Den Freizeitdruck kanalisieren
23.08.2024 KelleramtStress für die Natur
Freizeitdruck macht dem Flachsee zu schaffen
Die Kiesbänke sind belegt, auf der Reuss machen sich Gummiböötler und Stand-up-Paddler breit. An warmen Sommertagen kann es eng werden für die Wasservögel an ...
Stress für die Natur
Freizeitdruck macht dem Flachsee zu schaffen
Die Kiesbänke sind belegt, auf der Reuss machen sich Gummiböötler und Stand-up-Paddler breit. An warmen Sommertagen kann es eng werden für die Wasservögel an der Reuss. Dies ist besonders im Bereich des Flachsees bedenklich, handelt es sich doch um ein Wasser- und Zugvogelreservat von nationaler Bedeutung. Beste Lösung wäre daher eine Sperrung für Wasserfahrzeuge ab der Reussbrücke Rottenschwil, sind sich Matthias Betsche von Pro Natura und Niklaus Peyer von der Stiftung Reusstal einig. --tst
Am Flachsee prallen die Bedürfnisse von Mensch und Natur aufeinander
Naturerlebnisse ermöglichen, ohne die faszinierende Tierwelt zu verdrängen, diese Herausforderung stellt sich am Flachsee besonders stark. Für Umweltschützer dürfte die Lenkung der Besucherinnen und Besucher noch weiter gehen.
Thomas Stöckli
Der Aufmarsch der Vogelbeobachter mit ihren grossen Feldstechern, Fernrohren und Kameras mit ausladenden Teleobjektiven macht es deutlich: Am Flachsee bei Rottenschwil lässt sich Ausserordentliches entdecken. Die Reussebene gilt sowieso schon als eine der vielfältigsten und besterhaltenen Flusslandschaften des Schweizer Mittellands. Darüber hinaus ist der Bereich zwischen der Brücke Rottenschwil und dem Kraftwerk Bremgarten-Zufikon auch ein Wasser- und Zugvogelreservat von nationaler Bedeutung. Vom Kiebitz über den Eisvogel bis zum Fischadler, der hin und wieder vorbeikommt, lässt sich hier eine Vielfalt an besonderen Tieren in freier Wildbahn bestaunen.
Im Winterhalbjahr ist der Abschnitt schon gesperrt
Wobei gerade die Wasservögel unter dem Freizeitdruck leiden. Von Mitte Oktober bis Ende März ist der Teil der Reuss deshalb für sämtlichen Wasserverkehr gesperrt. In den Sommermonaten sind Schlauchboot, Stand-up-Paddle und Co. allerdings erlaubt, solange sich die Wassersportler an die Vorgaben halten, die unter anderem an der Brücke schriftlich und mit vertikal unterteilten rautenförmigen Tafeln signalisiert sind: Die weisse Seite markiert die 25 Meter breite Fahrrinne ab dem westlichen Ufer, in der das Durchfahren entlang des Flachsees erlaubt ist.
Nach der Brücke nimmt der Interpretationsspielraum zu: Wie breit sind 25 Meter? Das sei auch für die patrouillierenden Ranger schwer einzuschätzen, sagt Niklaus Peyer, Leiter der Gruppe Information und Aufsicht bei der Stiftung Reusstal. Rund zehn bis zwölf Verstösse stellt seine Truppe jedes Jahr fest, die meisten aus Unwissenheit, zunehmend aber auch aus Rücksichtslosigkeit, so Peyer. Wobei die Dunkelziffer gross sein dürfte, angesichts der begrenzten Ressourcen und eines Patrouillengebiets, das von der Lorzenmündung bei Mühlau im Süden bis zum Kraftwerk Bremgarten im Norden reicht.
Nachts mit Stirnlampe durch die Natur
An heissen Sommerwochenenden, wenn schon die Kiesbänke ausnahmslos von Ausflüglern in Beschlag genommen werden, kann es vorkommen, dass alle paar Meter ein Wasserfahrzeug treibt. «Da haben die Wasservögel kaum noch eine ruhige Minute», so Peyer. Wobei die Vögel auf Stand-up-Paddler mit ihrer markant höheren Silhouette erfahrungsgemäss deutlich empfindlicher reagieren als auf Schlauchboote und Flosse, selbst wenn diese vermehrt mit Bierfass und Musikanlage unterwegs sind. Die Billig-Schlauchboote werden dann teils nach einer Fahrt bereits wieder entsorgt: «Der Abfalleimer an der Bushaltestelle quillt richtiggehend über und manche lassen das Boot sogar aufgepumpt liegen», beschreibt Peyer.
Selbst die Zeiten, als wenigstens nachts noch Ruhe herrschte, sind inzwischen vielerorts vorbei. Noch spätabends und schon frühmorgens seien Jogger und Biker mit Stirnlampe unterwegs, berichtet Peyer, und selbst ein Stand-up-Paddler im Dezember sei ihm schon untergekommen. «Dieser Rund-um-die-Uhr-Betrieb ist einfach zu viel», findet der Reusstal-Oberranger. Freizeitaktivitäten sollen ermöglicht werden, findet er, aber so in Bahnen gelenkt, dass auch die Tierwelt noch Platz habe.
Sperrung als einfachste Lösung
Wie liessen sich also zwischen Naturschutz und Naherholung Kompromisse schliessen? «Wenn die Stand-up-Paddler sich in besonders sensiblen Bereichen auf ihrem Brett hinsetzen würden, wäre bereits etwas erreicht», so Niklaus Peyer. Die Idee, die Fahrrinne mit Bojen zu markieren, musste verworfen werden, weil die Ketten, falls losgerissen, im nahen Wasserkraftwerk grossen Schaden anrichten könnten. «Die einfachste Lösung wäre eine komplette Sperrung für Wasserfahrzeuge ab der Brücke Rottenschwil», findet Peyer. Zumal sich dieser Ort auch fürs Auswassern hervorragend eignet. Gleicher Meinung ist Matthias Betsche, GLP-Grossrat aus Möriken und Geschäftsführer von Pro Natura Aargau. Aktuell sind in der Schweiz 40 Prozent der Brutvögel auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Bei den Wasservögeln liegt der Anteil gar bei über 60 Prozent. «Lebensräume, die besonders gefährdet sind, müssen wir auch besonders stark schützen. Der Flachsee ist ein Wasserund Zugvogelreservat von nationaler Bedeutung. Das Reservat wurde geschaffen, damit die seltenen Vögel dort eigentlich nicht gestört werden», findet Betsche. Nicht zuletzt im Sinne der zahlreichen Menschen, die für Vogelbeobachtungen und für ein schönes Naturerlebnis den Flachsee aufsuchen. Denn wenn die faszinierenden Vögel hier keine Ruhe mehr finden, werden sie über kurz oder lang auch nicht mehr kommen.