Ich liege darnieder. Nichts Schlimmes, nur eine Leistenbruch-OP. Der Arzt hatte von Notoperation gesprochen, falls ich zuwarten würde. Seufzend verschob ich meine Sommerpläne, eine Velotour über die Alpen nach Nizza, und begab mich statt aufs Velo unters Messer.
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Ich liege darnieder. Nichts Schlimmes, nur eine Leistenbruch-OP. Der Arzt hatte von Notoperation gesprochen, falls ich zuwarten würde. Seufzend verschob ich meine Sommerpläne, eine Velotour über die Alpen nach Nizza, und begab mich statt aufs Velo unters Messer.
Nach dem Eingriff bei schönstem Sommerwetter drei Wochen stillzuhalten, war schwer. Ich fand Ersatz in einem Veloevent, noch gröber als mein eigenes Vorhaben: das Three Peaks Bike Race von Wien nach Nizza über drei vorgegebene Gipfel, die Restroute frei wählbar. Ich fuhr den Ultra vom Sofa aus via Handy: Auf der Karte konnte ich den 250 getrackten Fahrern folgen, darunter einem Freund. Als kleine Nummern ruckelten sie langsam von Wien aus westwärts über die Landkarte. Zehn Tage war das Zeitlimit, jeder durfte schlafen, wie lange und wo ihm beliebte, im Hotel oder im Gebüsch.
Das Feld bewegte sich auf einer flachen Strecke via Innsbruck Richtung Bodensee. Aber was zum Teufel machte Fahrer Nummer 224, der plötzlich ausscherte und aufs Val Müstair zuhielt? Ofenpass und Flüela! Wusste er, was er tat? Warum schlief die führende Nummer 205 am Feldberg gechillt fünf Stunden, während andere vorbeizogen und sich kaum Nachtruhe gönnten? Warum radelte einer einsam via Wohlen über den Gotthard, statt wie das Feld über Genf?
Ich konnte ganz in die Karte hineinzoomen. Sah, wer sich wo verpflegte und ruhte, Veloshop oder Apotheke aufsuchte. Längst folgte ich nicht mehr nur dem Freund, sondern der Spitze. Atemlos. Alle paar Minuten klinkte ich mich ein, auch nachts. Längst kannte ich die Nummern, wusste, wer sich wie verhielt, wer unbeirrt dem Ziel entgegenfuhr, wer zauderte, sprunghaft war und wer wie tickte. Ich kannte diese Menschen, ohne sie zu kennen. Ständig telefonierte ich mit meiner Freundin, wir rätselten über die Route ihres Mannes und aller anderen, wussten superschlau alles besser, wie Fans beim Fussballmatch.
Die Nummer 205 fuhr wie auf Schienen, schlief kaum. Nach fünf Tagen erreichte sie als Sieger das Ziel – und entschwand aus meinem Leben. Ich war erschöpft, als sei ich mitgefahren. Hoffentlich erhole ich mich, bis ich demnächst selber losradle, Nizza entgegen. Nur damit Sies wissen: Ich lasse mich bestimmt nicht tracken.