Ein Leben für Gerechtigkeit
16.01.2024 KelleramtSuperheldin ohne Umhang
Die Freiämterin Bea Huber kämpft seit über zwei Jahrzehnten für die Rechte der Frauen
Ob in Barcelona, Jonen oder Matagalpa: Bea Huber setzt sich für eine bessere Welt ein.
Stefan Sprenger
Nicht alle Superhelden tragen einen Umhang. Bea Huber trägt eine rote Fleece-Jacke, einen schwarzen Schal und einen Pullover mit afrikanischem Muster. Doch eine Superheldin, das ist die 54-Jährige für ganz viele Menschen. Sie setzt sich seit über zwei Jahrzehnten für eine bessere Welt ein, riskiert gar ihr Leben.
Dokfilm über sie
Als Bauerntochter in Jonen aufgewachsen, besuchte sie die Kanti in Wohlen – und landete in Nicaragua. Erst bei einer Solidaritätsbrigade, dann bei einer Frauenrechtsbewegung. Eigentlich wollte sie nur ein paar Monate bleiben. Doch daraus wurden 22 Jahre. Sie erlebte viele Missstände – und kämpfte mit voller Kraft dagegen an. Huber wurde in der Organisation «Colectivo de Mujeres de Matagalpa» eine prägende Figur. Als in Nicaragua kriegsähnliche Zustände ausbrechen, wird sie des Landes verwiesen. Das hinderte die Freiämterin nicht daran, weiter zu helfen. Im Gegenteil. Sie ist heutzutage mit voller Motivation in Barcelona tätig. «Ob Mann, ob Frau, ob Transmensch, ob homosexuell oder non-binär. Jeder Person soll in Freiheit leben und sein Leben so gestalten, wie sie will», sagt sie. Leben und leben lassen. Doch an vielen Orten dieser Erde sieht das anders aus. Da braucht es Superhelden wie Bea Huber, die mit ihrem Beitrag für eine bessere Welt sorgen. Ihre Geschichte ist so eindrücklich, dass ein Dokumentarfilm über ihr Schaffen entsteht. Auch da spielt das Freiamt eine Rolle.
Die Freiämterin Bea Huber ist ein besonderer Mensch und hilft den Menschen mit besonderen Methoden
Eine Bauerntochter aus Jonen setzt sich für die Rechte der Frauen in Nicaragua ein. Bea Huber macht dies mithilfe von Theater. 22 Jahre lang lebte sie in Mittelamerika, dann wurde sie des Landes verwiesen. Jetzt macht sie ihren Job in Barcelona weiter. Eine Annäherung an einen besonderen Menschen.
Stefan Sprenger
«Ich versuche jeden Tag einen kleinen Beitrag zu leisten, damit die Welt ein wenig besser wird», sagt Bea Huber. Die 54-Jährige meint: «Jeder Mensch kann etwas tun, in jeder Entscheidung haben wir die Macht, die Gerechtigkeit siegen zu lassen.»
Gerechtigkeit. Auf Spanisch «justicia». Ein Wort mit zentraler Bedeutung in ihrem Leben. Denn Gerechtigkeit hat sie in ihren 22 Jahren in Nicaragua nicht immer erlebt. Aber in diesem kleinen Land in Mittelamerika hat sie ihr grosses Lebensglück gefunden.
«Wieso bleibst du nicht bei uns?»
In Jonen ist sie mit fünf Geschwistern in einer Bauernfamilie aufgewachsen, sie ging in Bremgarten zur Schule, in Wohlen an die Kanti. Béatrice Huber – die von allen Bea genannt wird – studierte dann Theaterpädagogik, besuchte die Schauspielakademie in Zürich. Weil sie politisch interessiert ist und neue Erfahrungen machen will, schliesst sie sich einer Solidaritätsbrigade in Guatemala an. «Wir bauten ein Haus. Drei Monate war mein Aufenthalt geplant», erzählt sie. In jener Zeit hört sie vom «Colectivo de Mujeres de Matagalpa». Eine Organisation, die sich mithilfe von Theater für die Rechte der Frauen in der Stadt Matagalpa in Nicaragua einsetzt. «Ich habe sie besucht und mich gleich wohlgefühlt. Die Türen wurden für mich weit aufgemacht, ich wurde herzlich willkommen geheissen.»
Huber begleitete das «Colectivo» auf einer Tour. Und irgendwann wurde sie gefragt: «Wieso bleibst du nicht bei uns?» Die Freiämterin hatte keinen Grund, wieso sie nicht bleiben sollte. «Es passte perfekt.» Aus drei Monaten wurden über 20 Jahre. In der feministischen Organisation des «Colectivo» vereinen sich zwei Dinge, die für Huber sehr wichtig sind: Theater und Politik. Die jungen Frauen und Mädchen drücken ihre Ängste und Probleme mit Kunst aus. Huber entwickelte in über zwei Jahrzehnten verschiedenste Theaterformen. Ein Beispiel: das spontane Theater, auch Playback-Theater genannt. «Leute erzählen ihre Lebensgeschichte und wir inszenieren sie im selben Moment auf der Bühne. So werden diese Geschichten sichtbar und wichtig.» Zusammen realisierte man diese Projekte. Auch etwas, was für Huber enorm wichtig und schön ist: «Die Gemeinschaft war beim Colectivo immer sehr präsent.»
Die Arbeit von Huber und dem «Colectivo» war in Matagalpa nicht mehr wegzudenken für die Frauen. Themen wie Gesundheit oder Erziehung wurden behandelt. Wenn nötig, kümmerten sie sich um einen Rechtsbeistand für die Frauen. Das «Colectivo» hatte Büros, machte Gemeindearbeit, betrieb Frauenhäuser, hatte gar eine eigene Radiostation. «Wir haben permanent neue Dinge erfunden und neue Projekte gestartet. Es wurde nie langweilig. Es war immer spannend, immer kreativ und hat sich ständig verändert.» Und es sind tiefe Freundschaften entstanden in den letzten zwei Jahrzehnten. Huber lernt dabei auch ihre Partnerin kennen.
Kirche und Regierung hatten keine Freude
Das «Colectivo» hat viel bewirkt und in Gang gebracht. Und das in einem Umfeld, das schwierig war. Themen wie Homosexualität, die LGBTQ-Bewegung oder Gewalt gegen Frauen wurden thematisiert und ans Licht gebracht. Die konservative Kirche und die Regierung hatten natürlich keine Freude. «Meist sind Männer an der Macht. Da kamen unsere Themen oftmals nicht gut an und führten zu Spannungen», erzählt Bea Huber. Es sind Umstände, die ihre Arbeit zwar erschweren, aber irgendwie dazugehörten. Das «Colectivo» arbeitete mit dem Gesundheits- und Erziehungsministerium zusammen. Auch dort wurden manchmal unnötig Steine in den Weg gelegt. Erst recht, als eine neue Regierung an die Macht kommt.
326 Ermordungen
Es ist dieselbe Regierung, die 2018 für einen Flächenbrand in Nicaragua sorgt. Es gibt Proteste im ganzen Land. Präsident Daniel Ortega lässt die Proteste niederprügeln. Menschen werden verletzt, Menschen sterben. «Es war, als würde man ein Zündholz in einen Heuhaufen werfen», beschreibt Huber, was danach passierte. Die Proteste werden grösser. Die Gewalt der Regierung ebenso. Militär, Paramilitär, Zivilbevölkerung. Proteste. Schüsse. Tote. «Es sind 326 Ermordungen, die dokumentiert sind. Und wohl gegen 1000 politische Gefangene», sagt Huber. Die Lage eskaliert. Und im Gefängnis droht dann Folter und Missbrauch. «Erinnerungen an frühere Diktatoren wurden wach», sagt sie. Nicaragua steckt bis heute in einer tiefen Krise. 10 Prozent der Bevölkerung sind geflohen.
Gemäss Bea Huber wurde die Hälfte aller Nicht-Regierungs-Organisationen und Vereine in Nicaragua seither verboten. So auch das «Colectivo de Mujeres de Matagalpa». Die Räumlichkeiten der Organisation – beispielsweise das Frauenhaus – wurden vom Staat in Beschlag genommen. Bea Huber und ihrer Partnerin wurde die Aufenthaltsbewilligung entzogen. Ab jenem Zeitpunkt war sie illegal im Land. Und weil Huber als Ausländerin erkennbar war, musste sie gehen. 2019 kehrt sie nochmals zurück. Als Touristin will sie nach Nicaragua. «An der Grenze wurden wir festgehalten. Sie hatten viele Fragen.» Sie haben es doch ins Land geschafft. Huber wusste aber: «Solange diese Regierung an der Macht ist, kann ich nicht zurückkehren. Ich bringe mit meiner Präsenz auch meine Freundinnen dort in Gefahr.»
Jetzt in Barcelona, über die Feiertage in Jonen
Sie geht mit ihrer Partnerin nach Barcelona. Und macht ihre Arbeit weiter – von Spanien aus. «Unsere Idee, unsere Methode, dass wir mit Kreativität Veränderungsprozesse in Gang bringen wollen, haben wir in Nicaragua entwickelt, doch dies ist auch für reichere Länder wie Spanien wichtig.» Sie gibt Masterkurse an Universitäten zu internationaler Entwicklungszusammenarbeit und Gesundheit. Sie unterrichtet Frauengruppen oder an Schulen. «Davon lebe ich», sagt sie. Zuletzt hat sie in einem Viertel in Barcelona, wo viele Migranten leben, eine Strassentheater-Aktion durchgeführt, die gemäss Huber «ein grosser Erfolg war und bei den Menschen sehr gut ankam».
Für Huber ist es nicht nur Lebensunterhalt, sondern auch Lebensinhalt. «Es macht Spass. Viele Menschen, viele Situationen, viele Erfahrungen. Es macht mir riesigen Spass.» Und sie will Gutes tun.
«Eine Seifenblase»
An Weihnachten ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt, hat gemeinsam mit ihren Geschwistern Weihnachten in der Waldhütte in Jonen gefeiert. In der Schweiz sind die richtig grossen Probleme dieser Welt etwas weiter weg. Es sei «eine Seifenblase» in ihrer Heimat. «Die Menschen sind sich oftmals gar nicht bewusst, wie gut es ihnen in der Schweiz geht und was für einschneidende Probleme es im Rest der Welt gibt.»
Für die Zukunft wünscht sie sich, dass sich in Nicaragua das Regime auflöst und das Leben für die Menschen dort wieder besser wird. «Veränderung zum Positiven, hoffentlich», sagt sie. Dies wünscht sie sich aber auch für andere Krisengebiete dieser Welt. Für die Ukraine, für den Gazastreifen. Sie wünscht sich vor allem eines: Gerechtigkeit. «Ob Mann, ob Frau, ob Transmensch, ob homosexuell oder non-binär. Jede Person soll in Freiheit leben und ihr Leben so gestalten, wie sie will.» Weniger Unterdrückung. Weniger Armut. Weniger Ungerechtigkeit. «Und ich versuche meinen kleinen Beitrag zu leisten. Egal wo auf dieser Welt.»
Ein Wohler dreht einen Dokfilm
Bea Huber besuchte in Wohlen die Kantonsschule. Dort drückte sie gemeinsam mit Cihan Inan die Schulbank. Inan ist selbst Theaterschaffender, kennt Huber bestens und ist heute Regisseur. Er besuchte Huber mehrmals in Barcelona und dreht einen Dokumentarfilm über ihr Schaffen.
«Dafür wird sie geliebt, bewundert und respektiert»
Inan sagt über sie: «Bea Huber ist eine sehr intelligente Theaterfrau, die leidenschaftlich und sehr empathisch arbeitet. Die Resultate ihrer Arbeit sind berührend und überzeugend. Der politisch wichtige Sinn, nämlich jungen Frauen und Mädchen zu helfen, das macht sie hervorragend. Dafür wird sie geliebt, bewundert und respektiert.»
Der Dokfilm heisst «Behind the white wall» (hinter der weissen Wand). Der Titel hat eine tiefere Bedeutung.
«Symbol der Befreiung»
Es ist eine Anspielung an eine Wand in Nicaragua, wo Frauen die Namen ihrer Peiniger aufgeschrieben haben. «Diese Wand war Symbol für ihre Befreiung. Und zugleich auch eine Anklage, da die meisten dieser Vergewaltiger und Peiniger eben nicht in Nicaragua angeklagt wurden.» Die Regierung hat, nachdem sie all die Rückzugsorte für diese Frauen des «Colectivo de Mujeres de Matagalpa» geschlossen hat, diese Wand mit weisser Farbe überstrichen. Der Dokfilm wird wohl 2025 herauskommen. --spr