Der «Telefonist» legt auf
15.12.2023 WohlenStanding Ovations für Bundeskanzler Walter Thurnherr nach seiner Abschiedsrede
Am Mittwoch hat das Parlament einen neuen Bundesrat gewählt. Zuvor wurde neben Alain Berset auch der abtretende Kanzler Walter Thurnherr verabschiedet. Der Wohler bewies in seiner ...
Standing Ovations für Bundeskanzler Walter Thurnherr nach seiner Abschiedsrede
Am Mittwoch hat das Parlament einen neuen Bundesrat gewählt. Zuvor wurde neben Alain Berset auch der abtretende Kanzler Walter Thurnherr verabschiedet. Der Wohler bewies in seiner Rede, über wie viel Humor er verfügt. Und sorgte im Saal für viele Lacher.
Chregi Hansen
«Für mich war es eine Ehre, für unser Land arbeiten zu dürfen. Es ist das beste Land, das ich kenne. Händ Sorg zuenem»: Mit diesen Worten verabschiedete sich Walter Thurnherr am Mittwochmorgen von der Vereinigten Bundesversammlung.
Acht Jahre lang war der Wohler der Stabschef des Bundesrates. Insgesamt war er 34 Jahre lang in verschiedenen Funktionen im Bundesdienst tätig. Diesen Sommer gab er bekannt, dass er auf eine erneute Wiederwahl verzichtet. «Acht Jahre sind genug. Und was man in acht Jahren nicht umsetzen kann, wird man auch in zwölf nicht schaffen», sagte er vor Kurzem im Interview mit dieser Zeitung.
Am Mittwoch wählte das Parlament nun seinen Nachfolger. Es ist der bisherige Vizekanzler Viktor Rossi von der GLP. Vor der Wahl wandte sich Walter Thurnherr mit einer Rede an die Bundesversammlung. Eine Rede, die für viel Aufsehen sorgte. Das Onlineportal «Watson» bezeichnete den Auftritt des Wohlers als «wohl beste Rede an diesem Tag», auch andere Medien äusserten sich sehr positiv. Selbst das Schweizer Radio forderte die Zuhörer auf, die Rede nachzuhören.
Mit psychologischem Geschick
Walter Thurnherr sei ein Bundeskanzler der besonderen Art gewesen, erklärte Nationalratspräsident Eric Nussbaumer in seiner Würdigung des Abtretenden. Mit viel Gestaltungswillen habe der Bundeskanzler mit psychologischem Geschick die Landesregierung auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. «Er ist derjenige, der schaut, dass die Räder der Demokratie reibungslos laufen. Ein Hüter der staatlichen Institutionen», so der Präsident. Nussbaumer bezeichnete Thurnherr zudem als einen «Chrampfer», der aber über viel Humor verfügt. Und dass dies stimmt, bewies der Wohler in seiner Abschlussrede gleich selber.
Als Erstes zitierte er den ehemaligen Ständerat Arthur Hänsenberger, der einst sagte: «Es ist eine Gnade, wenn man erkannt hat, dass man nichts mehr zu sagen hat – und trotzdem schweigt.» Darum wolle er sich auch kurzfassen, so Thurnherr. Und dankte als Erstes allen, die ihn in all den Jahren unterstützt haben. Allen voran den Mitarbeitenden in der Verwaltung. Aber auch den Mitgliedern des Bundesrats, denen er für ihre Arbeit grossen Respekt zollt. «Ich habe sie nie um ihr Mandat beneidet. Darüber hinaus hatte ich viel den besseren Titel», sagte Thurnherr und erntete damit viele Lacher. Sein Dank ging auch an seine Partei und seine Familie. Er erinnere sich noch gut, wie sein damals elfjähriger Sohn (der auf der Tribüne sass) berichtet habe, dass er Baggerführer werden wolle. Darauf habe er seinen Sohn gefragt, ob er denn wisse, was sein Vater arbeite. «Ja, Papa», antwortete dieser, «du bist Telefonist.»
Schnell gemerkt, die tun nur so
Walter Thurnherr kam aber auch auf seine Anfänge zu sprechen. Zu seiner ersten Kommissionssitzung wurde er 1991 eingeladen. Sie muss ihm Eindruck gemacht haben, denn vor der zweiten Sitzung konsultierte er die Bibel und fand das passende Zitat bei Tobias, Kapitel 6, Vers 3: «O Herr, er will mich fressen.» Später habe er gemerkt: Es gibt auch Kommissionsmitglieder, die einen nicht fressen. «Überhaupt: Oft fallen sie nicht übereinander her, sie tun nur so. Und natürlich hoffe ich sehr, dass das in Zukunft auch so bleiben wird», so Thurnherr weiter.
Den Schweizer Errungenschaften Sorge tragen
Gleichzeitig sorgt er sich um die Demokratie in diesem Land. Er wünscht sich ein Grundverständnis der politischen Ordnung und erinnert an Errungenschaften wie den sozialen Ausgleich zwischen Reich und Arm, den Föderalismus, die Medienvielfalt und die politische Meinungsbildung, den Respekt vor der Gewaltenteilung, den Minderheitenschutz, die politische Kultur, den Sprachenfrieden und die wirtschaftliche Entwicklung. All diesen Dingen müsse man Sorge tragen. «Keine Demokratie bleibt eine, nur weil sie schon lange eine war. Und natürlich hat alles, worauf wir später betroffen zurückschauen, schon viel früher begonnen, als man dachte, und sicherlich nicht erst dann, als es bereits zu spät war», rief er den Zuhörern in Erinnerung.
Das bedeute nicht, dass Veränderung schlecht sei. «Vieles darf und soll sich verändern», ist sich der scheidende Bundeskanzler bewusst. Aber zur direkten Demokratie und deren Voraussetzungen, zu den vielen kleinen und grossen Dingen, die nur bestehen, weil sie von einer deutlichen Mehrheit getragen und geteilt werden – und zwar nicht, weil sie verordnet sind, sondern aus Überzeugung darüber, dass dies eben die Schweiz ausmacht –, dazu sollte man unbedingt Sorge tragen. Denn viel zu viel hänge davon ab, sagte Walter Thurnherr zum Schluss. Bevor sich der ganze Saal für minutenlange Standing Ovations erhob.