"Frohe Ostern" - mal anders

  17.04.2025 Region Bremgarten, Region Oberfreiamt, Region Unterfreiamt, Region Wohlen

Krimi-Autorin Saskia Gauthier und ihre Ostergeschichte

Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen? Gerne würde ich Ihnen eine kleine Ostergeschichte erzählen. Aber seien Sie gewarnt, sie ist nicht unbedingt heiter.

Saskia Gauthier

Angefangen hatte alles mit einem wundervollen Morgen. Es musste noch früh gewesen sein, als mich etwas geweckt hatte. Ich widerstand der Versuchung, auf die Uhr zu schauen.

Schliesslich war heute mein erster freier Tag seit langem und ich hatte mich so sehr darauf gefreut, auszuschlafen. Sicherheitshalber hatte ich mein Telefon gar nicht erst mit ins Schlafzimmer genommen. Man kennt das ja. Ein morgendlicher Blick auf die Uhr. Ein, zwei WhatsApp auf dem Sperrbildschirm, vielleicht eine Mail und schon steckt man wieder mittendrin. Aber nicht heute, am Ostersonntag. Denn, wie gesagt, heute hatte ich frei.

Ich drehte mich also auf die Seite und versuchte wieder einzuschlafen. Doch meine Gedanken schweiften ab, obwohl ich mich mit aller Macht dagegen wehrte und zwanghaft versuchte, an etwas anderes zu denken. An den geplanten Spaziergang am Flachsee, an den Osterbrunch bei Steffi und Andreas gegen zwölf.

Doch immer wieder musste ich an die Todesfälle denken, die die ganze Region in den letzten Tagen erschüttert hatten – und damit auch mich. Als Rechtsmedizinerin war ich zu jedem Fall gerufen worden. Hatte das Grauen aus nächster Nähe sehen müssen. Natürlich war schweizweit darüber berichtet worden. Der Ostermörder, Das Ostergrauen oder Kommt der Mörder im Hasenkostüm? waren typische Headliner der medialen Berichterstattung gewesen.

Der Grund für diese Attribute war ein Osternest. Ein herziges geflochtenes Körbchen, etwas Moos, ein Hase und vier hart gekochte Eier, in den Aargauer Kantonsfarben blau und schwarz eingefärbt, mindestens eins davon angeknackt, als ob es zuvor getütscht worden wäre. Ein Nest neben jeder Leiche.

Angefangen hatte es am Palmsonntag. Der Nächste wurde am Gründonnerstag gefunden, wobei Spinat eine Rolle gespielt hatte, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Den Letzten hatten wir am Karfreitag untersuchen müssen – und nein, es war kein Kreuz im Spiel gewesen, aber dafür Fisch. Unzählige sogenannte Experten hatten darüber spekuliert, was uns der Ostermörder sagen möchte. Manche waren der Meinung, dass die Anzahl Eier die Todesfälle repräsentierte, andere sahen darin einen Protest gegen heidnische Bräuche und die Verrohung der kirchlichen Feste. Es gab viele, die letztere Theorie durch den Spinatmord und das Eiertütschen untermauert sahen.

Ich glaubte nichts von alldem. Die Polizei indes tappte völlig im Dunkeln. Natürlich hatten alle Angst vor der nächsten Tat. Denn, wann, wenn nicht an Ostern, würde der Mörder wieder zuschlagen?

In der Region war Panik ausgebrochen. So war die Ostereiersuche eines Kindergartens in Wohlen völlig ausgeartet, als ein Kind mit einem schwarzen und einem blauen Ei daherkam. Für Aufregung hatten auch die Jugendlichen gesorgt, die in Bremgarten ein Nest auf dem Pult einer nicht sehr beliebten Lehrerin platziert hatten. Vorübergehend war die Schule geschlossen und die Polizeipräsenz verstärkt worden. Danach war offen darüber diskutiert worden, ob man nicht nur die Eier- und Nestsuche dieses Jahr gänzlich verbieten, sondern auch den Verkauf von Osternaschereien untersagen sollte. Natürlich gab es reichlich Gegenwind in Form von Querköpfen, Protestierenden und sogar eine Facebook-Gruppe mit dem Namen Eier gehören zu Ostern oder so, die sich nicht vorschreiben lassen wollten, wie sie das Fest der Auferstehung zu feiern haben.

Ach, ich schaffte es einfach nicht mehr einzuschlafen. Unruhig drehte ich mich ein paar Mal hin und her, bevor ich beschloss, aufzustehen. Wie spät es wohl war? Von meinem Freund Daniel neben mir war nichts zu hören. Ob er schon auf war?

Ich öffnete die Augen und blinzelte erst mal gegen die Helligkeit im Zimmer. Danis Seite war leer, das Bett zerwühlt. Ich strich zärtlich mit den Fingern darüber. Der Arme. Wahrscheinlich konnte auch er nicht mehr schlafen. Als Kriminaltechniker war er intensiv an den Fällen beteiligt gewesen.

In setzte mich an den Bettrand, gähnte herzhaft und streckte mich. Als mein Blick auf mein Nachttischchen fiel, erstarrte ich. Unfähig, mich zu rühren, starrte ich auf meinen Nachttisch oder besser gesagt auf das, was sich darauf befand. Das Moos hellgrün und feucht. Darin ein kleiner schwarzer Käfer, der nach oben krabbelte. In Richtung der vier Eier, die akkurat um einen goldenen Osterhasen drapiert worden waren. Ich war wie gelähmt, konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Hatte Daniel eins der Nester von der Arbeit mit nach Hause genommen? Hatte er nochmals eine spurentechnische Untersuchung durchgeführt? Er hatte eigens zu diesem Zweck ein kleines Labor, aber das befand sich im Keller unseres Hauses und nicht auf meinem Nachttisch.

Überhaupt! Daniel! Wo war er? War er das nächste Opfer? Doch warum war das Nest dann neben meinem Bett? Ich hielt den Atem an und lauschte. Von draussen das stetige Trällern einer Meise. Irgendwo in der Nähe bellte ein Hund. Im Haus jedoch Totenstille. Ich rutschte ein wenig zur Seite, suchte hektisch nach meinem Telefon und hätte mir im nächsten Moment am liebsten gegen die Stirn geklatscht. Natürlich. Ich Trottel. Ich hatte das Handy ja absichtlich in meiner Jackentasche gelassen. Damit ich nicht in Versuchung kam. Wie idiotisch konnte man eigentlich sein? Aber, Hand aufs Herz, wer würde denn damit rechnen, in seinem eigenen Heim überfallen zu werden?

Na ja, eigentlich alle, die an den Fällen hatten mitarbeiten müssen – und damit auch Daniel und ich. Schliesslich waren alle drei Opfer in ihren Häusern gefunden worden. Was, wenn Daniel nun das nächste Opfer war? Doch warum hatte ich nichts davon mitbekommen?

In diesem Moment riss mich ein Geräusch aus meinen Gedanken. Ein leises, aber langgezogenes Knarren. Alle Haare an meinem Körper stellten sich auf. Ich kannte das Geräusch. Es war das Knarzen der mittleren drei Treppenstufen. Da kam jemand! Der Mörder? Ich sprang auf, rannte zum Fenster. Ob ich da rausklettern könnte? Doch ich war schon in der Schule nicht die Sportlichste gewesen. Jetzt, mit Anfang 50 und leichtem Übergewicht, wohl kein sehr aussichtsreiches Unterfangen. Für einige Atemzüge blickte ich hoffnungslos auf den Abgrund unter mir. Warum nur waren die Nachbarn auch ausgerechnet über Ostern im Tessin? Sonst hockten sie doch ständig im Garten. Vor der Tür nun Schritte. Panisch rannte ich zu dem Stuhl, auf den ich gestern Abend achtlos meine Kleider geworfen hatte. Wenn ich den vor die Tür schob und mich draufsetzte, konnte ich vielleicht … doch zu spät. Die Schritte stoppten. Langsam, wie in Zeitlupe, bewegte sich die Klinke nach unten.

Eine Gestalt erschien im Türrahmen.

Daniel!

Im ersten Moment schwappte Erleichterung über mich wie eine Welle. Er hatte ein Tablett in den Händen, darauf etwas Osterzopf, ein grosses Messer und einen Hanfstrick. Er lächelte. «Stimmt was nicht?» Seine Stimme samtweich. Ich deutete auf das Nest, stammelte etwas von der Ostermörder ist hier, und wir müssen weg, doch Daniel schüttelte liebevoll den Kopf. «Aber nein, Liebes. Wir müssen doch nicht weg.» Er kam näher, schloss die Tür mit einem sanften Kick seines Fusses. Warum trug er Handschuhe? Und was war das für eine Plastikschürze?

Mit zitternden Fingern zeigte ich auf das Osternest. «Aber schau doch, das Nest …»

Daniel lächelte nachsichtig. Setzte sich neben mich und strich sanft über meine Haare. Ein Schauder überlief mich. Ich nahm seinen Geruch wahr, so vertraut und doch irgendwie fremd. Er griff nach dem Nest und nahm je ein Ei heraus.

«Frohe Ostern», fügte er hinzu, während er mir ein Ei reichte.

Und das, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich Ihnen auch.


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