Ein Werk des Zusammenraufens
05.09.2025 Energie, Bremgarten, Zufikon, NaturFlachsee feiert Jubiläum
Komplexes Grossprojekt: Die Reuss südlich von Bremgarten wurde vor 50 Jahren eingestaut
Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass das Kraftwerk Bremgarten seinen Betrieb aufgenommen hat. Es prägt die ...
Flachsee feiert Jubiläum
Komplexes Grossprojekt: Die Reuss südlich von Bremgarten wurde vor 50 Jahren eingestaut
Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass das Kraftwerk Bremgarten seinen Betrieb aufgenommen hat. Es prägt die Reusslandschaft bis heute.
Sehr komplex war das Unternehmen, die Reuss flussaufwärts von Bremgarten einzustauen. Denn dieses Werk musste nicht nur die Interessen der Energiewirtschaft berücksichtigen, sondern auch diejenigen des Hochwasser-, Natur- und Landschaftsschutzes, der Naherholung und der Landwirtschaft. Das Reusstalschutzgesetz wurde 1969 nur knapp und gegen den Willen der beiden Bezirke Bremgarten und Muri von der Aargauer Bevölkerung angenommen. Gegner sammelten danach 6500 Unterschriften, um den Bau des Kraftwerks Bremgarten-Zufikon zu verhindern und dem Naturschutz 400 statt 250 Hektaren zuzusichern. Mit dieser Initiative wäre aber der Flachsee als wertvolles Biotop nicht möglich geworden. Denn dieser entstand durch den Einstau der Reuss. Die Naturschützer zerstritten sich. 1970 scheiterte diese Initiative, womit nach einer weiteren Hürde 1972 der Weg für die Reusstalsanierung inklusive Bau des Kraftwerks frei wurde. Drei Jahre später waren alle Massnahmen so weit fertig gebaut, dass das Einstauen Realität wurde. Diese Zeitung blickt ausführlich auf die Ereignisse von damals zurück. --red
50-Jahr-Jubiläum: Aufstau des Flachsees und Inbetriebnahme des Kraftwerks Bremgarten-Zufikon
Es gibt genug Gründe, die Reusstalsanierung, die vor 50 Jahren stattgefunden hat, zu würdigen. Denn das komplexe Grossprojekt ist ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche gemeinschaftliche Problemlösung.
Hans-Peter Widmer
Mitte Juni 1953 brach der Reussdamm bei Merenschwand. Die 3000 Hektaren grosse Reussebene wurde ein weiteres Mal, wie 1846, 1847, 1910 und 1912, grossflächig überschwemmt. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Die Bevölkerung forderte nachhaltige Massnahmen gegen die Überflutung und Vernässung. Wortführer war Schmiedemeister Roman Käppeli aus Merenschwand. Der Haudegen vertrat die Anliegen der Landwirtschaft. Aber er erkannte sehr wohl die Komplexität des Vorhabens, das die Bedürfnisse der Bauern, des Naturschutzes, des Wasserbaus und der Energiewirtschaft erfüllen sollte.
Unterschiedliche Interessen
Käppeli täuschte sich nicht: In jahrelangen Auseinandersetzungen prallten die unterschiedlichen Interessen aufeinander. Die Bauern wünschten grosszügig meliorierte Kulturlandflächen, die Naturschützer möglichst zusammenhängende Schutzgebiete und die Elektrizitätswirtschaft ein neues Reusskraftwerk anstelle der veralteten «Emaus»-Anlage bei Zufikon. Zur Klärung der Konfliktsituation lud die Kulturstiftung Pro Argovia die Kontrahenten im Juli 1960 zu einem zweitägigen Stapferhausgespräch auf die Lenzburg ein. Dabei keimten erste Ansätze für die Zusammenarbeit.
In der Folge entwickelte eine 13-köpfige Fachkommission mit Vertretern des Kantons, der betroffenen Gemeinden sowie der Bereiche Landwirtschaft und Melioration, Wasserbau, Energiewirtschaft und Kraftwerkbau, Natur-, Landschafts- und Gewässerschutz in zweieinhalbjährigem, zähem Ringen für alle wichtigen Fragen Verständigungslösungen. Darauf stützte sich das neue Reusstalgesetz ab. Es regelte den Hochwasserschutz, den Kraftwerkneubau, die landwirtschaftliche Bodenverbesserung und die Sicherstellung von Naturreservaten.
Feiämter Bezirke lehnten ab
Das Aargauer Volk nahm das Reusstalgesetz am 14. Dezember 1969 nur knapp, mit 32 557 Ja- gegen 30 521 Neinstimmen an. Aber die Freiämter Bezirke Bremgarten und Muri stimmten massiv dagegen, auch fünf der zehn betroffenen Reusstal-Gemeinden lehnten das Sanierungswerk ab. Gerettet wurde die Vorlage durch den Ja-Überschuss von 2000 Stimmen in den Bezirken Aarau, Kulm und Zofingen. Der Merenschwander Volkstribun, Bauer, Gemeindeammann und Grossrat Walter Leuthard pflegte später zu sagen, der reformierte Aargau habe die Reusstaler zu ihrem Glück zwingen müssen.
Obwohl im Rückblick nicht alles rund lief, erwies sich das Reusstalgesetz als tragfähige Basis für die Erhaltung der Natur- und Kulturlandschaft Reusstal. Doch der Vollzug liess auf sich warten. Denn die Gegner lancierten mit 6500 Unterschriften eine Volksinitiative für ein anderes Reusstalgesetz. Damit wollten sie den Bau des Kraftwerks Bremgarten-Zufikon verhindern und die vorgesehenen 250 Hektaren Naturschutzflächen auf mindestens 400 Hektaren vergrössern. Den über Jahre erarbeiteten Landfrieden zwischen Bauern und Naturschutz bezeichneten sie als faulen Kompromiss.
Gegner gaben nicht nach
Auf den ersten Blick stellte das Volksbegehren eine attraktive Alternative für den Naturschutz dar – aber sie entzweite ihn zugleich. Denn die Initiative blendete aus, dass mit dem Verzicht auf das Kraftwerk auch der 72 Hektaren grosse Flachsee bei Unterlunkofen – eine raffinierte Kombination von Staubecken sowie Lebensraum für Wasservögel und selten gewordene Pflanzen – weggefallen wäre: Ohne Flachsee kein Kraftwerk – und umgekehrt. Es brauchte die Überzeugungskraft von Politikern wie den Regierungsräten Kurt Kim und Jörg Ursprung, prominenter Freiämter wie Roman Käppeli, Walter Leuthard und Kurt Schmid sowie renommierter Naturschutz-Fachleute wie Erich Kessler, Hans Ulrich Stauffer und Richard Maurer, um die Werte der Reusstal-Landschaft sowie die Zusammenhänge und Abhängigkeiten des Multiprojekts Reusstalsanierung deutlich zu machen.
Die Stimmberechtigten verwarfen die Initiative am 15. November 1970 mit 36 698 Nein zu 32 236 Ja. Auch beide Freiämter Bezirke lehnten ab. Die Initianten reklamierten Abstimmungsmängel beim Verwaltungsgericht. Vergeblich. Doch sie gaben noch nicht auf. Im Dezember 1971 reichten sie die Reusstalinitiative II mit über 10 000 Unterschriften ein. Danach sollten am aargauischen Reusslauf keine neuen energiewirtschaftlichen Anlagen mehr bewilligt und die dem AEW bereits erteilte Konzession für das Kraftwerk Bremgarten-Zufikon widerrufen werden. Das lehnte der Grosse Rat ab. Auch das Bundesgericht trat im Oktober 1972 nicht auf eine Staatsrechtliche Beschwerde ein. Endlich konnte die Sanierung beginnen.
In die Reusstalsanierung waren viele Instanzen eingebunden: Bodenverbesserungsgenossenschaften und Schätzungskommissionen, Gemeinderäte und Gemeindeversammlungen, Grosser Rat und Regierungsrat, eidgenössische Räte und Bundesrat, Verwaltungsgericht und Bundesgericht. Die Umsetzung oblag einer siebenköpfigen Projektleitung unter dem Vorsitz von Kurt Schmid, Ingenieur Agronom und Verwalter der Arbeitskolonie Murimoos. Sie konnte nur einstimmige Beschlüsse fassen, bei Differenzen entschied der Regierungsrat. Sieben Projektgruppen bearbeiteten die Bereiche Kraftwerk, Wasserbau, Natur und Landschaft, Landerwerb, Strukturverbesserungen, Vermessung und Wald. Unterstützt wurden sie von juristisch-administrativen und wissenschaftlichen Stäben.
Viele Komplimente erhalten
Es wurde immer deutlicher, dass die einzelnen Massnahmen sich gegenseitig bedingten oder ergänzten und nur das Zusammenwirken den Gesamterfolg garantierte. Das erforderte intensive demokratische und rechtliche Auseinandersetzungen, wie der ehemalige Verwaltungs- und Bundesrichter, Regierungsrat und Ständerat Thomas Pfisterer, ein Bewunderer des Werks, bestätigt. Die Reusstalsanierung wurde ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche gemeinschaftliche Problemlösung, bei der jede Interessengruppe Abstriche an Maximalforderungen machte. Dafür erhielt der Aargau viele Komplimente – nicht zuletzt von der 3. Konferenz der europäischen Umweltminister, die 1979 eine Exkursion ins Reusstal unternahm.
Grund zum Feiern
Es gibt immer noch genug Gründe, das Reusstalwerk zu würdigen. Die AEW Energie AG macht das am 12. September aus Anlass des Flachsee-Aufstaus und der Inbetriebnahme des Kraftwerks Bremgarten-Zufikon vor 50 Jahren.
Ein nur auf die energiewirtschaftlichen Aspekte fokussiertes Besinnen würde allerdings der Bedeutung der Reusstalsanierung zu wenig gerecht, obschon das AEW und namentlich sein damaliger Direktor Max Werder besonders beim Landerwerb für die Dammbauten, den Naturschutz und die Melioration eine wichtige Rolle spielte. Das AEW bekam sein neues Kraftwerk, die Landwirtschaft ihr arrondiertes Land und der Naturschutz nicht 250, sondern letztlich über 300 Hektaren Reservatsflächen.
An der Erhaltung und Pflege der vielfältigen Lebensräume haben auch die Stiftung Reusstal und ihr langjähriger Leiter Josef Fischer mit dem Stützpunkt Zieglerhaus in Rottenschwil grosse Verdienste. Allerdings erwies sich die Hoffnung, für ein tausendjährliches Hochwasser gewappnet zu sein, als Illusion: Die Reuss ist wieder da. Sie schwappte beim Jahrhunderthochwasser 2005 erneut über die Dämme. Innert weniger Jahre lagerte sich in der Reuss viel Geschiebe ab, was die Flusssohle anhob und gleichsam die Dammhöhen verringerte. Fürs Erste wurden dem Fluss 135 000 Kubik Kies entnommen. Aber der Geschiebeeintrag geht weiter. Es stellt sich die Frage, ob die Schutzdämme an bestimmten Stellen erhöht oder verlegt werden sollen, damit Überflutungsräume entstehen. Die Bauern sind skeptisch, Naturschützer dafür. Vermögen sich die Kontrahenten wieder zusammenzuraufen?
Zur Person: Hans-Peter Widmer (*1941) war von 1964 bis 2003 Redaktor, stellvertretender Chefredaktor und Leiter des Ressorts Aargau beim Brugger Tagblatt, beim Aargauer Tagblatt und bei der Aargauer Zeitung. Er verfasste u. a. das Bändchen «Keiljungfer und Knabenkraut» über die Natur- und Kulturlandschaft Reusstal, war Stiftungsrat der Stiftung Reusstal, Vizeammann in Hausen und Grossrat.