Der Bubentraum ist fertig
23.12.2022 Fussball, SportDer Hägglinger Joël Geissmann beendete klammheimlich seine Karriere als Profifussballer
Vor acht Jahren begann seine Profikarriere beim FC Wohlen, die ihn bis in die Super League führte. Vor wenigen Monaten hat Joël Geissmann nun einen Schlussstrich ...
Der Hägglinger Joël Geissmann beendete klammheimlich seine Karriere als Profifussballer
Vor acht Jahren begann seine Profikarriere beim FC Wohlen, die ihn bis in die Super League führte. Vor wenigen Monaten hat Joël Geissmann nun einen Schlussstrich gezogen. «Es passt so», sagt er. Mit 29 Jahren will er mit dem Profifussball nichts mehr zu tun haben.
Stefan Sprenger
Mit rechts hat ers gemacht. Ein Tor, das in Erinnerung bleibt. 80.Minute. FC Basel gegen FC Lausanne. Geissmann trifft. 2:1-Sieg. Im September 2017 bezwingt Lausanne den FC Basel vor 24 000 Zuschauern im St. Jakob-Park. «Das werde ich nie vergessen. Ein schöner Moment», sagt Joël Geissmann. Nebst dem Siegtor im «Joggeli» ist auch das Berner Derby zwischen YB und Thun im August 2016 vor 31 000 Zuschauern ein Highlight seiner Laufbahn. «Gänsehaut-Feeling» sagt er dazu.
Mittlerweile hat das Leben neue Herausforderungen für Joel Geissmann. Mit seiner Freundin Rayana Roth (aus Villmergen) ist er zusammengezogen. In einer schmucken Wohnung in Gebenstorf. «Wir haben uns eingerichtet. Es funktioniert», sagt er. Er hat sich beruflich und privat neu erfinden müssen. «Die letzten Monate waren nicht einfach. Aber mittlerweile habe ich mich an mein neues Leben gewöhnt.»
Der FC Wohlen als Sprungbrett
Sein neues Leben ohne Fussball. Kein tägliches Training mehr wie die letzten acht Jahre. 2014 wird Joel Geissmann erstmals Profifussballer. Und das beim FC Wohlen. Bei seinem Heimatclub. Hier, wo schon sein Vater Roger vor fast 30 Jahren mit seiner unverkennbaren Spielart die Leute begeisterte. Joel Geissmann kommt im Frühjahr 2014 zum FCW, Trainer Martin Rueda ist sein grösster Förderer. Er ist in der «Sforza-Saison» 2014/15 Teil des riesigen Erfolgs, als die Wohler in der Challenge League lange vorne mitspielen. «Eine schöne Zeit. Der FC Wohlen war das bestmögliche Sprungbrett», sagt er rückblickend.
«Ich bereue keine Entscheidung»
Dieses Sprungbrett katapultiert ihn 2016 in die Super League zum FC Thun. Ein Jahr später geht er zu Lausanne. War dies der richtige Schritt, zu Lausanne zu gehen? Seine Antwort: «Ich weiss es nicht. Aber ich bereue keine Entscheidung. Alles hat mich irgendwie weitergebracht. Überall konnte ich dazulernen.» 2018 steigt der Pharma-Riese «Ineos» bei Lausanne ein. Es ging phasenweise drunter und drüber beim Westschweizer Traditionsverein. Mit Lausanne steigt Geissmann 2018 ab. Und feiert 2020 die Rückkehr in die Super League. Zum Ende der letzten Saison geht es für Lausanne erneut eine Liga tiefer in die Challenge League.
Geissmann erlebt dies nur noch am Rande mit. Nach einer Gehirnerschütterung ist er zwar wieder einsatzfähig, wird aber nicht mehr berücksichtigt. Er trainierte in der Rückrunde alleine, erhält keine Chance mehr bei Lausanne. «Es hat sich dann früh abgezeichnet, dass meine Karriere endet», sagt Geissmann. Sein Vertrag in Lausanne wurde nicht verlängert. Und er wollte nicht mehr irgendwohin wechseln, nur, damit er Profifussballer bleibt. «Ich wollte zurück in mein Umfeld, zurück in die Heimat.» Und er wollte mehr Zeit mit Freunden, mit der Freundin, mit der Familie. Auch seine berufliche Zukunft wollte er in klare Bahnen lenken.
Jetzt arbeitet er in Hägglingen und muss wieder lernen
So kommt der Hägglinger im Frühling dieses Jahres zur Entscheidung: «Ich beende meine Karriere und gehe neue Wege.» Nach fünf Jahren bei Lausanne ist fertig. Es kommen zwar Angebote von anderen Vereinen. «Aber es hätte doch sehr interessant sein müssen, um meinen Entscheid umzustossen.»
Geissmann, der in den letzten Jahren mit einigen Verletzungen zu kämpfen hatte, beendet seine Laufbahn nicht wegen der Gesundheit. «Das hat einfach die Ausgangslage noch zusätzlich erschwert.» Es ist ein bewusster Entscheid. Gegen den Profifussball. Für seine Zukunft. «Ich durfte viele Jahre meinen Bubentraum leben und konnte vom Fussball leben. Ich durfte viele persönliche Erfahrungen sammeln, die mich geprägt haben.»
Aktuell arbeitet er Teilzeit (als Zeltbauer) bei der Blacho-Tex AG in Hägglingen, der Firma seines Vaters Roger. Gleichzeitig macht er ein Betriebsökonomie-Studium mit Fachrichtung Sport. «Ich muss wieder lernen. Ich habe Prüfungen. Diese Umstellung war nicht einfach. Mein ganzes Leben hat sich sehr verändert. Aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt», so Geissmann, der in Zukunft im Büro im Dienstleistungsbereich arbeiten möchte. Er sieht das Positive. Er hat freie Wochenenden. Und mehr Zeit. Für ganz viele Dinge. Um im Wald zu joggen. Um in den Bergen Ski zu fahren. Um in den Ausgang zu gehen mit Kumpels. Um eine neue Sportart auszuprobieren, das Paddeln, ein Mix zwischen Tennis und Squash. Doch besonders freut ihn, dass er mehr Zeit hat für all die lieben Menschen in seinem Umfeld.
Rückkehr zum FC Wohlen?
Bleibt die Frage offen, ob Joel Geissmann irgendwann wieder im Amateurbereich Fussball spielen will. Bis Sommer 2023 will er nichts mit dem runden Ball zu tun haben. «Wenn ich beruflich und privat alles aufgegleist habe und alles passt, dann könnte ich mir vorstellen, wieder Fussball zu spielen. Wichtig ist, dass der Aufwand nicht zu gross ist.» Könnte er sich eine Rückkehr zu seinem FC Wohlen vorstellen? Er schliesst es zumindest nicht aus.
Nach über 200 Spielen als Berufsfussballer ist dieser Lebensabschnitt jetzt vorbei. Eine starke Profikarriere mit vielen Auf und Abs endet. Klammheimlich. Denn kaum jemand hat es mitgekriegt. Das passt zu Joel Geissmann, der sich nicht gerne in den Mittelpunkt stellt und als bodenständiger Typ gilt. «Die vielen Entbehrungen, die man als Profifussballer hat, werde ich nicht vermissen», sagt er. Trotzdem denkt er gerne an die guten Zeiten zurück. An die Zeit beim FC Wohlen, an die Zeit, wo er bei Thun und Lausanne Stammspieler in der höchsten Liga der Schweiz war. Oder an den Aufstieg mit Lausanne. Und an dieses Tor gegen den FC Basel vor 24 000 Zuschauern. Mit rechts. Nun will er sein Leben neu aufgleisen. Geissmann wird das wohl mit links schaffen.
Weihnachten in Hägglingen mit den Fussball-Ikonen
Und vielleicht wird er an Heiligabend, wenn er mit seiner Familie Weihnachten in Hägglingen feiert, auch wieder über sein Siegtor gegen den FC Basel reden. Sein Vater Roger Geissmann, ein Freiämter Fussball-Urgestein und sein Grossvater «EG» Geissmann, eine Hägglinger Fussball-Ikone, werden dabei stolz zuhören. Geht die erfolgreiche Fussball-Familie Geissmann noch eine Generation weiter? Joel Geissmann sagt: «Kinder sind nicht in Planung. Noch nicht.»