restaurant Mätteli, das quasi das einzige Gebäude in näherer Umgebung ist. Breu kriegt Besuch von Wanderern, Velofahrern oder Automobilisten, die über den Gotthardpass fahren. «Und aus der Heimat sind schon viele
Bekannte und Freunde auf Besuch gekommen. Man kann auch bei mir übernachten», erzählt Breu.
«Land Art» und Alleinsein
Er selbst findet etwas zu sich selbst. In den Morgenstunden liegt er manchmal «einfach auf die saftig-grüne Wiese und meditiere», wie er sagt. Er macht «Land Art» – also Kunst mit der Natur. Oder er nimmt ein (sehr kühles) Bad in der Gotthardreuss. Er geniesst die Ruhe, die Natur, das Alleinsein, also genau wie in seinem Lieblingsfilm «Into the wild». Nur ist er wesentlich schneller in der Zivilisation als in der Abgeschiedenheit Alaskas.
Auf der Suche nach neuer Bleibe
Das muss er auch. Denn Ende August ist die Freiämter Kunstausstellung «K-13», wo er als Initiant und Künstler mitwirkt. Und Breu ist jeweils am Dienstag und Mittwoch zu Hause im Freiamt. In seinem Atelier in Wohlen und bei seinen Eltern in Muri. Sein um fünf Jahre älterer Bruder Claude ist im letzten Jahr an einem Herzinfarkt verstorben und Breu sieht sich nun auch verantwortlich, dass er auf seine Eltern – die beide um die 90 Jahre alt sind – achtet. Und er verlässt sein Zuhause im Gebäude an der Jurastrasse in Wohlen und ist auf der Suche nach einer neuen Bleibe. «Eine Tür geht zu, eine Tür geht auf», sagt Breu. Wieso nicht gleich auf den Gotthard zügeln? «Die Möglichkeit besteht, ich habe mir das auch schon überlegt. Ab Oktober ist die Passstrasse aber zu und es kommen kaum noch Menschen.»
Einst Megastädte, jetzt Ruhe
Seit Anfang Juli ist das Wetter ziemlich mies. Die Temperaturen tief, oft regnet es, auf dem Pass weht ein starker Wind. «Für mich okay. Aber es kommen kaum noch Wanderer, Velofahrer oder Besucher vorbei», so Breu. Sein Highlight ist die Gotthardkutsche, die vorbeifährt und auch an kalten Tagen für mystische Stimmung sorgt. «Das Wetter ist rau, das gefällt mir sehr gut. Die Stille macht diesen Ort nur noch spezieller. Ich spüre eine tiefe Verbindung zu dieser Gotthardregion, die Leute im nahe gelegenen Restaurant sind enorm herzlich, es ist für mich ein wunderbares Erlebnis.» Breu, der früher angezogen war von Megastädten wie New York, Mexiko City oder Bangkok, sucht im fortgeschrittenen Alter eher das Gegenteil, die Ruhe. «Hier, wo ich bin, ist quasi das Tiktok der Natur», sagt er lachend.
Im Film «Into the wild» lebt Christopher McCandless in einem Bus mitten in der Wildnis. «Mein Häuschen hier oben ist jener Bus», sagt Breu. Die Geschichte von McCandless endet tragisch, denn er verhungert und stirbt. «Ich werde wohl noch ein wenig bleiben und dann weiterziehen», sagt Breu – und plant 2026 eine Ausstellung in der Innerschweiz über das Thema «Alpaufzug». Für die nächsten Wochen wird er noch an jenem besonderen Ort wohnen, leben und geniessen. «Wenn ich zurück in der Zivilisation bin und wieder einen Fernseher habe, schaue ich mir als Erstes den Film ‹Into the wild› an», sagt Breu.