Ein Dach über dem Kopf
20.06.2023 WohlenFlüchtlingstage Freiamt: Hinterfragte Willkommenskultur und Schulterklopfen beim Anlass in der Kanti
In der Schweiz wird jeden Sommer an drei Tagen des Schicksals der Flüchtlinge gedacht. Dies auch im Kanton Aargau. In Wohlen fand eine Gesprächsrunde zum ...
Flüchtlingstage Freiamt: Hinterfragte Willkommenskultur und Schulterklopfen beim Anlass in der Kanti
In der Schweiz wird jeden Sommer an drei Tagen des Schicksals der Flüchtlinge gedacht. Dies auch im Kanton Aargau. In Wohlen fand eine Gesprächsrunde zum Thema «Zusammenleben» statt, gefolgt von einer Podiumsdiskussion mit Mitgliedern des Grossen Rates. Kulinarische Köstlichkeiten aus fremden Ländern und kulturelle Darbietungen ergänzten den bunten Anlass.
Richard Gähwiler
Im Rahmen der alljährlich durchgeführten Flüchtlingstage realisierte man auch in Wohlen einen entsprechenden Anlass. Unter der Koordination des Kirchlich-Regionalen Sozialdienstes der Caritas (KRSD) entstand im OK mit Anna Rotzetter, Karen Hug und dem Kanti-Lehrer Peter Lötscher und weiteren Helfern ein spannend-bunter Event.
Dieser begann mit Kurzfilmen zum Thema Flucht und einer Gesprächsrunde, in der über das Zusammenleben von und mit Flüchtlingen gesprochen wurde.
Gesprächsrunde «Zusammenleben»
Teilnehmende waren Anita Noll vom KRSD, Mariya Bezushko, Maria Camenisch und Nadiia Kostjk (drei Frauen aus der Ukraine), Zita Kubin (Gastfamilie) und Leon Gautschi (sprachliche Integration). Das Gespräch verlief anfänglich sehr emotional, speziell bei der Aufnahme in die Gastfamilie, aber auch, als die Flüchtlingsfrauen ihr Leben in der Ukraine (kein Strom, kein Wasser, Ungewissheit), ihre Ängste und Hoffnungen beschrieben. Maria Camenisch, seit über 20 Jahren in der Schweiz, übersetzte die Statements ihrer Freundinnen, die immer wieder für die familiäre Aufnahme dankten. Mit Applaus aus dem Publikum und einem bunten Blumenstrauss, überreicht durch Anna Rotzetter, dankte man den Gesprächsteilnehmenden.
Wie es die Politiker sehen
Weniger emotional, sondern angeregt und mit Facts anschliessend die Podiumsdiskussion mit Mitgliedern des Grossen Rates des Kantons Aargau. Mit kritischen Fragen zum Thema «Unterbringung inmitten der Gesellschaft» versuchte Moderator Fabian Hägler, stv. Chefredaktor «Aargauer Zeitung», die politisch unterschiedlich engagierten Grossrätinnen und Grossräte aus der Reserve zu locken.
Doch zu Beginn war es die kurze Schilderung von Haile Shishai, wie er ohne Perspektiven in ständiger Angst in Eritrea lebte. Auf dem Podium beschrieb er seinen langen Fluchtweg, der ihn schliesslich in die Schweiz führte. Dies löste bei Grossrat Roland Vogt aus Wohlen (SVP) bereits Fragen und Kritik zur Umsetzung und Einhaltung des Schengen-Dublin-Abkommens aus. Ausführlicher wurde das Thema «Unterbringung» diskutiert. Ansprechperson war dabei Grossrätin Rita Brem (Mitte), die sich diesbezüglich als Sozialvorsteherin in Oberwil-Lieli behaupten muss. «Wir haben mit der Gemeinde Rudolfstetten eine spezielle Lösung, die sich als gut erwiesen hat», beschrieb sie die Auslagerung von Flüchtlingen mangels geeigneten Wohnraums in ihrer Gemeinde.
Uriel Seibert: «Willkommenskultur sieht anders aus»
Moderator Hägler erwähnte auch die Wohncontainer, die verschiedentlich als Unterkunft dienten. Grossrat Stefan Dietrich aus Bremgarten (SP) hat sich als Historiker mit dem Thema Flüchtlinge, speziell über die Balkanroute, beschäftigt. Er kann sich eine Containersiedlung als Zwischenlösung in Notsituationen vorstellen. «Willkommenskultur sieht anders aus», meinte hingegen Uriel Seibert (EVP), Schlossrued.
Er musste mit seiner 2½-Zimmer-Wohnung aber darauf verzichten, als Gastfamilie zu wirken. Dies sei ohnehin mit aufwendigen Abklärungen verbunden, wobei auch die lange Verfahrensdauer zur Abklärung des Flüchtlingsstatus hinderlich seien, waren sich die Diskussionsteilnehmer einig. Von links bis rechts unterschiedlich beurteilt wurden hingegen die acht Franken Sozialhilfe pro Tag, die einem Flüchtling zuerkannt werden. Zum Vergleich erwähnte Seibert die 8,75 Franken, die einer Militärmassenküche zur Verfügung ständen, da sei die Flüchtlingssozialhilfe im Aargau doch sehr bescheiden. Zu Fragen aus dem Publikum meldete sich abschliessend ein Missionar, der gemäss seinen Ausführungen mehrere Jahre in Afrika gewirkt hatte: «Wo sie auch untergebracht sind, Flüchtlinge haben in der Schweiz ein Dach über dem Kopf, kaltes und warmes Wasser sowie medizinische Versorgung – ich denke, wir dürfen uns auch einmal auf die Schultern klopfen», sagte er und demonstrierte es bei sich selbst.
Des Komforts bewusst geworden
Es wurden keine Lösungen gefunden, das hatte man auch nicht erwartet, aber man machte sich Gedanken und wurde sich unseres Komforts wieder einmal bewusst. Mit einer Sonnenblume und einem Präsent wurde den Diskussionsteilnehmenden gedankt und diese verabschiedet.
Bei Tanz- und Gesangsvorträgen in unterschiedich bunten Trachten konnte man sich anschliessend auf dem beschatteten und kühlen Vorplatz noch mit verschiedenen länderspezifischen Köstlichkeiten verwöhnen lassen.