Eine Begegnung für das Herz
29.12.2023 KelleramtBesondere Momente im Redaktionsalltag: Gespräch mit Parasportler Lars Porrenga (1. September)
Celeste Blanc
Immer schneller, weiter, besser. Immer das Neuste und Hippste an sich oder in der Tasche tragen. Noch hier ein Ausflug, noch da eine Reise. Es sind die ...
Besondere Momente im Redaktionsalltag: Gespräch mit Parasportler Lars Porrenga (1. September)
Celeste Blanc
Immer schneller, weiter, besser. Immer das Neuste und Hippste an sich oder in der Tasche tragen. Noch hier ein Ausflug, noch da eine Reise. Es sind die vermeintlich wichtigen Dinge im Leben, denen man nachjagt – und zu schnell vergisst man in der Hektik des Alltags und der Schnelllebigkeit der Zeit, auf was es wirklich ankommt. Etwa die guten Menschen, die uns auf dem Weg begleiten. Die Möglichkeit von Bildung und Arbeit. Das schöne Zuhause, in dem man lebt. Oder den gesunden, funktionierenden Körper, der einen täglich durch das Leben trägt. Vieles ist zur Selbstverständlichkeit geworden, einfach da. Auch ich kenne das. Deshalb bin ich immer wieder dankbar für die unerwarteten Begegnungen, an die ich als Redaktorin zuweilen herantrete. Für die Geschichten, die bei mir nachhallen und mich wieder erden.
Jeden Tag das Beste aus seiner Situation machen
Eine solche Begegnung war jene mit dem Oberlunkhofer Lars Porrenga im September dieses Jahres. Eher durch einen Zufall bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Bei der Durchsicht einer Medienmitteilung von Swiss Paralympic las ich über seinen Podestplatz an der Para-Multisport-EM in Rotterdam, wo er für die Schweizer Nationalmannschaft im Badminton Bronze holte. Zwei, drei Wochen später sass ich dann mit ihm an einem Tisch im Restaurant Central in Oberlunkhofen. Er erzählte mir, wie bei ihm ein Sarkom, also ein bösartiger Tumor, im Beckenbereich entdeckt wurde, der sofort operativ entfernt werden musste. Wie man ihm sagte, dass ein Risiko für einen Verlust der Fusshebefunktion bestehe. Und wie er aus der Narkose erwachte und merkte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte: Der junge Mann hatte nach dem Eingriff eine inkomplette Querschnittlähmung. Seither sitzt Lars Porrenga im Rollstuhl. Er, 24 Jahre jung, der vorher so sportbegeistert, abenteuerlustig und viel unterwegs war. Der gerne wanderte, seit jungen Jahren Unihockey spielte und leidenschaftlich gerne Ski fuhr.
Wie schlimm es sein muss, wenn sich das Leben so krass verändert. Ein Schicksalsschlag, der zutiefst einschneidend ist – das dachte ich zumindest. Lars Porrenga hingegen will von dieser Sichtweise nichts wissen. «Der Tumor hätte meinen Tod bedeuten können. Wäre ich jetzt nicht im Rollstuhl, wäre ich gar nicht mehr hier. Es ist eine zweite Chance, die ich erhalten habe», stellte der heute 27-Jährige im Gespräch mit mir klar. Auch wenn er Momente der Wehmut erlebt, sei ihm bewusst, welches Glück er gehabt habe. Nach wie vor kann er selbst über sein Leben bestimmen. Und jeden Tag trifft er die Entscheidung, das Beste aus seiner Situation zu machen.
Nati-Aufgebot nach einem halben Jahr
Lars Porrenga spricht über zweite Chancen, über berufliche Neuorientierungen und sportliche Erfahrungen. So kam er während seiner Rehabilitation im Schweizerischen Paraplegiker-Zentrum in Nottwil zum Badminton. «Ich habe so viele Sportarten getestet, und irgendwie hatte ich für Badminton ein unentdecktes Talent», lacht er. Seit Sommer 2021, ein Jahr nach seiner Operation, spielt der Freiämter im Rollstuhlclub Aarau, wo man schnell auf sein Talent aufmerksam wurde. Ein halbes Jahr später folgte das Nati-Aufgebot. Seither trainiert er im Nachwuchskader, nahm im Februar 2023 das erste Mal an einem internationalen Turnier teil. Druck macht sich Porrenga dabei nicht. «Seit dem Vorfall setzt mich nichts mehr unter Druck. Ich lasse die Dinge so, wie sie sind, auf mich zukommen.» Bald spielte er gegen Spieler der Weltspitze, schlug diese auf dem Feld. Anfang August dann der grosse Coup: In Rotterdam holt der junge Mann mit Partnerin Ebru Goksen Bronze im Badminton Mixed an der Multisport-Europameisterschaft. «Es war ein irres Gefühl, völlig unerwartet und einfach unbeschreiblich.»
Und auch in beruflicher Hinsicht geht für Porrenga eine Tür auf, mit der er nicht gerechnet hätte: Der gelernte Heilpraktiker lässt sich aktuell zum Schneider umschulen, absolviert im Berufsbildungszentrum BBZ in Wohlen die Lehre zum Bekleidungsgestalter. Ein heimlicher Traumberuf, den Porrenga schon in der Oberstufe hatte, dem er dann aber nicht nachging. «Es ist verrückt, wie das Leben manchmal spielt. Auch hier brauchte ich einen zweiten Anlauf, um da anzukommen, wo ich eigentlich hinwollte», meinte er dazu.
Lebensbejahende Einstellung
Lars Porrenga ist ein Kämpfer, der die Hürden, mit denen er sich konfrontiert sieht, annimmt. Der die Philosophie trägt, dass Einschränkungen umgangen werden können. «Es kommt nur darauf an, ob man will oder nicht.» Diese Akzeptanz und die lebensbejahende Einstellung haben mich beeindruckt. Das Gespräch vergegenwärtigte mir, dass alles im Leben eine Frage der Haltung ist. Und es inspirierte mich, im hektischen Alltag immer wieder zu versuchen, einen Moment innezuhalten, um Dankbarkeit für meine Gesundheit zu praktizieren. Denn es braucht keinen herben Schicksalsschlag, um sich bewusst zu werden, was man vom Leben erwartet und was einen zufrieden macht. Das entscheiden wir jederzeit selbst. Diese spannende Begegnung werde ich noch weit über das Jahr 2023 hinaus im Herzen tragen.