Auf Augenhöhe mit Henri Guisan
10.03.2023 Jonen, KelleramtDer Freiämter Jakob Huber ist einer der wichtigsten Militärs der jüngeren Schweizer Geschichte
Während des Zweiten Weltkriegs diente der Joner Jakob Huber als Generalstabschef unter Henri Guisan. Von 1940 bis 1945 war Hubers Arbeit wichtige ...
Der Freiämter Jakob Huber ist einer der wichtigsten Militärs der jüngeren Schweizer Geschichte
Während des Zweiten Weltkriegs diente der Joner Jakob Huber als Generalstabschef unter Henri Guisan. Von 1940 bis 1945 war Hubers Arbeit wichtige Entscheidungsgrundlage für die Befehle des Generals. Morgen Samstag jährt sich Hubers Todestag zum 70. Mal. Ein Anlass, um das Leben dieses aussergewöhnlichen Freiämters zu beleuchten.
Celeste Blanc
Es war einer jener grossen Momente, die die kleine Gemeinde Jonen so vermutlich nicht mehr erleben wird: die Beisetzung von Generalstabschef Jakob Huber, der am 16. März 1953 in seinem Heimatdorf die letzte Ruhe fand. Alle Wichtigen und Hohen des Landes pilgerten für seinen Abschied ins Reusstal.
Allen voran lief er, der grosse General, dem die ganze Schweiz nach sechs ungewissen Kriegsjahren das unversehrte Überstehen verdankte: General Henri Guisan, gefolgt von den höchsten Militärs, Bundesräten, kantonalen Regierungsvertretern und vielen weiteren trauernden Menschen.
In kollektive Vergessenheit gerückt
Während der Name Guisan heute noch fest im kollektiven Gedächtnis verankert ist, ist es derjenige von Jakob Huber, seiner rechten Hand während der Kriegsjahre, kaum mehr. Die Leistungen des Joners sind heute in den Hintergrund gerückt. Grund dafür: Bereits zu Lebzeiten war Jakob Huber der stille Schaffer im Hintergrund gewesen. «Guisan konnte gerade zu ebenjener Lichtgestalt werden, weil er mit Huber einen Generalstabsoffizier gefunden hatte, der seine Arbeit pflichtbewusst erledigte. Er war sich seiner Leistungen bewusst, erwähnte ihn mehrmals in seinem Generalsbericht und zitierte ihn ausführlich», weiss der Aargauer Historiker Titus Meier, der seit 2018 beim Projekt «Zeitgeschichte Aargau» mitwirkt und sich mit Militärgeschichte befasst hat. Wichtige Arbeit, für die Huber bereits zu Lebzeiten in der Öffentlichkeit nicht die Wertschätzung erhielt, die er eigentlich verdient hätte.
Jakob Huber, die unbekannte, grosse Schweizer Persönlichkeit. Was ist 70 Jahre nach seinem Tod geblieben? Im Zuge seines 70. Todestages blickt diese Zeitung auf das Leben und Wirken dieses einmaligen Freiämters zurück. Denn ein heute noch bestehendes Kollektivverständnis prägte Huber mit seinem Wirken ganz besonders mit: das des Aargaus als «Militärkanton». Viele hochgradierte Militärs stellte der Kanton über die Jahrhunderte, von denen Jakob Huber sicher der bedeutendste war.
Der stille Schaffer
Vor 70 Jahren ist Generalstabsoffizier des Zweiten Weltkriegs Jakob Huber aus Jonen gestorben – ein Rückblick
Wortkarg, besonnen, die perfekte Ergänzung zu General Henri Guisan – das steht heute über Jakob Huber in den Geschichtsbüchern geschrieben. Dabei war der Joner weit mehr als die rechte Hand des berühmten Generals: Huber gilt neben Guisan als bedeutendster Militär im Zweiten Weltkrieg.
Celeste Blanc
«Mehr sein als scheinen – das war stets sein Motto gewesen.» Der langjährige Joner Alt-Gemeindeschreiber Arnold Huber stöbert in seiner persönlichen Sammlung, die sich unter anderem aus dem Nachlass von Jakob Huber zusammensetzt. Zeitungsartikel, Originale, Auszüge aus wissenschaftlichen Abhandlungen und Biografien über seinen längst verstorbenen Grossonkel liegen auf dem grossen Tisch. Vieles aus seinem Leben weiss Arnold Huber lediglich aus den Quellen. Oder von Geschichten seines Vaters Josef. «Er erzählte mir, dass Jakob stets nach strengen Credos lebte und hohe – auch moralische – Ansprüche an sich und sein Umfeld hatte», weiss der Nachkomme.
Stets habe Jakob Huber Wert auf Leistung und gute Arbeit gelegt. Früher, als junger Bauernsohn, der in Jonen aufgewachsen ist, gleichwohl wie als hoher Offizier der Schweizer Armee während des Zweiten Weltkriegs. Ein tüchtiger Arbeiter, der gutmütig, dankbar und bedacht war. Und einer, der keinesfalls das grosse Rampenlicht suchte. Eben «mehr Sein als Schein» war. «Ein faszinierender Mann, menschlich wie intellektuell», meint Arnold Huber. «Ich bedaure sehr, dass ich ihn nicht kennenlernen durfte.»
Aussergewöhnliche Karriere
Dass ein Bauernsohn aus dem ländlichen Freiamt einmal eine solche Militärkarriere hinlegen würde, war für die Zeit und die Verhältnisse, aus denen Jakob Huber stammte, aussergewöhnlich. Geboren am 1. November 1883 musste er bereits als Junge schon früh auf dem Bauernhof seiner Eltern in der Mörgeln, einem Weiler ausserhalb von Jonen, mitanpacken. Bereits damals zeigten sich sein Pflichtbewusstsein und seine Beharrlichkeit: Überlieferungen zufolge stand Huber unter der Woche um 3 Uhr morgens auf, um auf dem Hof mitzuhelfen, bevor er einen zweistündigen Fussmarsch in die Bezirksschule nach Muri auf sich nahm. «Man erzählt sich, dass er [während des Weges] Bücher gelesen oder Heimaufgaben perfektioniert hat», heisst es in der Joner Dorfchronik. Ein begabter Schüler, der es später ans Technikum in Winterthur schaffte und unter anderem Chemie studierte. «Er hatte so viel Wissen in seinem Kopf, es ist einfach unglaublich. Nie hätte ich gedacht, dass so ein Genie zu unseren Vorfahren zählen kann», lacht Arnold Huber knapp ein Jahrhundert später. Der Ausbildung folgte später ein Selbststudium in Mathematik und Vermessungsgeologie, die Arbeiten brachten ihn nach Frankreich und Nordafrika.
Nicht nur akademisch, auch militärisch machte Huber Karriere. «Er war für den Dienst geschaffen», heisst es in seiner Biografie. Die Beförderungen als Berufssoldat sind so zahlreich, dass nur einige genannt werden sollen: So besetzte er unter anderem im Ersten Weltkrieg als Batteriechef die Grenze, avancierte in den darauffolgenden Jahren zum Stabschef der ostschweizerischen 6. Division und wurde zum Kommandanten der Zürcher Artilleriebrigade ernannt.
Entscheidungsgrundlage für General Henri Guisan
Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen am 1. September 1939 auf Befehl Adolf Hilters begann der Zweite Weltkrieg. Ein Kriegsereignis, das in den kommenden sechs Jahren schätzungsweise 130 Millionen Menschen mobilisieren sowie 26 Millionen Soldaten und knapp 50 Millionen Menschen durch direkte oder indirekte Auswirkungen das Leben kosten würde und damit zum blutigsten Konf likt der Geschichte zählt. Sechs Jahre, in denen Kampfhandlungen praktisch auf dem ganzen Kontinent stattfanden. Eine Ausnahme: Die Schweiz. Mit Beginn des Kriegs war Jakob Huber als Korpskommandant unter anderem für die Kriegsmobilmachung verantwortlich. Knapp ein Dreivierteljahr später, am 26. März 1940, erfolgte der Ritterschlag durch General Henri Guisan: Jakob Huber wird zum Chef des Generalstabs der Schweizer Armee ernannt.
Fortan hielt Huber eine höchst verantwortungsvolle Position inne: Gemeinsam mit dem Armeestab, den der Generalstabschef mit seinen 1500 Mitarbeitern zu führen hatte, arbeitete der Joner die Grundlagen aus, auf denen Guisan als Oberbefehlshaber der Armee seine Entscheidungen und Befehle erlassen konnte. Es sei ein einmaliger Werdegang, der für diese Zeit alles andere als verständlich gewesen sei, weiss Titus Meier. Der Historiker mit dem Schwerpunkt in der neueren Schweizer Geschichte arbeitet seit 2018 für das Projekt «Zeitgeschichte Aargau», forscht zur Aargauer Regionalgeschichte und hat sich im Rahmen seiner Dissertation mit militärgeschichtlichen Aspekten befasst. «Als Bauernsohn und erster Mann seiner Familie absolvierte er die Ausbildung zum Offizier. Das war ein bedeutender Schritt und unterschied ihn von vielen hohen Offizieren. Diese Laufbahn unterstreicht die ihm nachgesagten Charakterzüge.» Vor allem seine Herkunft machte einen grossen Unterschied aus zu anderen Offizieren: «Huber war nicht ehrgeizig nach Anerkennung, sondern vor allem leistungswillig.»
Nur die Arbeit zählt, nicht die Person
Der Zweite Weltkrieg – für die Schweiz eine Zeit von grosser Ungewissheit. Mit dem Eintritt Italiens in den Krieg 1940 war man fortan von den Achsenmächten umgeben. Die Frage, ob und wann ein Einmarsch erfolgen würde, umtrieb die militärische Führungsebene – und die Erarbeitung von Grundstrategien war gefordert. Wesentlich beteiligt daran war Jakob Huber. Zu nennen ist etwa die «Réduit-Strategie», also den Rückzug der Armee in den Alpenraum zur Bockade des Alpentransits im Falle eines Angriffs der deutschen Wehrmacht. Oder die neue Schiesslehre für die Schweizer Artillerie, die Huber neu berechnete, damit präzisere Artillerie ermöglichte und nach der noch lange im Militär verfahren wurde.
Trotz dieser grossen Leistungen scheint sich die breite Öffentlichkeit heute wenig an Jakob Huber zu erinnern. Zwar gibt es in Jonen eine Gedenkstätte und auch ein Bild Jakob Hubers hängt im Gemeindehaus. Dennoch ist der Name – verglichen mit dem von Henri Guisan – scheinbar aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Historiker Titus Meier meint dazu: «Es ist nicht so, dass Jakob Huber in Vergessenheit geraten wäre. Vielmehr war er schon zu Lebzeiten neben General Guisan kaum sicht- und wahrnehmbar.» Das habe unter anderem an der sich diametral unterscheidenden Wesen der beiden gelegen: General Henri Guisan, der seine repräsentative Aufgabe mehr als verstand und auf seine Aussenwirkung bedacht war, suchte die Öffentlichkeit. Huber hingegen war der stille Schaffer, der die Aufmerksamkeit entschieden ablehnte. «Generalstabsoffiziere haben keinen Namen», lautete seine Anweisung. Ein Zeichen dafür, dass für Huber nur die Arbeit und nicht die Person dahinter zählte. Es ist ein Credo, das seinen Tod überdauern sollte. Strikt habe sich der Generalstabschef dagegen ausgesprochen, auch nach seinem Ableben Aufsehen um seine Verdienste zu machen. «Es gab mal die Überlegung, am Geburtshaus in der Mörgeln ein Schild zu befestigen, das auf die Geburtsstätte von Jakob Huber verwies. Doch die Familie respektierte seinen Wunsch. Man liess es sein», erzählt Arnold Huber.
In Demut üben
1945, nach sechs Jahren Aktivdienst, verliess Jakob Huber mit 62 Jahren das Militär und verbrachte seine Pension in Brienz. Immer wieder zog es ihn in seine Heimat Jonen zurück zu seiner Familie, die er regelmässig besuchte. Die Heimat war ihm wichtig, so auch nach seinem Tod: Überraschend verstarb Huber am 11. März 1953 an Gelbsucht. Beigesetzt werden wollte er in Jonen. «Das Begräbnis war ein riesengrosses Ereignis. So etwas Grosses wird Jonen vermutlich so bald, wenn überhaupt, nicht mehr sehen», so Arnold Huber. Lang war der Trauerzug durch die Gemeinde gewesen, die vom Mörgeln runter zum Dorffriedhof führte und viel Prominenz erwies dem Joner die letzte Ehre: Zu den zahlreichen Trauernden zählten auch General Guisan, die höchsten Militärs, Bundesräte, Aargauer und Zürcher Kantonalregierung.
Für den Grossneffen Arnold Huber ist das Wissen, eine solche Persönlichkeit in der Familie gehabt zu haben, eine Ehre. «Er war stets Vorbild für meinen Vater und seine Geschwister. Und auch ich sehe zu Jakob Huber auf. Seine Geschichte, sein Wesen, seine Leistungen haben mich in ihren Bann gezogen.» Ein Rückblick auf eine wahrlich einzigartige Freiämter Persönlichkeit. Auch Historiker Titus Meier sieht im aktuellen Jubiläum eine erneute Chance, sich den stillen Schaffer wieder in Erinnerung zu rufen. «Indem wir uns an Menschen wie Huber erinnern, besinnen wir uns auch an andere Menschen in der Schweiz, die in einer Zeit gelebt haben, in der grosse Unsicherheit, Ungewissheit und Krieg herrschten. Durch dieses Bewusstwerden können wir uns heute in Demut üben.»