Fast schon kitschig
22.09.2023 MuriDas Freilichttheater «Amerika» war diesen Sommer das grosse Thema und ein riesiger Erfolg
18 Aufführungen. Allesamt waren sie ausverkauft – mehr noch. Der Autor, die Produktionsleiterinnen, die Schauspielenden, alle wurden sie mit Lob ...
Das Freilichttheater «Amerika» war diesen Sommer das grosse Thema und ein riesiger Erfolg
18 Aufführungen. Allesamt waren sie ausverkauft – mehr noch. Der Autor, die Produktionsleiterinnen, die Schauspielenden, alle wurden sie mit Lob überhäuft. Logisch, dass das Fazit aller Involvierten mehr als positiv ausfällt. Wermutstropfen gab es keine – fast keine.
Annemarie Keusch
Es war jener Moment im Hallenstadion in Zürich. Bis zur Premiere von «Amerika» dauerte es noch einige Wochen. Christoph Zurfluh besucht ein Konzert, schaut im grossen Rund des Stadions um sich. «So viele Leute sollen sich unser Theater anschauen. Wie soll das gehen?» Es war einer der zweifelnden Momente. Über 6000 Leute, so viele wie sich das Konzert mit ihm anschauten, sollten Platz nehmen auf der «Amerika»-Tribüne auf dem Klosterhof. Heute kann Christoph Zurfluh darüber lachen. Längst weiss er, dass die Leute kamen, und zwar in Scharen. Während das Budget mit einer Auslastung von 80 Prozent erstellt wurde, waren es am Schluss über hundert. Und das, obwohl die Tribüne noch grösser erstellt wurde, als ursprünglich gedacht. Über 100 Prozent – wie das geht? «Jeden Abend gab es 18 Tickets, die an der Abendkasse ergattert werden konnten», erklärt Nicole Laubacher, Co-Produktionsleiterin. Stühle seien zusätzlich aufgestellt worden. «Mehr ging nicht», betont sie.
Diese 18 zusätzlichen Tickets kamen jeden Abend weg. Laubacher weiss von Leuten, die drei Abende dafür Schlange standen, bis es klappte. «Am Schluss bekamen fast alle einen Platz in einer der 18 Aufführungen», sagt sie. Dass «Amerika» schon am Tag der Premiere ausverkauft war, führte zum einzigen kleinen Wermutstropfen, den die Produktion hinterlässt. «Nicht alle hatten vollstes Verständnis dafür, dass keine Zusatzvorstellungen angeboten wurden», weiss Nicole Laubacher. Dies sei schlichtweg nicht möglich gewesen. «Wir brauchten die Ersatzdaten, falls eine Aufführung dem Wetter zum Opfer gefallen wäre», erklärt sie. «Und irgendwie ist es doch auch schön, wenn etwas ausverkauft ist», sagt Autor Christoph Zurfluh.
Grosses Miteinander
Komplimente durften sie und das ganze Ensemble viele entgegennehmen in den letzten Wochen und Monaten. Welches war das schönste? Beide überlegen. «Dass ‹Amerika› für alle ist. Das war unser Ziel und es wurde so erkannt. Das freut mich.» Nicole Laubacher meint damit nicht nur, dass das Theaterstück bei allen ankommt, sondern dass auch alle die Möglichkeit hatten, ein Teil davon zu sein – auf der Bühne, in der Organisation. «Gebraucht hat es alle.» Sie spricht von einem Miteinander-Projekt, das die ganze Region getragen habe. «Wir spürten nirgends Gegenwind. Das war eine wirklich schöne Erfahrung.»
Christoph Zurfluh erwähnt die vielen Emotionen, die seitens des Publikums zu spüren waren. «Es gab Leute, die kamen weinend von der Tribüne. Dass ‹Amerika› so berührt hat, war für mich das schönste Kompliment», sagt der Autor des Stücks. «Amerika» ist sein erstes Theater. Dass er angespannt war, ist darum logisch. «Die Erleichterung war gross, als deutlich wurde, dass das Stück funktioniert und ankommt.»
Zweifel verschwanden schnell
Nichts. Negatives hörten weder Laubacher noch Zurfluh. Stattdessen hagelte es Komplimente. «Irgendwie stand diese Produktion einfach unter einem guten Stern», sagt Christoph Zurfluh. Die Unterstützung, das Wetter, das Miteinander, alles klappte. «Es war immer eine unglaublich positive Energie spürbar», sagt Zurfluh. Allfällige Zweifel, die es vor einer solchen Produktion immer gibt, waren schnell verschwunden.
Der Autor spricht von einer Dynamik, die das ganze Projekt angenommen habe. «Die Schauspielerinnen und Schauspieler streuten ihre Begeisterung und lebten diese. Alle im Team taten das. So schwappte diese wohl auf die ganze Region über.» Ein weiterer Beweis dafür? Die Bar auf dem Klosterhof war vor, aber vor allem auch nach den Aufführungen ein beliebter Treffpunkt. «Es gab Leute, die jeweils nach der Aufführung kamen, um noch ein Glas Wein oder ein Bier zu trinken», weiss Nicole Laubacher. Kurz – «Amerika» wurde zum Sommerevent, der alle begeisterte und der in Erinnerung bleibt.
Weniger oft Wetter-Apps
Noch fehlen die Abschlusszahlen, noch flattern Rechnungen ins Haus. Dass die Abrechnung positiv ausfallen wird, so weit kann sich Nicole Laubacher aus dem Fenster lehnen. Ganz abgeschlossen ist für sie das Projekt noch nicht. Trotzdem war die Dernière ein intensiver Moment. «Es war Wehmut und Freude zugleich», sagt Nicole Laubacher. Wehmut, dass das Stück letztmals in dieser Konstellation aufgeführt wurde, dass die lauen Sommerabende mit guten Gesprächen und vielen Begegnungen an der Bar Geschichte sind. Freude darüber, wieder Kapazität für anderes zu haben. Denn Laubacher war an jedem «Amerika»-Abend dabei. «Ich habe nicht sechs Jahre darauf hingearbeitet, um an diesen Abenden daheim zu sitzen», sagt sie und lacht. Auch Zurfluh fehlte nur selten.
«Amerika» ist Geschichte. Was bleibt? «Zufriedenheit, auch Stolz, die Erkenntnis, dass zusammen ganz vieles möglich ist», sagt Christoph Zurfluh. Und ganz viele eigene Geschichten. Jene der Kinder, die konstant ihre Leistung abriefen, obwohl gegen Ende die Müdigkeit hinter der Bühne spürbar wurde. Jene der Wetter-Apps, die von den Organisatoren mittlerweile längst nicht mehr so oft konsultiert werden. Jene des Bedauerns, dass eine der Schauspielerinnen noch vor der Hälfte der Aufführungen ausfiel und erst dann überhaupt die Frage aufkam: Was, wenn dies dem Hauptdarsteller passiert? Jene des grossen Essens und Trinkens nach der Dernière. «Wer um 3 Uhr nach Hause ging, gehörte zu den Ersten», sagt Nicole Laubacher. Jene der Dankbarkeit, gegenüber dem Ensemble, dem Publikum, den helfenden Händen, den Behörden, den Institutionen, den Gönnern, der gesamten Region.
Wenn, dann ganz anders
Und wie geht es weiter? «So kurz nach einer solchen Produktion ist es noch viel zu früh, um nach vorne zu schauen», sagt Laubacher, die neben der Co-Produktionsleitung auch Ressortleiterin von Muri-Theater ist. Hat Christoph Zurfluh als Theaterautor Blut geleckt? «Ob ein nächtes Theater folgt, das weiss ich noch nicht», sagt er. Was er weiss: «Es müsste ganz anders sein.» Denn «Amerika» lasse sich kaum toppen. Zudem sei es noch derart präsent, dass er im Kopf schlicht noch keine Kapazität habe, an ein nächstes Theater zu denken.

