Ganzes Dorf entstehen lassen
24.01.2023 Villmergen, Region UnterfreiamtDie Theatergesellschaft Villmergen arbeitet mit Hochdruck an der neuen Produktion «Under em Milchwald»
Es ist keine einfache Ausgabe, der sich die Theatergesellschaft stellt. Sie bringt ein Hörspiel auf die Bühne und verwandelt ein walisisches ...
Die Theatergesellschaft Villmergen arbeitet mit Hochdruck an der neuen Produktion «Under em Milchwald»
Es ist keine einfache Ausgabe, der sich die Theatergesellschaft stellt. Sie bringt ein Hörspiel auf die Bühne und verwandelt ein walisisches Fischerdorf in einen Ort im Freiamt. Erzählt wird keine eigentliche Geschichte, porträtiert werden die rund 50 Bewohner des Dorfes. Auf das Resultat darf man sich freuen.
Chregi Hansen
Kalt war es an diesem Wochenende. Sehr kalt. Auch in der Scheune des ehemaligen Holzbaubetriebs Wey in Villmergen, wo die Kälte durch die Ritzen der Wände dringt. Kein Wunder, haben sich die Darsteller dick eingemummt bei den Proben. Mit Winterjacken, Mützen und Schals stehen sie auf der Bühne. «Das mit den richtigen Kostümen kommt dann erst später», lacht Regisseur Dodó Deér.
Trotz der Kälte geben die Darsteller auf der Bühne alles. Und nehmen es in Kauf, zeitweise minutenlang in der gleichen Position zu sitzen oder gar zu liegen. «Toll, dass ihr alle trotz der widrigen Umstände durchgehalten habt», meint Deér am Schluss. Das Probewochenende war für alle enorm wichtig. Erstmals konnte man auf der richtigen Bühne spielen, auch wenn diese noch nicht im Detail fertig gebaut ist. «Jetzt haben wir eine Ahnung, was genau passiert und wie das Ganze wirkt», sagt auch Paul Steinmann, der Autor des Stückes, der zudem eine Rolle übernimmt.
Vom Fischerdorf bleibt nur wenig übrig
Das diesjährige Stück «Under em Milchwald» stellt die Verantwortlichen vor grosse Herausforderungen. Es basiert auf dem berühmten Hörspiel «Under Milk Wood» des walisischen Poeten Dylan Thomas, welches Steinmann umgeschrieben und den Freiämter Verhältnissen angepasst hat. «Wir haben alles, was mit der Fischerei und der Seefahrt zu tun hat, rausgestrichen. Nur die Person des Kapitäns und ein Lied blieben erhalten», schmunzelt er. Das ist möglich, weil das Stück ohne grosse Handlung auskommt, sondern das Modell eines Dorfes und seiner Bevölkerung ist. Und da lassen sich durchaus auch Anspielungen auf Villmergen einbauen. «Das ist mir immer wichtig. Erstes Ziel war es aber diesmal, die poetische Sprache zu erhalten. Sie gibt den Rhythmus des Stücks vor, zusammen mit der Musik», so Steinmann.
Für diese ist Christov Rolla zuständig, der wie Deér und Steinmann schon bei der letzten Produktion «Der Kammerdiener» Teil des künstlerischen Teams war. Er komponiert nicht nur den passenden Sound, sondern spielt gleich einen Musiker, der das Geschehen zeitweise auf dem Harmonium begleitet. Zudem hat er einige Chor- und Sololieder arrangiert, deren Ttexte auf denen von Dylan Thomas basieren. «Es war mein Ziel, eine ganz eigene Musik zu schaffen, welche sich anlehnt an die walisische Volksmusik, ohne sie kopieren zu wollen, weil das Stück ja im Freiamt spielt», sagt er.
Bühne wird für die Darsteller zur Herausforderung
Eines der grössten Probleme bei dieser Produktion war aber die Frage, wie man ein Dorf mit über 50 Bewohnern auf eine Bühne bringt. In einem Hörspiel geht das problemlos, im Theater braucht es dafür kreative Ideen. «Ich habe noch nie so viele Entwürfe gezeichnet wie diesmal», sagt Dodó Deér, der viel Erfahrung als Bühnenbildner hat. Letztlich ermöglichen zwei Kniffs die Illusion des Dorfes. Zum einen ist die Bühne keine gerade Fläche, sondern erhebt sich in verschiedenen Stufen in die Höhe. «Sie spiegelt quasi die Tribüne des Publikums, das ja ebenfalls eine Gemeinschaft bildet», erklärt Deér. Zum anderen kommen vielseitig nutzbare Holzquader als symbolische Häuser zum Einsatz, die sich schnell zu Tisch, Stuhl oder anderen Requisiten umwandeln lassen. Durch die vielen Stufen werden jedoch die Wege der Darsteller länger und komplizierter. «Daran müssen wir noch feilen. Überhaupt ist das Stück noch zu lang», so der Regisseur.
Das Ensemble besteht aus 30 Darstellern, eine bunte Mischung aus «alten Hasen» und Neulingen. Damit diese sich auf der Bühne richtig entfalten können, dafür ist unter anderem Choreografin Mariana Coviello zuständig. «Es geht in meiner Arbeit darum, wie sich die Figuren auf der Bühne bewegen, wie sie gestikulieren, wie sie sich geben», erklärt sie. Das sei mit neuen Darstellern oft einfacher als mit erfahrenen, die glauben, schon alles zu wissen. Das Dorf ist gross, viele der Darsteller müssen dabei gleich mehrere Rollen übernehmen. «Eine Frau spielt beispielsweise eine Grossmutter und deren Enkelin», lacht Coviello. Die Arbeit macht ihr Spass, alle Beteiligten seien sehr motiviert, die Stimmung gut. «Wichtigstes Ziel ist es, dass die Schauspieler ihre Privatperson ablegen und voll in ihre Figur schlüpfen.»
Der Autor als Schauspieler
Das macht diesmal auch Paul Steinmann. Der Villmerger Autor war zwar in jungen Jahren auch als Schauspieler auf der Bühne zu sehen, aber der letzte Auftritt ist über 30 Jahre her. «Ich muss das alles wieder lernen. Aber ich freue mich auf die Vorführungen», erzählt er. Durch sein Mitmachen ist er stärker in die Produktion integriert als sonst. «Normalerweise gibt er seinen Text ab und kann abwarten, was passiert. Nun ist er in der Entwicklung weiter involviert. Aber das geht problemlos, weil wir uns gut kennen und respektieren», sagt Regisseur Dodó Deér.
Überhaupt: Weil keine «normale» Geschichte erzählt, sondern quasi das Bild eines Dorfes gemalt wird, muss das künstlerische Team noch stärker zusammenarbeiten als sonst. «Text, Musik, Bühnenbild, Kostüme und Bewegungen müssen alle fein aufeinander abgestimmt sein, sie geben gemeinsam den Rhythmus vor», erklärt Choreografin Mariana Coviello. Dabei können alle Beteiligten ihre Stärken einbringen und dem Regisseur komme die Rolle des Dirigenten zu. Doch das Wichtigste sei, dass es endlich los geht. Bereits 2019 begannen die Vorarbeiten für die neue Produktion, doch der fehlende Aufführungsort und Corona machten der Theatergesellschaft lange einen Strich durch die Rechnung.
Hohe Erwartungen
Nun aber ist es so weit. Am 5. Mai findet die Premiere statt. Gespielt wird im Exil im Wohler Chappelehof. «Es gibt noch viel zu tun. Aber alles in allem sind wir gut unterwegs und hoffen, dass wir möglichst bald den Saal nutzen können», schaut Dodó Deér voraus. Vorerst müssen sie auf andere Orte ausweichen. Beispielsweise in die kalte Scheune. Wer allerdings in solchen Situationen bestehen kann, der wird wohl auch vor vollen Zuschauerrängen brillieren. Mit dem «Kammerdiener» hat die Villmerger Theatergesellschaft die Latte hoch gelegt für künftige Produktionen. Die Voraussetzungen aber sind gut, dass auch das Nachfolgestück zum Grosserfolg wird.
Der Vorverkauf startet am 25. Februar. Infos: www.theater-villmergen.ch.