Dann ist alles möglich
15.11.2024 WohlenSymposium zum Thema Inklusion in der Integra mit spannenden Ein- und Aussichten
«Inklusion: Fertig geplaudert. Wir handeln»: So lautete der Titel des Symposiums. Trotz des knackigen Titels ist allen klar, dass der Weg zur vollen Teilhabe für alle Menschen ...
Symposium zum Thema Inklusion in der Integra mit spannenden Ein- und Aussichten
«Inklusion: Fertig geplaudert. Wir handeln»: So lautete der Titel des Symposiums. Trotz des knackigen Titels ist allen klar, dass der Weg zur vollen Teilhabe für alle Menschen noch lange ist. Auch darum, weil sich mit Beeinträchtigten viel Geld verdienen lässt.
Chregi Hansen
«Wir sind ganz klar Befürworter der Inklusion. Aber es wird auch weiterhin Institutionen brauchen», sagt etwa Jonas Meier, der Geschäftsführer der Integra. Auch Daniel Schaufelberger vom Büro morpho mahnt zur Geduld. «Es ist ein langer Weg, wir müssen ein ganzes System umbauen, das geht nicht von heute auf morgen», sagt er. Selbst der Zürcher SP-Nationalrat Islam Alijaj ist sich bewusst, dass es noch Zeit braucht bis zu einer inklusiven Gesellschaft. «Aber wir müssen das in zehn Jahren schaffen und nicht erst in 50, denn so lange habe ich keine Lust zu politisieren», sagt er klipp und klar.
Kämpfer für die Rechte der Behinderten
Islam Alijaj hat seit seiner Geburt eine Cerebralparese, sitzt deswegen Rollstuhl und hat eine Sprachbehinderung – eine Assistentin sorgt dafür, dass seine Ausführungen für alle verständlich sind. «Mit 16 Jahren schloss ich die Sonderschule ab mit dem Wissensstand eines Sechstklässlers. Und ich wurde ausgelacht, wenn ich sagte, dass ich Nationalrat werden will», erzählt er am Symposium in Wohlen. Dass er es trotzdem geschafft habe, zeige doch, dass alles möglich ist. Islam Alijaj sieht sich als Kämpfer für die Rechte der Behinderten. Er interessiere sich zwar auch für viele andere Bereiche der Politik, sagt er. «Aber ich bin gewählt worden, um eine Revolution in der Behindertenpolitik anzuzetteln. Und das tue ich», macht er deutlich.
Und er übt Kritik. Dass es mit der Inklusion nicht so recht vorwärtsgehe, habe auch damit zu tun, dass die Schweiz über eine milliardenschwere «Behindertenindustrie» verfüge. Diese am Laufen zu halten und gleichzeitig für Inklusion zu weibeln, das gehe nicht zusammen. Behinderte würden vielfach noch immer als Produkt gesehen, sagt und er und vergleicht ihre Situation mit der von Sklaven. Die Löhne im zweiten Arbeitsmarkt seien viel zu tief, der Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt schwierig und risikoreich. Wer befürchten muss, dass er beim Scheitern seine IV-Rente verliere, der wage den Schritt nicht. «Wir dürfen keine Angst haben vor der Zukunft und müssen neue, innovative Projekte wagen», so der Aufruf des Politikers. Und das müsse schneller gehen als die üblichen politischen Prozesse.
Immer noch (zu) viele Hindernisse zu überwinden
Dass sich etwas ändern muss, mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Im Rahmen des Symposiums werden mehrere positive Beispiele für gelebte Inklusion vorgestellt. Und zwar aus allen Bereichen des Lebens, also Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Es sind persönliche Erfahrungsberichte von Betroffenen – sie erhalten an diesem Anlass viel Platz für ihre Anliegen.
Aber damit Inklusion gelingt, braucht es auch Menschen, die sie ermöglichen. Wie beispielsweise Valentina Wetter, CEO der Wetter AG in Stetten. Ihr Betrieb beschäftigt auch Menschen mit Beeinträchtigungen. So etwa einen Konstrukteur, der seine Zeichnungen am Computer mit den Füssen anfertigt. «Es ging anfangs gar nicht primär darum, eine Vorbildfunktion einzunehmen. Sondern wir wollten die Möglichkeit schaffen, verunfallte Mitarbeiter weiter zu beschäftigen», schaut Valentina Wetter auf die Anfänge zurück. Sie mahnt die Unternehmer, Verantwortung zu übernehmen, gibt sich aber auch selbstkritisch. «Auch wir könnten noch mehr machen», ist ihr bewusst. Leider gebe es bei der Einstellung von Beeinträchtigten noch immer viele Hindernisse zu überwinden. «Vermutlich machen darum nur so wenige mit», so Wetter.
Inklusion kostet etwas
Dass es noch viel braucht, damit alle Menschen Teilhabe erhalten in der Gesellschaft, wie es die Behindertenrechtskonvention eigentlich verlangt, dessen ist sich auch Daniel Schaufelberger bewusst. Das von ihm mitbegründete Büro morpho ist spezialisiert auf Themen wie Arbeitsintegration oder die Gründung und Gestaltung von Organisationen. Und Inklusion gebe es auch nicht gratis. «Wenn wir Selbstbestimmung und Wahlfreiheit ermöglichen wollen, dann kostet das etwas», ist für ihn klar. Gefordert seien aber auch die Institutionen, für die Beeinträchtigte eben eine Einnahmequelle sind. Und sich entsprechend schwertun, ihre Leute abzugeben. «Wir müssen noch viele Barrieren abbauen. Gerade auch in den Köpfen», sagt er.
Mehr Durchlässigkeit nötig
Eine dieser Institutionen ist auch die Integra. Ihr muss man aber zugutehalten, dass sie schon viel unternimmt, was Inklusion betrifft. «Wir setzen uns mit Leib und Seele für Menschen mit Beeinträchtigungen ein. Ganz nach dem Motto: So viel wie nötig, so wenig wie möglich», so Geschäftsführer Jonas Meier. Für ihn braucht es in Zukunft mehr Durchlässigkeit, sowohl im Bereich des Wohnens wie auch beim Thema Arbeit. Aber auch die Freizeit gehöre dazu. «Es ist schön, wenn sich die Volkshochschule überlegt, Angebote für Beeinträchtigte ins Programm zu nehmen. Besser wäre, sie würde das bestehende Programm unseren Leuten näherbringen», macht er ein Beispiel.
Insgesamt sei man gut unterwegs, ist Jonas Meier überzeugt. «Wir sind auf dem richtigen Weg, müssen aber noch einige Hürden überwinden», sagt er. So brauche es beispielsweise eine Annäherung zwischen dem ersten und zweiten Arbeitsmarkt. Dabei sei auch die Politik gefragt, sie müsse die nötigen Anreize schaffen und die benötigten Gelder zur Verfügung stellen. Doch wie sagte Nationalrat Islam Alijaj so treffend: In der Politik geht es nur langsam vorwärts. Und Menschen mit Beeinträchtigungen fehlt eine Lobby. Dabei machen sie rund 20 Prozent der Bevölkerung aus. Sie am Leben teilhaben zu lassen, dazu hat sich die Schweiz mit der Ratifizierung der UNO-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. Erfüllt hat sie diesen Anspruch noch lange nicht. Anlässe wie dieses Symposium tragen aber sicher zu Verbesserungen bei. Die Integra als Veranstalter hat darum ganz viel Lob erhalten von allen Seiten.