Die Flausen sind die gleichen
25.07.2025 Region Oberfreiamt, WaltenschwilSommerserie «Weisch no» mit August Gauch aus Waltenschwil
Zuerst im Elternhaus, dann in einer Wohnung und seit weit über 50 Jahren im Einfamilienhaus. Waltenschwil ist zeit seines Lebens das Zuhause von August Gauch. Der langjährige Schulhausabwart ...
Sommerserie «Weisch no» mit August Gauch aus Waltenschwil
Zuerst im Elternhaus, dann in einer Wohnung und seit weit über 50 Jahren im Einfamilienhaus. Waltenschwil ist zeit seines Lebens das Zuhause von August Gauch. Der langjährige Schulhausabwart erzählt Geschichten und spricht von Veränderungen.
Annemarie Keusch
Es gab eine Zeit, als er wegwollte. «Nach Kanada», sagt August Gauch. Wo Verwandte lebten. Wehmut kommt in seiner Stimme keine auf. «Die Eltern sträubten sich dagegen.» Gauch akzeptierte es. Etwas von der Schweiz sehen, das war sein nächstes Ziel. «Ich fuhr mit dem Velo quasi quer durch das Land», erzählt er. Gar kurz nach dem Krieg bis nach Stuttgart. Aber er kehrte immer wieder nach Waltenschwil zurück, wohnte zeitlebens im Dorf. «Hier ist halt mein Zuhause», sagt er und zuckt mit den Schultern. Das Velofahren hat er übrigens mittlerweile aufgegeben. Auto fährt er noch. «Solange die Augen gut sind», sagt August Gauch. In die Kontrollen gehe er immer, betont der bald 96-Jährige.
Wohl hat er sich in Waltenschwil immer gefühlt. «Sie machen es gut, alles funktioniert.» Gauch meint beispielsweise die Infrastruktur. «Die Strassen, die Beleuchtung. Es ist sicherer geworden im Laufe der Jahrzehnte.» Auch die 30er-Zonen befürwortet er. Überhaupt, Waltenschwil biete alles, was er zum Leben brauche. «Einkaufsladen, Bäckerei, Schule, Kirche und den Bünzpark.» Trotzdem wolle er möglichst lange in seinem Einfamilienhaus bleiben. Den Haushalt macht er allein. Gauch kocht, putzt, wäscht, pflegt den Umschwung. «Darum bleibe ich gerne zu Hause. Hier habe ich immer viel zu tun.»
Nummer 41 in der Chäsi
Vis-à-vis dem alten Volg ist August Gauch aufgewachsen. Neun Kinder waren sie. Und Erinnerungen an das Leben auf dem Bauernhof sind noch immer sehr präsent. «Wir waren quasi Selbstversorger», sagt er. Mutterschweine, Ziegen, Kühe. «Während des Krieges haben wir manchmal auch ein Schwein geschlachtet, ohne dass wir es durften. Spätabends und ohne Licht.» Schliesslich habe man zu dieser Zeit für alles Essensmarken gebraucht. «Ausser für Blutwürste.» Fast alle Familien im Dorf seien damals Landwirte gewesen. «Wir hatten in der Chäsi die Nummer 41.» Wobei jeweils nicht wirklich viel Milch zusammenkam. «Wir hatten keine Pferde, bestellten die Felder mit den Kühen.» Nach einem anstrengenden Tag hatte die Milch jeweils in einem kleinen Kessel Platz. Die Verbindung zur Landwirtschaft ist bei August Gauch sein Leben lang geblieben. Aber selber Landwirt werden? Er winkt ab. «Schon damals hatte das keine Zukunft mit einem Hof mitten im Dorf.» Dies sehe man auch in der Gegenwart. «Es hat kaum mehr Landwirte, mitten im Dorf erst recht nicht.»
Schon damals, obwohl Waltenschwil noch viel kleiner war als heute. Wie stark das Dorf gewachsen ist, hat natürlich auch der bald 96-Jährige beobachtet. «Herrgott Sternecheib», sagt er und lacht. Südlich des Hauses, das er und seine Frau Claire 1969 mieteten und sechs Jahre später kauften, sei kaum ein Haus gestanden. Man habe alle gekannt im Dorf. «Wir mussten immer Grüezi sagen, das war unseren Eltern wichtig.» Das ist heute anders. Aber August Gauch hat weiterhin sein Umfeld. Im Männerturnverein, wo er zwar nicht mehr aktiv mitturnt. Im Ortsmuseum, wo er rund 15 Jahre tätig war. Und ganz allgemein im Dorf. «Hie und da koche ich nicht nur für mich, sondern auch für einen Freund ein Nachtessen», sagt er stolz.
War immer ein Bastler
August Gauch hat immer in Waltenschwil gewohnt. Nach dem Auszug aus dem Elternhaus in einer Wohnung im Schoppen, seit 1970 im Haus, das er seit dem Tod seiner Frau Claire im letzten Dezember allein bewohnt. Er sei zufrieden, sagt er. Gesund. «Und gefrässig», meint er und lacht. Langweilig ist ihm nie. «Ich habe immer gerne geklempert.» Er schnitzt Holzfiguren. «Am liebsten Ratten.» Zudem bastelt er. Etwa Windräder aus alten Büchsen. «Ich kann stundenlang am Küchentisch sitzen und das Windrad im Garten beobachten.» Er sei eben immer ein Bastler gewesen. «So konnte ich abschalten. Das ist doch herrlich?»
Auch beruflich zog es August Gauch nie wirklich weit weg von «seinem» Waltenschwil. Höchstens bis nach Wohlen. Er arbeitete dort in der Strohfabrik Dreifuss, ab 1953 bei der Cellpack. «In der Zeit also, als diese entstand. Spannend wars», blickt er zurück. Und ab 1970 war er Schulhausabwart im neu gebauten Schulhaus. Natürlich in Waltenschwil, mit einem Arbeitsweg von maximal drei Minuten – zu Fuss. «Ich war jeden Tag auf Trab. Das gefiel mir», erzählt er. Noch keine 600 Leute hätten damals im Dorf gelebt. «Sonst hätte die Gemeinde beim Schulhaus einen Luftschutzkeller bauen müssen», erinnert sich August Gauch. Viel weniger Kinder seien es gewesen, damals. «Aber Flausen hatten sie ähnliche im Kopf wie Jahrzehnte später.» Ein Jahr nach dem neuen Schulhaus wurde im Dorf zudem die neue Turnhalle in Betrieb genommen. «Bis wirklich alle verstanden haben, dass man da nicht mit den Strassenschuhen reinspazieren kann, musste ich zigmal mahnen.»
Velos im Friedhof stören ihn – sonst nichts
Dass er sein Leben lang in Waltenschwil geblieben ist, hat August Gauch nie bereut. «Mir gefällt es hier.» Das Miteinander funktioniere. Das Dorf sei lebendig, auch wenn es keine drei Schuhmachereien und zwei Bäckereien mehr gibt. Gibt es Dinge, die ihm in Waltenschwil nicht gefallen? Der bald 96-Jährige überlegt. «Nein, es ist alles bestens. Auch der Gemeinderat macht es gut, das will ich betonen.»
Schliesslich fällt ihm doch noch etwas ein. «Es stört mich, dass einige Leute mit dem Velo quer durch den Friedhof fahren. Das gehört sich nicht.» Verbotstafeln wären laut ihm eine Lösung. «Ich werde es mal auf der Verwaltung vorschlagen.» Dann kann August Gauch auch gleich die Chance nutzen, um die neu umgebaute Verwaltung zu besichtigen. Von aussen gefalle sie ihm, auch wenn der Baulärm nicht immer angenehm gewesen sei. Nochmals betont er: «Ich bin zufrieden. Mir gefällt es in Waltenschwil. Es ist alles bestens.»
«Weisch no»
In der diesjährigen Sommerserie «Weisch no» treffen sich Redaktoren und Redaktorinnen mit Menschen, die (fast) ihr ganzes Leben im gleichen Dorf verbracht haben, und sprechen mit ihnen darüber, wie es in ihrem Dorf früher ausgesehen hat, welche Erinnerungen an die alten Zeiten sie haben, was sie allenfalls vermissen, was heute vielleicht besser ist als früher und vielerlei mehr.