Enttäuschung hier, Freude da
11.06.2024 Boswil, Region OberfreiamtDie Gemeindeabteilung des Kantons lehnt die Abstimmungsbeschwerde ab
Weil Ja stimmen musste, wer eigentlich Nein zu Tempo 30 sagen wollte und umgekehrt, reichten Stimmbürger beim Kanton Abstimmungsbeschwerde ein. Diese wurde nun abgelehnt, was bei Ammann Michael ...
Die Gemeindeabteilung des Kantons lehnt die Abstimmungsbeschwerde ab
Weil Ja stimmen musste, wer eigentlich Nein zu Tempo 30 sagen wollte und umgekehrt, reichten Stimmbürger beim Kanton Abstimmungsbeschwerde ein. Diese wurde nun abgelehnt, was bei Ammann Michael Weber Freude auslöst, bei den Befürwortern von Tempo 30 Enttäuschung.
Annemarie Keusch
Das Schreiben ist umfassend. Die Gemeindeabteilung des Departements Volkswirtschaft und Inneres hat sich detailliert mit der Abstimmungsbeschwerde befasst, die am 4. März – am Tag nach der Referendumsabstimmung – beim Regierungsrat eingereicht wurde. Es war das nächste Kapitel rund um die vom Gemeinderat vorgeschlagene Einführung von Tempo 30 auf allen Quartierstrassen. Ein Thema, das im Dorf hohe Wellen schlug und zum ersten Referendum seit vielen Jahren führte. Noch im November an der «Gmeind» stimmte die Bevölkerung dem Antrag des Gemeinderates deutlich zu. Es folgte das Referendum und schliesslich wurde das «Gmeinds»- Resultat mit 626 Ja- gegenüber 567 Nein-Stimmen umgekehrt.
Nach dem Ja zum Referendum, also dem Nein zu Tempo 30, reichten mehrere Stimmbürger Abstimmungsbeschwerde ein und beantragten, die Abstimmung zu wiederholen. «Das Begehren wird hauptsächlich damit begründet, dass die Abstimmungsfrage unsorgfältig formuliert worden sei», wird in der Beschwerdeantwort zusammengefasst. Man verlange, dass an der Urne die gleiche Fragestellung unterbreitet werde wie an der «Gmeind».
Eingabe stark verspätet
Natürlich verlangte die Gemeindeabteilung eine Stellungnahme des Boswiler Gemeinderates. Dieser hält mitunter fest: «Würde man nur die Fragestellung aus der Gemeindeversammlung übertragen, würde ausser Acht gelassen, dass nach der Versammlung das Referendum zustande gekommen sei.» Eine zusätzliche klärende Erläuterung in der Abstimmungsbotschaft wäre auch so nötig gewesen. Erst recht mit dem erklärenden Hinweis in den Unterlagen ist für den Gemeinderat klar: «Damit ist eine sachgerechte Willensäusserung ermöglicht worden.» Es sei den Stimmberechtigten klar gewesen, was mit einem Ja und einem Nein bewirkt würde. «Die Abstimmungsfrage war einfach, zweifelsfrei und unmissverständlich.»
In der Beschwerdeantwort hält die Gemeindeabteilung fest, dass bei der Berechnung des Fristenlaufs zwischen Mängeln, die Vorbereitungshandlungen betreffen, und Mängeln, die im Zusammenhang mit der Durchführung der Abstimmung auftreten, unterschieden werde. «Mängel, die Vorbereitungshandlungen betreffen, müssen innert drei Tagen seit deren Entdeckung mit Beschwerde geltend gemacht werden.» Damit werde bezweckt, dass solche Mängel möglichst noch vor der Wahl oder Abstimmung behoben werden könnten. Genau ein solcher Mangel in der Vorbereitungshandlung werde in der Beschwerde geltend gemacht. «Demnach kommt hier der Grundsatz vollumfänglich zum Tragen, wonach Fehler, die sich vor der Abstimmung zutragen, auch vor der Abstimmung gerügt werden müssen.»
Der Beschwerdeschrift sei zu entnehmen, dass die Beschwerdeführenden schon beim Erhalt der Abstimmungsunterlagen den geltend gemachten Umstand erkannten. «Insofern wäre es ohne Weiteres möglich und durchaus zumutbar gewesen, die Beschwerde vor der Abstimmung einzureichen.» Die Beschwerdeeingabe vom 4. März erweise sich darum als verspätet.
Nachvollziehbare Überlegungen
Aber die Beschwerde wäre auch bei fristgerechter Einreichung abgewiesen worden. Es sei nicht so, dass an der Urne die gleiche Frage gestellt werden müsse wie an der «Gmeind». «Vielmehr muss die Abstimmungsfrage für die Urnenabstimmung aus sich selbst heraus verständlich sein.» Zudem sei aufgrund der grösseren Beteiligung bei einer Urnenabstimmung davon auszugehen, dass eine grosse Anzahl an Stimmberechtigten an der Urne erstmalig mit dem Geschäft und der Fragestellung konfrontiert werden. Die Gemeindeabteilung kommt zum Schluss: «Die Überlegungen des Gemeinderates Boswil zur gewählten Formulierung sind nachvollziehbar, aber sie greifen zu kurz.» Das Departement Volkswirtschaft empfehle, dass die Abstimmungsfrage immer positiv formuliert werden soll. «Dies ist die am besten verständliche Variante, da es im Endeffekt nicht um die Bestätigung des Beschlusses der Legislative, sondern um ein Ja oder ein Nein zur Vorlage geht.» Dennoch, die Fragestellung sei in rechtlicher Hinsicht in sich schlüssig.
Weder die beschwerdeführenden Personen noch andere Stimmberechtigte bringen vor, die Frage falsch verstanden zu haben. «Sicher wäre empfehlenswert gewesen, hier eine einfachere Frage, ohne die Verschachtelung mit dem Referendum, zu wählen.» Objektiv betrachtet könne jedoch festgestellt werden, dass die Abstimmungsfrage unmissverständlich war. «Damit hätte also keine Veranlassung bestanden, das Abstimmungsresultat zu kassieren und die Referendumsabstimmung zu wiederholen.»
Weiterhin für das Thema einsetzen
Dieser Entscheid löst unterschiedliche Reaktionen aus. Freude ist es bei Ammann Michael Weber: «Der Kanton stellt klar, dass der Gemeinderat Boswil richtig gehandelt hat.» Natürlich stelle man sich bei einer Beschwerde die Frage, was man hätte anders machen können. «Der Gemeinderat hat sich im Vorfeld stark mit der Abstimmungsfrage auseinandergesetzt. Der kantonale Entscheid wird zukünftig bei den gemeinderätlichen Überlegungen berücksichtigt werden.» Von Enttäuschung spricht Sandro Gugerli, einer der Beschwerdeführer. «Ich habe jedoch damit gerechnet.» Gleiches sagt Franziska Schiltknecht, die die Beschwerde ebenfalls miteinreichte. «Wir haben bis zuletzt gehofft, dass das Referendum abgelehnt wird. Dann wäre eine Beschwerde hinfällig gewesen», antwortet Gugerli auf die Frage, weshalb die Beschwerde erst nach der Urnenabstimmung erhoben worden sei. Ob er im Nachhinein etwas anders machen würde? «Nein, wir haben uns bis zuletzt für Tempo 30 eingesetzt, Leute sensibilisiert und mobilisiert. Leider hat es nicht gereicht.»
Die flächendeckende Einführung von Tempo 30 in Quartierstrassen ist damit vom Tisch. «Für mich auch. Aber ich werde mich weiter für das Thema einsetzen, falls es politisch wieder aufs Parkett kommt. Vielleicht auch für einzelne Strassen, etwa unsere Martinsstrasse. Es wäre dringend nötig hier, vor allem wegen der vielen Kinder», sagt Franziska Schiltknecht. Für Ammann Michael Weber ist klar: «Die Mehrheit der Stimmberechtigten wünscht keine Einschränkungen in dieser Angelegenheit. Dies gilt es zu respektieren. Das ist gelebte Demokratie.» Und wenn Anfragen zu Tempo 30 in einzelnen Quartieren an den Gemeinderat gelangen? «Dann nehmen wir diese zur Kenntnis, bearbeiten aber alle bereits aufgegleisten Geschäfte und Aufgaben prioritär.» Nur so sei gewährleistet, dass eine gut funktionierende Gemeinde mit all ihren Sorgen und Nöten die wirklich wichtigen Aufgaben der heutigen Zeit auch bewältigen könne.