Chance gesehen und gepackt
11.11.2022 Beinwil/Freiamt, Region OberfreiamtVor zehn Jahren brannte die Eichmühle fast komplett nieder – David Villiger erinnert sich
Es passierte in der Nacht. Ausgelöst durch einen technischen Defekt. Die Futter- und Getreidemühle waren komplett zerstört. «Ich hatte stets ein ...
Vor zehn Jahren brannte die Eichmühle fast komplett nieder – David Villiger erinnert sich
Es passierte in der Nacht. Ausgelöst durch einen technischen Defekt. Die Futter- und Getreidemühle waren komplett zerstört. «Ich hatte stets ein Urvertrauen, dass es gut kommt», sagt David Villiger, Inhaber und Geschäftsführer der Eichmühle AG. Er behielt recht. Mittlerweile hat sich die Firma neu ausgerichtet.
Annemarie Keusch
Es ist die Solidarität, die grosse Unterstützung, das Mitgefühl, das David Villiger auch zehn Jahre später sentimental werden lässt. «Ja, das Ganze hatte auch etwas Gutes. Es ist die Dankbarkeit zu wissen, dass einen die Nächsten unterstützen, egal welcher Schicksalsschlag einen trifft», sagt der Inhaber und Geschäftsführer der Eichmühle AG. Dass das Positive eher eintrifft, wenn man daran glaubt, das habe ihn geprägt. Heute sagt David Villiger: «Ein solcher Schicksalsschlag oder generell Herausforderungen können auch Chancen sein für Veränderungen.»
Solche Gefühle waren in der Nacht vom 7. auf den 8. November 2012 noch nicht möglich. «Als ich die Flammen sah, ging mir unglaublich viel durch den Kopf. Mir war sofort bewusst, dass nichts mehr zu retten sein würde. Dass ich vor einer riesigen Aufgabe stand. Aber auch, dass ich diese anpacken würde», sagt David Villiger heute. Um 23.45 Uhr sei der Alarm ausgelöst worden. Villiger lebt im Haus neben der Mühle. «Als ich das Feuer sah, züngelten die Flammen bereits aus dem Dachstock.» Er habe seine Eltern, die im Dorf Beinwil leben, angerufen. «Gemeinsam konnten wir noch einige wichtige Dokumente aus dem Büro retten.» Und dann kam das Zusehen, das stundenlange Zusehen, wie das Feuer alles verschlingt, zerstört.
Zu wenig Platz für seine Gefühle
2010 wars, als David Villiger die Eichmühle AG von seinem Vater übernahm. In neunter Generation führt er den Betrieb, der als Getreidestelle und Mühle gross wurde. Villiger spricht von einem richtigen Familienunternehmen. Der Bruder arbeitet mit, der Vater und ein Onkel helfen aus. «Sie waren auch in der Brandnacht und am Tag darauf alle da. Das gab mir ganz viel Kraft und Sicherheit.»
Er habe funktionieren müssen, sagt David Villiger heute. Für die Kunden, für die Mitarbeitenden, für das Traditionsunternehmen. «Rückblickend kann ich sagen, dass ich meinen eigenen Gefühlen, meiner eigenen Trauer zu wenig Raum liess.» Später holte ihn dies ein. Es habe gerade in den ersten zwei Jahren nach dem Brand Momente gegeben, in denen ihm alles zu viel wurde. Villiger spricht sein Burn-out an, Depressionen, gar Suizidgedanken. «Dank meinem Umfeld habe ich dies überstanden.» Zu diesem gehörten in den ersten Momenten auch Partnermühlen, etwa die Obermühle in Boswil. «Sie übernahmen Lieferungen an Kunden, aber auch Mitarbeitende. Dafür bin ich auch im Nachhinein sehr dankbar.»
Über 50 Produkte veredeln
Heute ist die Eichmühle AG keine Mühle mehr. Ein Jahr nach dem Brand folgte die Neuausrichtung. «Infolge dieses Vorfalls machten wir eine Auslegeordnung. Es stimmt, vor dem Brand wäre eine Neuausrichtung kein Thema gewesen. Ob wir noch klassisch Mehl mahlen würden, wenn es nicht gebrannt hätte? Das weiss ich nicht.» Die Hauptstandbeine Backmehl und Mischfutter verschwanden, nur die Getreidesammelstelle blieb und wurde wieder aufgebaut. «Das war kein einfacher Entscheid, zumal wir dafür allen damals 14 Mitarbeitenden kündigen mussten», sagt Villiger. Mittlerweile zählt die Eichmühle AG sieben Mitarbeiter. «Einige sind zurückgekommen, das ist natürlich besonders schön.»
2017 wars, als der Neubau in Betrieb genommen wurde. Seither ist es keine Mühle mehr, sondern ein Getreidecenter. Das Veredeln von Superfood-Produkten ist neben der Sammelstelle der zentrale Betriebszweig. «Reinigen, schälen, schleifen», fasst David Villiger zusammen. Über 50 verschiedene Produkte werden in Beinwil veredelt, von Sojabohnen über Kürbiskerne bis hin zu Reis. 95Prozent davon seien in der Schweiz angebaut worden. «Wir freuen uns, wenn immer wieder neue Produkte und Herausforderungen dazukommen», sagt Villiger. Die Ernährung befinde sich im Wandel. «Die Voraussetzungen sind gut, dass künftig noch mehr solcher Produkte gefragt sind.»
Ehrfurcht, aber keine Angst
Entsprechend blickt David Villiger positiv in die Zukunft. «Wir sind gut aufgestellt.» Er sei dankbar, dafür, dass es gut gekommen ist, dass der Wiederaufbau gelungen ist, dass ein motiviertes Team jeden Tag sein Bestes gebe. «Der Brand ist mittlerweile weit weg. Der Wiederaufbau 2017 hat die grössere Bedeutung für mich, weil dies der Grundstein für die Zukunft war», sagt er. An die Brandnacht, an die Folgen, denke er nur noch selten. Und obwohl Villiger weiterhin mit trockenem Getreide und möglicherweise heiss laufenden Maschinen arbeitet, habe er keine Angst vor einem erneuten Brand. «Die Ehrfurcht vor Schicksalsschlägen ist da, aber ich lege den Fokus aufs Positive, auf die Zukunft.»
Und diese liege im Superfood. «Ich koche selber sehr gerne und oft mit Dinkelprodukten», sagt David Villiger. Auch Hülsenfrüchte oder Fleischersatzprodukte auszuprobieren sei spannend. Quinoa beispielsweise wachse seit wenigen Jahren wegen der klimatischen Veränderungen auch in der Schweiz gut. «Ähnlich ist es mit Soja. Das Klima und die Vegetation verändern sich», ist Villiger überzeugt. Veränderungen, die er bereit ist anzunehmen, so wie er dies in den letzten zehn Jahren mehr als einmal musste. Etwa von der Mühle zum Getreidecenter.
Weitere Informationen unter: www.eichmuehle.swiss.