Der Weg der Flusssteine
10.10.2023 Jonen, KelleramtBeim Fliessen helfen
Aktuell wird Flusskies aus der Reuss umgelagert
1000 Lastwagenfahrten verschieben 12 000 Kubikmeter Flusskies: Zurzeit werden zwischen Jonen und Bremgarten Arbeiten im grossen Stil verrichtet.
Es ist ein ...
Beim Fliessen helfen
Aktuell wird Flusskies aus der Reuss umgelagert
1000 Lastwagenfahrten verschieben 12 000 Kubikmeter Flusskies: Zurzeit werden zwischen Jonen und Bremgarten Arbeiten im grossen Stil verrichtet.
Es ist ein wahrlich surreales Bild: Ein Bagger steht mitten in der Reuss. Auf einer aufgeschütteten Kiesbank hievt er täglich mehrere Tonnen Flusskies oberhalb von Werd aus, um sie gut acht Kilometer weiter nördlich im Honeggerwehr in Bremgarten wieder dem Fluss zuzuführen. Diese Zeitung begleitete den Weg des Kieses und beleuchtet, wieso den Steinen beim Fliessen geholfen werden muss. --cbl
Die Kiesumlagerung zwischen Jonen und Bremgarten ist in vollem Gange
Rund 12 000 Kubikmeter Flusskies aus der Reuss werden aktuell mit 1000 Lastwagenfahrten von Werd nach Bremgarten, konkret unterhalb des Honeggerwehrs, verschoben. Was diese Arbeit alles beinhaltet, nahm diese Zeitung vor Ort genauer unter die Lupe.
Celeste Blanc
Es ist 8.30 Uhr. Seit Tagen hat es nicht mehr geregnet. Und dennoch ziehen sich entlang der Strasse zwischen Oberlunkhofen und Werd an diesem schönen Herbstmorgen breite nasse Fahrstreifen. Sie stammen von den bereits gefahrenen Lastwagen, die innerhalb der ersten Stunde schon ordentlich Flusskies umgelagert haben. Bereits zum dritten Mal findet diese grosse Kiesumlagerung in der Region Kelleramt/Bremgarten statt. Grund dafür ist das Flusskraftwerk der AEW Energie AG in Bremgarten: Da dieses die natürlichen Kiesbewegungen verhindert, muss der Kies alle zwei Jahre durch Lastwagen umgelagert werden. Eine unverzichtbare Arbeit für die Lebewesen in der Reuss sowie den Gewässerschutz in der Region.
Der perfekte Ort muss ausgelotet werden
An der Werdbrücke angekommen, ist Oliver Hübner mit einem Verkehrspolizisten im Gespräch. Er ist leitender Ingenieur bei der Axpo Power AG, welche die Leitung des Umlagerungsprojekts innehat. Bereits zum dritten Mal leitet Hübner das Projekt, das in dieser Form 2019 und 2021 durchgeführt wurde. Alle zwei Jahre prüft er mit einer Gruppe von Umweltingenieuren, Fisch- und Gewässerbiologen sowie weiteren Fachpersonen das Flussbett der Reuss. Dabei wird im Frühling ein Monitoring mittels einer Echoortung erstellt, welches das Flussbett kartografiert. Diese Arbeit ist wichtig, um zu bestimmen, in welchem Abschnitt der Reuss es ausreichend Flusskies hat, der entnommen werden kann. «Hat es Flusskies, der sich wenig bewegt, werden mit der Zeit die Zwischenräume mit Ablagerungen verschlossen. Diese sogenannte Kolmation ist schlecht für die Tierwelt im Fluss – diese findet in den Zwischenräumen der Steine statt und auch für Fische sind diese Orte wichtig für das Laichen», erklärt Hübner.
Die Kiesumlagerungen finden jeweils in der Niedrigwasserperiode statt. Deshalb bietet sich die Zeit im Oktober besonders an. Einerseits beeinträchtigt man aufgrund der Herbstferien den Verkehr nicht allzu stark, andererseits bereitet man das Flussbett für die Laich- und Fischschonzeit ab November vor. Deshalb wird beim Baggern auch darauf geachtet, nicht zu viel Feinpartikel im Fluss durch die Arbeit aufzuwirbeln, welche die Zwischenräume verschliessen könnten.
Verschiedene Akteure involviert
Zur Entnahmestelle ungefähr 200 Meter oberhalb der Werdbrücke fahren die Lastwagen im Minutentakt. Rund 100 Fahrten wird jeder der 10 sich im Einsatz befindenden Fahrzeuge innert zwei Wochen leisten, um die Gesamtmasse von 12 000 Kubikmetern zu verschieben. Seit Beginn der Umlagerungen arbeitet die Axpo Power AG mit dem Bauunternehmen Birchmeier zusammen. Diese wird nach der neusten Ausschreibung auch die zwei kommenden Kiesumlagerungen durchführen. Das sei ein grosser Vorteil für die Planung und Durchführung, so Hübner. «Viele der Akteure sind bereits eingespielt. Das hilft, ein solch umfangreiches Projekt in der knappen Zeit zu realisieren und problemlos durchzuführen.» Umfangreich ist unter anderem das Einholen diverser Bewilligungen bei Bund, Kanton und den Gemeinden. Dazu kommen das Kartografieren des Flussbetts, die Koordination verschiedener Stellen sowie die sorgfältige Prüfung der Uferstelle, an welcher die Bagger zum Einsatz kommen. «Einerseits muss das Material gut abtransportierbar sein. Dabei gilt es zu beachten, dass es entlang der Reuss zahlreiche Umweltschutzauflagen gibt, beispielsweise den Wald-, Auen- und Amphibienschutz, den es zu beachten gilt», erklärt Hübner. Ein grosser Aufwand, weshalb die Umlagerung nur alle zwei Jahre stattfindet: Statt der jährlich vorgeschriebenen 6000 Kubik ist es erlaubt, alle zwei Jahre das Doppelte zu verschieben.
Wenn das Flussbett sich senkt
Was sich an der Entnahmestelle abspielt, ist ein erstaunliches Zusammenspiel von mächtigen Maschinen, die getaktet und präzise miteinander funktionieren. Auf einer drei Meter breiten Kiesbank, die für den Aushub des Materials in der Flussmitte aufgeschüttet wurde, trägt ein kleiner Bagger den Kies ab und legt ihn einem kleinen Lastwagen auf die Ladefläche. Dieser fährt rückwärts eine Aufschüttung hoch, um den Kies vor einen weiteren Bagger zu schütten, der diesen auf Transportlastwagen hievt. Seit 2019 tätigt Maschinist Damian Daprà die Arbeiten auf dem Fluss. Dank seiner langjährigen Berufserfahrung als Baggerfahrer ist die Arbeit auf dem Wasser kein Problem für ihn. Gekonnt hebt er den Kies aus dem Flussbett. «Drei Meter Abstand zum Flussufer habe ich aber gelassen, damit die Bäume nicht abrutschen», erzählt er im Gespräch mit Hübner, der sich nach der Lage erkundigt. Am Bagger ist ein GPS-Gerät angebracht, damit die Tiefe des Flussbettes kontrolliert wird. «Wir müssen aufpassen, dass das Flussbett nicht zu tief abgetragen wird. Das ist ein Problem.»
Den Kies zurück in die Reuss
Grund für dieses Problem ist die durch Menschen veränderte Flussbewegung durch Begradigungen oder Eindolungen. Dadurch f liessen die Flüsse schneller, was wiederum eine Auswirkung auf die Tiefe des Flussbettes hat. «Die Flüsse vertiefen sich dadurch schneller, wodurch sich der Grundwasserspiegel mitabsenkt», erklärt Hübner. Zwischenzeitlich ist Heinz Wirz mit dem Lastwagen vorgefahren. Rund 12 Kubikmeter Kies, also etwa 22,5 Tonnen, werden pro LKW-Fahrt transportiert. Mittlerweile ist es 9.15 Uhr. Für Wirz ist es bereits die vierte Fahrt an diesem Morgen. Während zwei Wochen wird er jeweils fünf Tage die Route zwischen Werd und Bremgarten fahren. «Wunderschönen Kies habt ihr da. Schade, dass man den nicht verkaufen kann», ruft er gut gelaunt Hübner zu, als dieser am Lastwagen vorbeiläuft. Doch verkauft wird hier kein einziger Stein – alles muss zurück in den Fluss.
Hochwasser nicht begünstigen
Auf dem Weg nach Bremgarten macht der Projektleiter kurz halt beim Transportunternehmen Felix Stöckli AG. Hier werden teilweise die LKWs auf die Waage gestellt, um zu berechnen, ob die jeweilige Kubikmeterzahl transportiert wird. Wie üblich ist alles gut, weshalb Hübner an diesem Morgen einen letzten Stopp einlegt. Dieser ist am Honeggerwehr in Bremgarten. Hier wird der transportierte Kies abgelagert und direkt in die Reuss geschaufelt, wo er durch die starke Strömung natürlich weitergetragen wird. «Es ist eine ideale Ablagestelle», erklärt der Projektleiter. Auch bei der Ablagestelle muss der richtige Ort eruiert werden. Denn die Zuführung von Kies kann sich unter anderem auf das Hochwasserverhalten des Flusses auswirken. Darauf muss vor allem bei der Reussschlaufe in Bremgarten geachtet werden. «Einerseits übt das Militär auf dem Fluss, andererseits kann es die Strömung beeinflussen, wenn man den Kies umlagert. Auch in Bezug auf die Standwelle, die von vielen Surfern genutzt wird, war Vorsicht geboten.»