Den richtigen Weg finden
26.05.2023 Berikon, Mutschellen«Klimaschutz ja, aber ohne Gesetz»
In Berikon ist über das Klimaschutzgesetz diskutiert worden – die Abstimmung ist am 18. Juni
Noch ist es nicht zu spät, dem Klimawandel Gegensteuer zu geben. Dem widersprechen auch die ...
«Klimaschutz ja, aber ohne Gesetz»
In Berikon ist über das Klimaschutzgesetz diskutiert worden – die Abstimmung ist am 18. Juni
Noch ist es nicht zu spät, dem Klimawandel Gegensteuer zu geben. Dem widersprechen auch die Gegner des Klimaschutzgesetzes nicht, doch sie sehen die Vorlage als eine Farce. Beim Podium debattieren Gäste aus Politik und Wirtschaft darüber.
Sabrina Salm
Die SVP nennt es das «Stromfresser-Gesetz» – es sei zu teuer und schlicht nicht umsetzbar. Es sei ein Schutzgesetz für das Klima und erhöhe die Versorgungssicherheit, sagen die Befürworter. Das Thema Klimawandel und -schutz sorgt immer für viel Diskussionsstoff. Nach gutschweizerischen Manieren debattieren, das wollten Nationalrat und Präsident der SVP Aargau Andreas Glarner und seine Parteikollegen. Deshalb luden sie zur Podiumsdiskussion in Berikon. Mit EMS-Chefin und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, SP-Nationalrat und Vize-Präsidentin von Swissolar Gabriela Suter, GastroSuisse-Präsident Casimir Platzer und Balthasar Glättli, dem Präsidenten der Grünen und Nationalrat, konnten die Podiumsbesucher spannende und schlagfertige Gespräche erwarten. Und die gab es auch. Als «verlogen» und «Mogelpackung» bezeichnen die Gegner Martullo-Blocher und Casimir Platzer die Vorlage. «Um das Klima zu schützen, braucht es nicht ein solches Gesetz.» Gabriela Suter und Balthasar Glättli sehen das anders. «Freiwillig geht in Sachen Klimaschutz zwar etwas – aber viel zu langsam.» Die Schweiz könne eine Vorreiterrolle einnehmen.
Befürworter und Gegner zeigen bei der Podiumsdiskussion in Berikon ihre Argumente auf
Magdalena Martullo-Blocher., Gabriela Suter, Balthasar Glättli und Casimir Platzer lieferten sich am Podiumsgespräch einen harten Schlagabtausch. Es ging um das Klimagesetz, worüber die Schweizer Stimmbürger am 18. Juni abstimmen.
Sabrina Salm
«Sie nehmen den Klimaschutz nicht ernst», hallte es durch das Berikerhus. Mit diesen Worten fuhr ein Gast Podiumsteilnehmer Casimir Platzer an. Der Präsident von GastroSuisse setzte sich an dem von der SVP Aargau organisierten Podium an der Seite von SVP-Nationalrätin und Unternehmerin Magdalena Martullo-Blocher gegen das Klimaschutzgesetz ein. Es folgten weitere Schimpftiraden des aufgebrachten Mannes aus Zürich. Bis dieser schliesslich aus dem Saal gebeten wurde. Weniger hitzig, dafür nicht minder inbrünstig, verlief dagegen die Podiumsdiskussion zwischen der Kontra- und der Pro-Seite. Für Letztere argumentierten Gabriela Suter (Nationalrat SP und Vize-Präsidentin von Swissolar) und Parteipräsident der Grünen Schweiz und Nationalrat Balthasar Glättli. Die hochkarätigen Podiumsteilnehmer aus Politik und Wirtschaft lockten viele Gäste aus allen politischen Lagern nach Berikon. Moderiert wurde das Podium von Anne-Käthi Kremer.
Schweiz unabhängig von Energieimporten machen
Die Schweiz soll bis zum Jahr 2050 ihre Netto-Treibhausgasemission auf null reduzieren und damit klimaneutral werden. Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Bund eine Vorlage ausgearbeitet, die schrittweise den Verbrauch von Erdöl und Erdgas senken soll. Der Ersatz von Öl-, Gas- und Elektroheizungen durch klimaschonende Heizungen soll mit zwei Milliarden Franken unterstützt werden. «Um auf dem Weg zur Klimaneutralität voranzukommen, enthält die Vorlage konkrete Massnahmen», sagt Balthasar Glättli. «Wir machen uns mit diesem Klimaschutzgesetz auf den Weg zum Netto-Null-Ziel. Von dem profitieren alle. Die Hauseigentümer, die Mieter, die Wirtschaft und vor allem unsere Kinder und Enkel, weil damit ihre Zukunft besser wird», ist SP-Nationalrätin Gabriela Suter überzeugt. Sie findet es ein liberales Gesetz. Auch ihr Mitstreiter Balthasar Glättli sieht es so. «Es hat keine Verbote, sondern Anreize.» Ein weiterer positiver Aspekt sei die Versorgungssicherheit. «Es ist wichtig, dass die Schweiz unabhängiger von Energieimporten wird. Das haben wir besonders in den letzten Jahren intensiver gemerkt.» Mit dem Klimaschutzgesetz wäre dieses Ziel zu erreichen.
Auch ohne Gesetz für Klimaschutz einsetzen
Um eines vorwegzunehmen: Dass der Klimawandel Realität ist und gehandelt werden muss, darüber waren sich alle Podiumsteilnehmer einig. Aber im Gegensatz zu den Befürwortern, finden die Gegner, dass es nicht ein solches Klimagesetz brauche, welches die Bevölkerung zwinge. «Es braucht Massnahmen, aber es braucht kein Gesetz, um Klimamassnahmen umzusetzen», ist Platzer überzeugt. Er findet, dass das Klimagesetz mit ideologischen Fragen spielt. «Wer Nein stimmt, ist gegen den Klimaschutz und das stimmt einfach nicht», betont der GastroSuisse-Präsident. «Wir als Verband setzen uns auch für den Klimaschutz ein. Wir muntern unsere Mitglieder auf, etwas zu machen, um Energie zu sparen», erzählt er weiter. «Aber wir müssen das pragmatisch angehen und wir brauchen flexiblere Ansätze, die es dem Gewerbe ermöglichen, die Herausforderungen zu meistern, aber die unsere Existenz nicht gefährden.»
Auch Magdalena Martullo-Blocher verschliesse sich keineswegs vor erneuerbaren Energien und dem Schutz des Klimas. Schliesslich rüstete die EMS-Chefin ihr Unternehmen um, um COš-Emissionen zu reduzieren. Auf dem Firmenareal in Domat/Ems steht ein Biomasse-Kraftwerk.
Strombedarf wird steigen
An der Vorlage kritisiert sie vor allem, dass man nur die Ziele sehe, aber nicht die genauen Schritte, die da hinführen. «Sie sind nicht klar definiert, also können Verbote noch kommen.» Es sei nicht der richtige Ansatz. «Ausserdem wird mit diesem Gesetz der Strombedarf massiv steigen. Strom, der sowieso schon viel zu knapp vorhanden ist.» Die Strompreise würden explodieren. Martullo-Blocher findet: «Der Umbau der Energieversorgung weg von Heizöl, Gas, Diesel und Benzin hin zu Strom ist nicht realistisch.»
Ebenfalls als realitätsfremd sieht die SVP-Nationalrätin, dass die Schweiz 50 Prozent des Eigenbedarfs mit erneuerbaren Energien abdecken kann. «Bekannt ist, dass wir nicht mal Winterstromlücken überbrücken können, wie soll das denn ohne fossilen Brennstoff gehen?», hält Martullo-Blocher fest. Mit Wasserkraftenergie, so ein Vorschlag aus dem Publikum. «Glauben Sie mir, dass fände ich am besten. Doch realistisch gesehen, geht das nicht, da auch die Wasserkraft an ihre Grenzen stösst.» Man brauche neue technische Innovationen. «Die gibt es aber bis zu dem vorgegebenen Zeithorizont sicher noch nicht.»
Stehen bleiben ist keine Option
Die Investitionen für die Umrüstung mögen gross sein, aber dafür sei längerfristig mit weniger Kosten zu rechnen, sagt Balthasar Glättli. Und weiter: «Das Klimaschutzgesetz ist genau das Gegenteil eines Stromfressergesetzes. Es ist ein Stromspargesetz.» Es unterstütze den Ersatz von stromfressenden, veralteten Elektroheizungen und Elektroboilern durch neue, klimafreundliche Technologien und reduziere so die Stromverschwendung. Gabriela Suter könne die Bedenken und die Angst vor einer Strommangellage verstehen. «Aber ich finde es schade, dass man sich jetzt nicht auf den Weg macht. Was ist denn die Alternative? Das man einfach stehen bleibt? Das kann es doch auch nicht sein.»
Der Bund sichert Unternehmen bis zum Jahr 2030 Finanzhilfen für die Anwendung von neuartigen Technologien und Prozessen zu. Insgesamt stehen über sechs Jahre je 200 Millionen Franken pro Jahr bereit. «Das ist doch nur ein Zückerchen. Es wird viel mehr kosten», meint Casimir Platzer. Gabriela Suter entgegnet ihm: «Die Klimaschäden führen in der Schweiz zu Kosten in Milliardenhöhe. Es lohnt sich doch viel mehr, dieses Geld für Investitionen in die Hand zu nehmen, die solche Schäden reduzieren können.»
Stimmvolk entscheidet
Für Balthasar Glättli könnte das Klimaschutzgesetz gar noch weiter gehen. Platzer ist sicher, dass man auch ohne Gesetz eine nachhaltige Zukunft gestalten kann, die gegenüber der Wirtschaft und dem Umweltschutz Rechnung trägt. Suter möchte, dass das Klimaschutzgesetz so, wie es jetzt ist, funktioniert, und Martullo-Blocher ist sich sicher, dass es dies nicht tun wird. Am 18. Juni entscheiden die Schweizer Stimmbürgerinnen und -bürger über den weiteren Verlauf im Kampf gegen den Klimawandel.