Erkenntnis bringt Durchbruch
25.08.2023 Region Bremgarten, Region Wohlen, Region Oberfreiamt, Region UnterfreiamtMartin Schneider, Schulsozialarbeiter in Muri, erzählt über das Mobbing an den Schulen
Mobbing an den Schulen beschäftigt die Schulsozialarbeit in allen Regionen. Wie diese dagegen arbeitet und wie sich das Mobbing verändert hat, erzählt der ...
Martin Schneider, Schulsozialarbeiter in Muri, erzählt über das Mobbing an den Schulen
Mobbing an den Schulen beschäftigt die Schulsozialarbeit in allen Regionen. Wie diese dagegen arbeitet und wie sich das Mobbing verändert hat, erzählt der langjährige Schulsozialarbeiter Martin Schneider.
Celeste Blanc
Hannah und Marci haben Streit. Dies, weil Hannah Marci sein Panini-Bild geklaut hat. Sie hänselt ihn und möchte es nicht mehr zurückgeben. Auf den ersten Blick ein kleiner Konflikt, der so jeden Tag zwischen Kindern passiert. Doch er kann auch Nährboden für eine Eskalation bilden, die im schlimmsten Fall Mobbingverhalten annimmt.
Was in solchen Fällen zu tun ist und wie man sich verhalten sollte, lehrt Martin Schneider Kinder mit seinen Handpuppen. Der langjährige Schulsozialarbeiter aus Muri, der Stellenleiter beim Kompetenzzentrum Schulsozialarbeit Muri und Schulsozialarbeit Kelleramt ist und auch an einer höheren Fachschule zu dem Thema unterrichtet, ist ein Experte. Jedes Jahr ist er mit Hannah und Marci im Einsatz und bringt den Kindern vom Kindergarten bis in die zweite Klasse bei, Konflikte friedlich zu lösen. «Es ist immer wieder erstaunlich, wie einfühlsam die Kinder auf solche Situationen reagieren können. Das bedeutet, dass in diesem Fall die Prävention Wirkung zeigt und die Kinder zum Nachdenken anregt.» Doch nicht immer bleibt das Gesehene hängen.
Soziale Medien lassen Ruhepausen verschwinden
Mobbing an den Schulen ist ein weit verbreitetes Thema. Auch im Freiamt beschäftigen die Fälle die Schulsozialarbeit. «Es ist eine Illusion, dass die Kinder auf dem Land wohlbehüteter aufwachsen als in der Stadt», weiss Schneider. «Teilweise sind die Konflikte sogar noch komplexer, weil oftmals eine Anonymität fehlt und jeder jeden kennt.» Gemeinsam mit seinem Team ist er deshalb immer dann zur Stelle, wenn es im Leben eines Kindes schwierig ist.
Was das Mobbing ganz spezifisch von anderen Konf liktfällen unterscheidet, ist, dass es aufgrund seiner Natur schwer zu erkennen ist. «Niemand mobbt öffentlich, oder nur ganz selten, auf dem Pausenplatz. Vorwiegend passiert es im Versteckten.» Auch widerspricht er der gängigen Annahme, dass Mobbing heute schlimmer sei als früher. Mobbing sei früher wie heute das Gleiche. «Nur, vor 20 Jahren gab es die Möglichkeit nicht, in den sozialen Medien nach Schulschluss damit weiterzumachen.» Mobbing hat durch die Digitalisierung einerseits an Reichweite, andererseits an Intensität gewonnen. Schneider erklärt: «Früher dauerte das Mobbing von 8 bis 15 Uhr während eines Schultages. Danach konnte das Opfer nach Hause und war allenfalls in einem Verein, wo es sich wohlfühlte und sich erholen konnte. Heute ist es in den sozialen Medien oder in Chatgruppen omnipräsent und kann schnell von der Schule in die Freizeit strahlen.»
«Auch Täter sind in einer Rolle»
Um Mobbingverhalten vorzubeugen, sei der Austausch zwischen allen wichtigen Personen ein Muss. Schneider setzt deshalb auf den Austausch mit den Vereinen. «Wenn Mobbing in der Schule beobachtet wird, wird der Verein kontaktiert, damit man dort aufmerksamer ist», erklärt er. Auch haben die Eltern eine wichtige Funktion. Beobachten sie Mobbingverhalten bei den eigenen Kindern, müssen sie ihnen unbedingt Grenzen aufzeigen. «Zwar liegt es in der Natur der Kinder, Grenzen auszuloten, so wie bei Konf likten. Dennoch müssen Konsequenzen auch zu Hause zu spüren sein, damit das Verhalten aufhört.»
Für den Schulsozialarbeiter ist es aber auch wichtig, sich des Täters anzunehmen. Auch er ist oftmals in einer Rolle gefangen, in der er sich beweisen muss. «Genau wie die Opfer sind auch die Täter in einer Rolle. Meist des coolen, der immer einen Spruch auf den Lippen hat», so der Experte. Um Gruppendynamiken aufzubrechen, setzt Schneider bei einem mittelschweren Mobbingfall auf die anerkannte und bewährte Methode des «No Blame Approach» (dt.: Ansatz ohne Schuldzuweisung). Bei diesem wird das Mobbingopfer, das mit Schneider eine Gruppe aus dem Klassenverband zusammenstellt, gemeinsam mit dem Lehrer und dem Täter in eine Sprechstunde eingeladen. Oftmals kommen die Täter dann zur Einsicht. «Die Erkenntnis ist ein grosser Durchbruch, mit dem gearbeitet werden kann.»
Fortschritte sind sichtbar
Mobbing ist und bleibt ein Verhalten, das immer wieder auftauchen wird. «Es kann jeden und jede treffen. Ist man mit einem Verhalten oder einer äusserlichen Eigenheit aufgefallen, entwickelt sich die Dynamik», weiss Schneider. Um vorbeugend gegen Mobbingverhalten an Schulen zu wirken, braucht es Intervention, aber auch Prävention. Wie mit den Handpuppen Hannah und Marci. «Prävention muss regelmässig erfolgen, damit die Aufmerksamkeit für Mobbing bei den Kindern und Jugendlichen präsent bleibt.»
Doch Schneider betont auch das Positive. Seiner Erfahrung nach ist Mobbing an den Schulen nicht gewachsen, sondern hat sich in den letzten 20 Jahren eher verringert. «Früher wurde Mobbing oft ignoriert und war nicht als soziales Verhalten bestätigt. Seit die Sozialarbeit als ausgebildetes Organ innerhalb der Schulen tätig ist und Mobbing offiziell angegangen wird, konnten grosse Fortschritte erzielt werden.»