Beim ersten Mal klappt es selten
05.09.2025 KelleramtPfarrer Reto Studer und seine Kollegin Stina Schwarzenbach boten Einblick hinter die Kulissen vom «Wort zum Sonntag»
Seit einem knappen Jahr ist er eine von fünf Pfarrpersonen aus der Deutschschweiz, die sich mit dem «Wort zum Sonntag» im ...
Pfarrer Reto Studer und seine Kollegin Stina Schwarzenbach boten Einblick hinter die Kulissen vom «Wort zum Sonntag»
Seit einem knappen Jahr ist er eine von fünf Pfarrpersonen aus der Deutschschweiz, die sich mit dem «Wort zum Sonntag» im Schweizer Fernsehen abwechseln. Nun lud Reto Studer, Pfarrer im Kelleramt, mit seiner reformierten Kollegin zu einem Vortrags- und Austauschabend nach Arni.
Thomas Stöckli
«Jetzt muss ich aufpassen, was ich sage», so Reto Studer. Der Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Kelleramt lächelt – und nimmt dann doch kein Blatt vor den Mund: «Ich habe geflucht wie ein Rohrspatz.» Die Rede ist von seinem zweiten Aufnahmetag fürs «Wort zum Sonntag» im Studio des Schweizer Fernsehens im Leutschenbach. «Sicher zwölf Anläufe» habe er an jenem Tag im Dezember letzten Jahres gebraucht, um endlich ans Ziel zu kommen. «Ich hatte schon Zweifel, ob ich es überhaupt noch schaffe», verrät Studer. Zumal der Druck mit jedem weiteren Versuch steige und gleichzeitig die Müdigkeit zunehme.
Rund dreieinhalb Minuten lang sind sie, die Kommentare, die wöchentlich zur besten Sendezeit – am Samstagabend zwischen Tagesschau und Abendprogramm – über den Bildschirm in die Schweizer Stuben ausgestrahlt werden. Aufgezeichnet werden sie auswendig und als «One-Take», also ohne Schnitt. Will heissen: Wer sich im letzten Satz verhaspelt, beginnt nochmals ganz von vorn. Beim ersten Mal klappe es auch bei ihr selten, sagt Stina Schwarzenbach, die andere reformierte Sprecherin, die sich Studer für den Anlass in Arni zur Unterstützung dazugeholt hat. In der Regel brauche sie drei Versuche. «Im April und im Mai hatte ich einen Lauf, da hat es jeweils bereits beim ersten Mal geklappt», so Studer.
Zweitälteste Sendung des Schweizer Fernsehens
Episoden wie die eingangs geschilderte sind es, die den Anlass in der ökumenischen Kirche Arni so spannend machen, den Pfarrer und die Pfarrerin vom Bildschirm so nahbar. Studer und Schwarzenbach bieten Einblick in ihre Erfahrungen, von der ersten Anfrage über den Kameratest bis zu den Drehs und Reaktionen aus ihrem Umfeld. Pascale Huber, Geschäftsführerin Reformierte Medien, entlockte den beiden nicht nur allerlei Interessantes, sie lieferte auch Hintergrundwissen zum traditionellen Format, der nach der «Tageschau» zweitältesten Sendung des Schweizer Fernsehens. Wobei die kommentierenden Pfarrpersonen zu den Anfangszeiten noch viel umfassendere Freiheiten genossen. Da habe das «Wort» durchaus auch mal eine Stunde andauern können.
Anschaulich beschreiben die Referenten auch das Aufnahmestudio. Von einem «Aquarium» spricht Stina Schwarzenbach. Einem menschenleeren Raum mit einer Kamerasäule und einer dunklen Scheibe. Unsichtbar dahinter sind die Arbeitsplätze von Regie und Technik. Die Kommunikation läuft über eine Gegensprechanlage. «Das ist kein angenehmer Ort», fasst die Pfarrerin zusammen. Entsprechend stelle sie sich beim Sprechen ein Publikum vor. Konkret eine Gruppe von Witwen aus ihrer ehemaligen Kirchgemeinde. «Ich wollte das auch so machen», sagt Reto Studer, «aber ich bin so konzentriert, so im Tunnel, dass das bei mir leider nicht funktioniert.»
Nach der Aufzeichnung ist der Druck höher als vorher
Woher nehmen sie die Themen für ihre Kommentare? «Die kommen zum Bauch raus, aus dem Leben, aus dem Alltag, vom Lesestoff», verrät Stina Schwarzenbach, «in der ‹Annabelle› finde ich immer etwas», fügt sie an. Weitere Inputs kommen von ihren Kindern und von Bekannten. «Wenn ich mal nichts finden sollte, hat Andrea Aebi Unterstützung angeboten. Die Radio- und Fernsehbeauftragte bei den Reformierten Medien hätte am Anlass in Arni ebenfalls dabei sein sollen, musste aber aus gesundheitlichen Gründen Forfait erklären.
Für zwei Jahre verpflichten sich die fünf Pfarrerinnen und Pfarrer beim «Wort zum Sonntag». Dann kommen jeweils andere zum Zug. Mittlerweile ist fast schon die Hälfte der Amtszeit durch. Manches ist bereits Routine, anderes belastet noch immer. «Der Tag nach der Aufzeichnung ist jeweils schwierig», sagt Reto Studer. Er schaue das «Wort zum Sonntag» jeweils live, auch das eigene. Im Wissen, dass es jetzt vorbei ist, er nichts mehr ändern kann. Am mühsamsten erlebt er allerdings den Sonntag danach. Dann zählt das letzte «Wort zum Sonntag», das vom Vortag, nichts mehr – wie gut es auch gewesen sein mag. «Dann habe ich jedes Mal Angst. Ich schlafe in der Woche nach der Aufzeichnung schlechter als in der vorher.» Zwar führt er eine Liste mit möglichen Themen. «Ich muss aber etwas haben, das mich in dem Moment packt», beschreibt er.
Und wie ist es mit den Rückmeldungen? «Nach dem ersten Mal habe ich sicher 40, 50 Nachrichten bekommen», blickt Studer zurück. Damals schickten verschiedene Gemeindemitglieder Selfies mit seinem Konterfei auf dem Bildschirm im Hintergrund. Mittlerweile habe sich das Feedback bei rund einem Dutzend Nachrichten eingependelt. Stina Schwarzenbach berichtet von Begegnungen im Alltag, in deren Verlauf sie beiläufig auf ihr «Wort zum Sonntag» angesprochen wurde, «teils von Leuten, von denen ich nie erwartet hätte, dass sie zuschauen».
Outfits der Frauen geben mehr zu reden
Gefragt nach dem Highlight ihrer Fernsehkarriere nennt die Pfarrerin, die neu in Winterthur arbeitet, das dreitägige Einführungsseminar, an dem sie auch die Kollegen um Reto Studer kennenlernte. «Wir durften nach Morschach, es war wunderschönes Wetter.» Wäre das Programm nicht so anstrengend gewesen, hätte fast Ferienstimmung aufkommen können. «Die Leute vom Fernsehen waren so nett. Sie haben uns sehr zuvorkommend behandelt.»
«Wird die Kleidung vom Fernsehen zur Verfügung gestellt?», will eine Frau aus dem Publikum wissen. «Wir bringen unsere eigenen Sachen mit», sagt Stina Schwarzenbach. «Ich habe drei vier Anzüge, die ich mit verschiedenen Hemden und Pochetten variiere», sagt Reto Studer. «Er hat den Standard bezüglich Anzüge recht gehoben», sagt Pascale Huber mit Seitenblick zum Joner. Erfahrungsgemäss seien es jedoch die Outfits der Frauen, die viel mehr zu reden geben.
Weiter wurden die Sprechprofis nach Tipps gegen einen trockenen Mund gefragt, nach der Entschädigung – eine Spesenpauschale, die den Aufwand knapp deckt – und nach dem Rückhalt in ihrer Kirchgemeinde zur Zusatzfunktion. «Ich habe eine supercoole Kirchenpflege», so Studer. «Sie unterstützen das und sind stolz.»
Beim abschliessenden Apéro bot sich den über 70 Anwesenden Gelegenheit, die eine oder andere Frage unter vier Augen zu platzieren.