Blüten als Seelentröster
03.11.2023 WohlenZu Allerheiligen erstrahlt der Wohler Friedhof in einem Blumenmeer – wieso das etwas Besonderes ist
An Allerheiligen erstrahlen auf vielen Gräbern Chrysanthemen-Blüten. Kaum ein anderer Friedhof in der Schweiz sieht am Tag der Toten hübscher aus als ...
Zu Allerheiligen erstrahlt der Wohler Friedhof in einem Blumenmeer – wieso das etwas Besonderes ist
An Allerheiligen erstrahlen auf vielen Gräbern Chrysanthemen-Blüten. Kaum ein anderer Friedhof in der Schweiz sieht am Tag der Toten hübscher aus als derjenige in Wohlen. Für die Donat AG ist dies Tradition. Allerheiligen ist einer der wichtigsten Tage für das Unternehmen – und für viele Menschen, die trauern.
Stefan Sprenger
Die letzte Ruhestätte wird zum Pilgerort. Die Parkplätze rund um den Friedhof in Wohlen sind voll. Nachmittags findet eine Messe statt, Musik inklusive. An keinem anderen Tag im Jahr herrscht auf dem Wohler Friedhof mehr Betrieb als am vergangenen Mittwoch. Allerheiligen, lateinisch Sollemnitas Omnium Sanctorum, die katholische Kirche gedenkt an diesem Tag der Toten. Die Menschen besuchen ihre Liebsten, die von dieser Welt gegangen sind.
Der Grabschmuck ist in diesen Tagen besonders schön. Es gibt sogar «Friedhof-Touristen», die extra an Allerheiligen nach Wohlen pilgern und sich die Gräber anschauen. Marc Donat, 42 Jahre alt und Chef der Donat AG, sagt: «Die Vielfalt an Allerheiligen auf dem Wohler Friedhof ist riesig. Das gibt es in dieser Art selten in der Schweiz.» Die Friedhöfe in Luzern oder Solothurn sind die einzigen ihm bekannten Orte, die am 1. November in ähnlichem Ausmass diesen «Brauch» pflegen. Wieso das so ist, kann er nicht genau beantworten. «Wohlen ist eine katholische Gemeinde und pflegt diese Tradition schon lange», meint er. Das sei schon seit Generationen so. Sein Unternehmen hat aber wohl auch einen grossen Anteil daran.
Alles muss stimmen
Als die Donat AG 1851 gegründet wurde, gab es den Wohler Friedhof an dieser Stelle noch gar nicht. Erst seit 1873 ist dies die Ruhestätte für die Toten der Gemeinde. Marc Donat führt das Unternehmen schon in sechster Generation (siehe Artikel rechts). Allerheiligen, das sei «einer der wichtigsten Tage», wie er sagt. Dann muss auf dem Friedhof alles stimmen. Dann öffnet auch der Blumenladen – trotz gesetzlichem Feiertag.
Die Vorbereitungen beginnen bereits im Juni, wenn die Chrysanthemen-Kulturen angeliefert werden. Die Chrysantheme – auch Wucherblume genannt – ist die beliebteste Herbstblume des Friedhofs. Verehrt wurde sie in China, wo sie seit dem 15. Jahrhundert gezüchtet wird – und ein Symbol ist für ein langes Leben.
In Frankreich steht die Chrysantheme für Tod und Trauer. Über den Sommer werden die Kulturen gepf legt, die Schädlinge werden mit Nützlingen bekämpft. Chemie kommt kaum zum Einsatz. Eine Herausforderung für das Unternehmen, doch eine Verpf lichtung für den Artenund Gewässerschutz. Übrigens: Die Donat AG gehört zu den letzten Unternehmen in der Schweiz, die selbst noch grossblumige Chrysanthemen produzieren.
Früher an Halloween bis spät in die Nacht gearbeitet
Den ganzen Monat Oktober werden die Gräber bereit gemacht. 1500 sind es insgesamt auf dem Wohler Friedhof, rund 500 werden von der Donat AG gepflegt, mit Blau- und Weisstannenzweigen und mit Gestecken und Blumenschalen verziert. Und je näher Allerheiligen rückt, desto mehr rückt auch die Chrysantheme in den Fokus. «Den ganzen Monat arbeiten wir auf diesen Tag hin», sagt Donat.
Am Dienstag, einen Tag vor Allerheiligen, werden die Blüten im Produktionsbetrieb an der Turmstrasse geschnitten. Sechs Topfpflanzengärtner sorgen dafür, dass jede Bestellung stimmt, die Pflanzen wohlbehütet an den Friedhof transportiert werden können. Für Pirmin Lang, Obergärtner der Donat AG in Wohlen, ist dieser Tag ein wenig stressig, auch wenn er selbst die Ruhe in Person ist. «Es gibt viel zu tun», meint er. Am Friedhof angekommen, werden die Chrysanthemen von den Floristinnen auf die Gräber gesteckt. Michelle Hintermann ist seit 18 Jahren bei der Donat AG angestellt. «Diese Arbeit ist jedes Jahr ein Highlight», sagt sie. Sofern das Wetter passt. Jasmin Kottmann, 18 Jahre jung, ist im 3. Lehrjahr als Floristin. «Es ist cool, dass auch Lernende die Chance erhalten, hier zu arbeiten. Es ist eine grosse Verantwortung, ein Grab so zu verzieren, dass es den Menschen gefällt», sagt die Waltenschwilerin. Normalerweise bedient sie im Blumenfachgeschäft die Kunden, macht Sträusse und Gestecke. An Allerheiligen ist sie hier auf dem Friedhof. Kottmann hat Freude am Job und sagt: «Von mir aus dürfte Allerheiligen mehrmals im Jahr sein.»
150 Gräber werden von den sechs Floristinnen mit Chrysanthemen ausgestattet. Vor rund 20 Jahren waren es doppelt so viele. Brigitte Steinmann, Floristin aus Wohlen, erinnert sich an die früheren Zeiten und meint lachend: «Da ging es an diesem Tag schon mehr ab.» Da wurde an Halloween bis spät in die Nacht auf dem Friedhof gearbeitet. Nostalgisch. Und ein wenig gruselig. Marc Donat bestätigt: «Vor 20 Jahren war der Aufwand doppelt so gross.» Damals halfen über 20 Mitarbeiter, dieses Jahr sind es 13. Er kann sich an einen Halloween-Abend erinnern, als bis morgens um 2 Uhr auf dem Friedhof gearbeitet wurde. In diesem Jahr startete man um 8.30 Uhr morgens und war um 16.30 Uhr fertig. «Stressig ist es trotzdem. Denn an Allerheiligen muss alles passen, Fehler dürfen wir uns nicht erlauben. Deshalb werden die Gräber auch mehrmals kontrolliert, ob auch alles so ist wie bestellt.»
«Friedhofskultur ändert sich massiv»
Früher rund 300 Chrysanthemen-Gräber, heute noch 150. Wieso ist das so? «Die Friedhofskultur ändert sich massiv. Es gibt immer mehr Urnenplattengräber und Gemeinschaftsgräber und immer weniger Sargbestattungen», so Donat. Heute machen nur noch rund 10 Prozent eine Sarg- respektive Erdbestattung. Der Rest: Urne. Das hat Konsequenzen, denn die Gemeinschafts- und Plattengräber bieten nur wenig Platz für einen Blumenschmuck. Oftmals werden die Überreste des verstorbenen Menschen auch «privat gehalten» und so auch auf einen Platz auf dem Friedhof verzichtet. Und: «Die Menschen pflegen die Gräber nicht mehr so intensiv wie früher», weiss Donat.
«Die Feedbacks an Allerheiligen sind durch das Band positiv. Reklamationen gibt es hochselten», sagt der Wohler. Und da wissen er und sein Team auch, dass sich der Aufwand gelohnt hat. «Wenn ich an Allerheiligen die vollen Parkplätze sehe und die vielen Menschen, die auf den Friedhof kommen, dann gibt mir das ein gutes Gefühl», so Donat.
In sechster Generation
Donat AG wurde 1851 gegründet – noch bevor es den Wohler Friedhof gab
Die Firma Donat AG wurde 1851 gegründet. An der Turmstrasse wurden Jungpflanzen produziert, die Gärtnerei und der Blumenladen waren an der Friedhofstrasse. 1969, nach dem Tod von Beda Donat, trennte sich die Firma. Hans und Martin Donat produzierten weiterhin Jungpflanzen an der Turmstrasse, Leo Donat war der Chef des Unternehmens an der Friedhofstrasse. Später übernahm Peter Donat die Firma.
Marc Donat ist seit zehn Jahren der Chef
Als dieser 2013 starb, wurde sein Sohn Marc Donat der Chef. 2009 übernahm man den Betrieb an der Turmstrasse wieder. Die Donat AG wird mittlerweile in sechster Generation geführt und besteht seit 2011 auch aus der Tochterfirma André Widmer AG Gartenbau (Bremgarten). Für das Unternehmen verantwortlich ist neben Marc Donat auch seine Mutter Marlise. Für die Floristik war jahrelang Ursula Wild-Donat (Schwester von Peter Donat) die Leiterin, die Anfang 2023 verstarb. Das Unternehmen ist seit 172 Jahren erfolgreich, doch musste es im Laufe der letzten Jahrzehnte viele Veränderungen durchleben. 2009 wurden die Gewächshäuser vom Hagel so stark demoliert, dass man den Grossteil der Häuser neu aufbauen musste. Doch dies hat die Pläne einer Überbauung forciert. Ab 2015 wurde das Betriebsgelände an der Friedhofstrasse vollständig überbaut. Seit 2017 hat dort der Blumenladen der Donat AG seine Heimat. Das Unternehmen beschäftigt heute im Gartenbau, in der Floristik, im Friedhofsunterhalt und in der Produktion rund 20 Mitarbeiter, davon vier Lehrlinge.
Veränderungen
Die Gärtner- und Floristenbranche war in den letzten Jahrzehnten massiven Veränderungen ausgesetzt. Der Detailhandel hat es ohnehin schwierig. Die Grossverteiler sind zudem immer mehr in den Blumenmarkt eingestiegen. «Mit diesen Preisen können wir nicht konkurrenzieren», so Marc Donat. Die Donat AG punktet mit professioneller Beratung, Spezialitäten und Nähe. In Sachen Produktion ist es ebenfalls schwierig, mit den Grossverteilern mitzuhalten. In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Gärtnereien eingegangen oder haben ihre Produktion massiv gesenkt. Heutzutage wird vieles importiert. «Weil wir für das Blumengeschäft und den Friedhof viele Pflanzen selbst benötigen, geht die Rechnung für uns immer noch auf», so Donat, der stolz ist, dass sein Unternehmen 100 Prozent torffrei produziert und so auch auf Nachhaltigkeit setzt. Die Donat AG beliefert auch immer mehr andere Gärtner, Floristen, Friedhöfe und die Blumenbörse Schweiz mit saisonaler Ware. Eine grosse Herausforderung sind beispielsweise die immer steigenden Energiekosten. In den Treibhäusern wird deshalb kälter produziert als früher, zudem verzichtet man darauf, die Weihnachtssterne (die es gerne warm mögen) selbst zu produzieren. «Das lohnt sich nicht mehr», sagt Donat. --spr