Das Bellen tut gut
27.01.2023 Waltenschwil, Region OberfreiamtAnna Bingesser aus Waltenschwil hilft in einer Hunde-Auffangstation in Portugal mit und erlebt eine eindrückliche Zeit
Anna Bingesser will Gutes tun auf dieser Welt. Der Zufall bringt sie auf die «Quinta dos Caes» nach Portugal. Dort hilft die 19-Jährige ...
Anna Bingesser aus Waltenschwil hilft in einer Hunde-Auffangstation in Portugal mit und erlebt eine eindrückliche Zeit
Anna Bingesser will Gutes tun auf dieser Welt. Der Zufall bringt sie auf die «Quinta dos Caes» nach Portugal. Dort hilft die 19-Jährige mit, dass verwahrloste Hunde ein besseres Leben haben. Sie erzählt von schönen Erfahrungen und tragischen Hundeschicksalen.
Stefan Sprenger
«Hier herrscht konstantes Hundegebell», erzählt Anna Bingesser lachend am Telefon. Im Hintergrund ist – natürlich – lautes Bellen zu hören. Doch als würden die Vierbeiner sie verstehen, sind sie kurz ruhig, als die junge Freiämterin erzählt, welch tragisches Schicksal sie vor wenigen Tagen hautnah miterlebt hat. «Eine ganz schlimme Geschichte», meint sie. Kleine Labrador-Welpen wurden im Müll gefunden. Die Tiere waren erst ein paar Tage auf dieser Welt. «Sie waren noch blind wie Maulwürfe und wurden einfach entsorgt im Abfall. Schrecklich.»
70 Hunde leben auf der «Quinta dos Caes»
Anna Bingesser ist auf der Hunde-Auffangstation «Quinta dos Caes» an der portugiesischen Algarve. Die Besitzerin der Einrichtung stammt aus Deutschland. Die Liegenschaft war früher ein grosser Reiterhof. Im Laufe der Jahre wurden immer mehr Hunde aufgenommen, bis das riesige Grundstück schliesslich eine Einrichtung nur für Hunde wurde. Heute leben 70 Hunde dort, die dank diesem Ort weiterleben können. Die Tiere haben meist eine tragische Vergangenheit. Sie werden am Strassenrand gefunden oder eben «entsorgt». Der Zustand der Tiere ist meist sehr schlecht. Ziel ist, die Hunde wieder aufzupäppeln, zu sozialisieren – und sie schliesslich an einen neuen Besitzer zu vermitteln. Man arbeitet mit Organisationen in Deutschland, England und der Niederlande zusammen.
Die «Quinta dos Caes» ist weit über die Stadtgrenzen von Lagoa hinaus bekannt. Als man jene Labradorwelpen im Müll findet, wird sofort der Kontakt zur Auffangstation aufgenommen. Die Welpen werden nach ihrer Rettung aufgepäppelt und sollen in einigen Wochen zur Adoption freigegeben werden.
«Habe mir die Arbeit lockerer vorgestellt»
Anna Bingesser hilft seit dem 3. Januar mit. Sechs Stunden pro Tag kümmert sie sich um die Hunde. Füttern, Gassi gehen, Pflege, Training. Sie macht alles, was das Hundeherz begehrt. Und sie macht es gerne. «Ganz ehrlich, ich habe mir die Arbeit etwas lockerer vorgestellt. Es ist sehr anstrengend, weil man irgendwie kaum eine Pause hat und ständig von Hunden umgeben ist. Aber das ist irgendwie auch schön, der Hund ist an diesem Ort das Wichtigste.» Sie reklamiert keinesfalls, denn die Arbeit, das Mitanpacken, es macht ihr Spass und gibt ihr viel Genugtuung. «Ich habe noch keine Minute bereut. Es ist eine der eindrücklichsten Erfahrungen meines Lebens. Wenn ich abends ins Bett gehe, dann habe ich ein gutes Gefühl.» Sie schläft im Volunteer-Haus – auch dort sind Hunde. Und zwei davon dürfen sogar mit ihr ins Bett.
«Ich wollte mein Ding machen»
Für das Telefongespräch mit dieser Zeitung hat sich Anna Bingesser mittlerweile in eine Stallbox verzogen. «Hier sind drei Katzen, die ebenfalls gerettet wurden – und es ist so ziemlich der einzige Rückzugsort vor den Hunden», meint sie lachend. Denn das ständige Gebell führt dazu, dass man kaum ein Wort versteht.
Anna Bingesser ist schon seit Oktober auf Reisen. Costa Rica, Mexiko, Guatemala, Belize. «Oftmals war ich allein, ich wollte mein Ding machen, wollte raus in die grosse Welt.» Ab Februar startet sie eine Ausbildung – doch sie wollte den Januar nicht zu Hause rumgammeln, sondern sie wollte «etwas Gutes tun auf dieser Welt». Sie wollte Erfahrungen sammeln, unabhängig sein. Der Zufall wollte es dann, dass sie via soziale Medien auf diese Hundeeinrichtung gestossen ist, wo sie jetzt mithilft und dafür Kost und Logis erhält.
In den letzten drei Wochen habe sie Dinge gelernt, die sie in ihren noch kleinen Lebensrucksack packt. «Ich liebe es, hier zu sein. Ich mag es, neue Dinge zu erleben und Erfahrungen zu sammeln. Ich sehe die Welt ein wenig anders. Ich bin viel geduldiger und verständnisvoller geworden», sagt sie.
Wenn die Sonne aufgeht und sie selbst eigentlich noch hundemüde ist, geht das Gebell schon los. «Dann sind alle hungrig und wollen essen und Aufmerksamkeit. Dann heisst es Ruhe bewahren und nicht sauer werden.» Denn die Tiere wollen nur eines: «Ein gutes Leben haben.»
Rat von Vater Felix Bingesser
Ihr Vater, der «Blick»-Sportjournalist Felix Bingesser, sagte einmal zu ihr: «Du solltest dir eine Aufgabe suchen, bei der du jeden Tag gerne aufstehst. Du solltest dir eine Arbeit suchen, wo du nicht immer hoffst, dass es möglichst schnell Wochenende ist, sondern das Leben so kreieren, dass du jeden Tag gerne aufstehst.» Diese Worte hat sie verinnerlicht.
Deshalb ist auch ihr nächster Job eine Aufgabe, die Abenteuer und Weltoffenheit beinhaltet. Noch bis heute Freitag ist die Waltenschwilerin auf der «Quinta dos Caes». Danach geht es zurück nach Hause ins Freiamt. Anna Bingesser, die zuletzt ein Praktikum bei einem Radiosender gemacht hat, wird dann ab Februar die Ausbildung zur Flight-Attendant bei der Edelweiss machen. Und auch dann wird sie wiederum in der Weltgeschichte herumreisen. Im Gepäck hat sie dann die wertvollen Erfahrungen der letzten Wochen auf der Hunde-Auffangstation.
Sie kehrt mit gemischten Gefühlen zurück nach Waltenschwil. Sie freut sich sehr auf ihre «unterstützenden und liebevollen Eltern», wie sie sagt. Und sie freut sich, ihre Kollegen und ihren Freund wiederzusehen. Sie hat auf dieser Reise gemerkt, dass sie ihre Heimat sehr gern hat. Doch Anna Bingesser «vermisst jetzt schon das Gefühl an jedem Abend, etwas Gutes getan zu haben». Und natürlich das Hundegebell. Denn auch wenn das ständige Bellen der Hunde manchmal nervig ist – es tut einfach nur gut.
Wer will Watson und Astro?
Die Auffangstation «Quinta dos Caes» vermittelt Hunde nach ganz Europa. Und zwei Tiere sind Anna Bingesser besonders ans Herz gewachsen, die seit Langem in der Einrichtung sind und bislang nicht vermittelt werden konnten. «Vielleicht hat jemand aus dem Freiamt Interesse», hofft die junge Frau.
Astro wurde abgemagert auf den Strassen in Albufeiras aufgefunden. Er hat ein chronisches Magenproblem, das mit Medikamenten und Futter aber kein Problem darstellt. «Astro ist ein verspielter und sehr lieber Rüde. Er ist schlau und versteht sich mit jedem. Er ist drei Jahre alt und würde sich sehr über ein neues Zuhause freuen», sagt Bingesser.
Der zweite Hund heisst Watson. Er wurde sein Leben lang an einer kurzen Metallkette gehalten und dies zeigt sich in seinem besonderen Laufstil. «Trotzdem ist er für jedes Ballspiel und jede Kuscheleinheit zu haben», erzählt die Waltenschwilerin. Watson nicht der schönste Hund, aber habe die treuste Seele. Er sucht schon seit einem Jahr nach einem neuen Besitzer, der ihm eine zweite Chance gibt.
Wer Interesse hat, das neue Frauchen oder Herrchen von Astro oder Watson zu werden, kann sich per Mail melden an anna.bingesser@hotmail.ch. --red