Kühe statt Pferde eingespannt
29.07.2025 Berikon, MutschellenArmee auf dem Mutschellen
«Weisch no» mit Alois Füglistaler aus Berikon
Der Zweite Weltkrieg war für den Beriker Alois Füglistaler eine prägende Zeit. Der heute 92-Jährige wurde 1940 eingeschult und erinnert sich in der ...
Armee auf dem Mutschellen
«Weisch no» mit Alois Füglistaler aus Berikon
Der Zweite Weltkrieg war für den Beriker Alois Füglistaler eine prägende Zeit. Der heute 92-Jährige wurde 1940 eingeschult und erinnert sich in der Sommerserie «Weisch no» an die Stimmung, die damals auf dem Mutschellen herrschte – und wie sie Angst vor den Bombenfliegern hatten. Einen solchen sah er in Richtung Sursee brennend abstürzen. Alois Füglistaler erzählt aber auch davon, wie er als Kleinbauer seinen Beruf nach und nach aufgab und zum Lastwagenchauffeur wurde. --rwi
Sommerserie «Weisch no» mit Alois Füglistaler aus Berikon
Alois Füglistaler lebt mit einem Unterbruch von rund 1,5 Jahren in Berikon, seit er vor 92 Jahren hier geboren wurde. Er erinnert sich gerne an die Schulzeit zurück, auch wenn der Zweite Weltkrieg auf dem Mutschellen für viel Entbehrung sorgte.
Roger Wetli
«Die heutige Hauptverbindungsstrasse zwischen Berikon und Oberwil-Lieli war früher noch nicht asphaltiert, sondern gekiest. In meiner Kindheit gab es ohnehin in unserem Dorf erst zwei bis drei Autos», erinnert sich Alois Füglistaler. Er muss es wissen, wuchs er doch genau dort in einem kleinen Bauernhof an der Oberwilerstrasse auf, wo seit 1968 ein Zweifamilienhaus steht. Er selbst lebt heute darin. Viele Einwohner von Oberwil seien an ihrem Bauernhof vorbeigelaufen, wenn sie zum Bahnhof Berikon-Widen wollten. «Von uns aus waren es aber immer noch rund 45 Minuten zu Fuss. Postautos nach Oberwil fuhren vielleicht zwei bis drei Mal pro Tag.»
Wahnsinnige Spannung
Spricht man mit dem 92-Jährigen, kommen bei ihm rasch Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg auf. Er war damals noch sehr jung. «Der Krieg hat den Kindern in Berikon sicher geschadet. Neben der Schule mussten wir ständig arbeiten, um durchzukommen. Als Kleinbauern hatten wir aber immerhin ständig genügend zu essen», ist er dankbar. Sein Vater war im Aktivdienst. «Wir hatten einen leeren Stall. Da brachte die Armee vier Ross unter.» Die Pferde der Landwirte seien von der Armee eingezogen worden und viele Kleinbauern mussten in ihre Wagen und Pflüge deshalb ihre Kühe einspannen. «Das Militär war hier oben sehr präsent. Zwischen dem Metzger Groth und der Käserei unterhöhlten sie alles. Damals gab es dort noch ein offenes Feld. Heute ist alles überbaut. Als Kinder fuhren wir sonntags manchmal auf den Armeebaustellen Rollwagen, bis wir verscheucht wurden», schmunzelt Alois Füglistaler.
Generell seien die fast fünf Jahre Zweiter Weltkrieg von einer wahnsinnigen Spannung geprägt gewesen. «Wir wussten nie, ob und wann Mussolini aus Italien oder Hitler aus Deutschland uns überfällt. Und wir hatten Angst, dass eine Fliegerbombe auf uns herunterfällt.» Hauptsächlich nachts habe es Fliegeralarm gegeben. Die Fenster wurden verdunkelt. «Die Amerikaner flogen über die Schweiz nach Deutschland. Das Summen von deren Fliegern liess die Scheiben klappern. Einer fing Feuer und stürzte im Schlatt bei Hitzkirch ab», weiss Füglistaler, der den Flieger weit oben im Himmel brennen gesehen hatte. «Als Familie versteckten wir uns im Keller. Auch wenn das gegen eine Bombe nichts genützt hätte. Das erfuhren wir aber zum Glück erst später.»
Harte Disziplin
Im Haus an der Oberwilerstrasse übernachtete meist ein Offizier. «Er ass aber ausserhalb», weiss der Beriker. Und teilweise sei das Schulzimmer durch das Militär besetzt gewesen. Berikon hatte damals zwei Schulhäuser: Eines an der heutigen Unterdorfstrasse und eines an der Oberdorfstrasse. Bis 53 Kinder der 3. bis 5. Klasse wurden an der Unterdorfstrasse in einem Raum gemeinsam unterrichtet. «Man war still. Die Lehrer verlangten gutes Benehmen. Es war harte Disziplin.»
Nach dem Unterricht halfen die Kinder zu Hause. «Und die Eltern wussten genau, wie lange der Unterricht jeweils ging. Ein verlängerter Nachhauseweg lag also nicht drin», schmunzelt der 92-Jährige.
Alois Füglistaler kam 1940 in die Schule. Also mitten im Krieg. Vier Jahre später spürte er die Erleichterung über den Frieden sehr intensiv. «Die Glocken läuteten. Wir erhielten spontan schulfrei. Unser Lehrer verkündete: ‹De Chrieg isch verbii.›»
Vom Landwirt zum Lastwagenchauffeur
Der Beriker blieb im Dorf, wurde Landwirt und führte den elterlichen Kleinbauernbetrieb bis 1961. «Der Verdienst reichte schlicht nicht mehr.» Eine gewisse Zeit lang half er beim Landwirt Angstmann bei der Kirche aus. «Dann bewarb ich mich als Chauffeur in Sursee, erhielt die Stelle und siedelte dorthin. Unser Sohn kam im Luzernischen auf die Welt.» 1,5 Jahre später war der Angstmannhof an den Landwirt Camenzind in Lieli verkauft und Alois Füglistaler kam auf Bitten wieder zurück, um wieder dort zu arbeiten. Später arbeitete er in einer Autogarage, bevor er endgültig seine Berufung als Lastwagenchauffeur fand. «Bei Koch Hugo in Bremgarten arbeitete ich 19 Jahre lang und anschliessend bei Comolli in Bremgarten für weitere 18 Jahre», blickt er zurück. In Berikon engagierte sich Füglistaler in der Feuerwehr, im Zivilschutz und fällte Bäume für das Gemeindewerk.
Steuern in der Stube bezahlt
«Wir sind im einfachen Stand geblieben», sinniert der Beriker. «Mein Vater führte 27 Jahre lang die Gemeindekasse als Finanzchef. Als Büro richtete er dafür lange unsere Stube ein. Hier zahlten die Leute ihre Steuern. Wir sechs Kinder mussten dann in der kalten Küche die Hausaufgaben machen.» Als 1952 ein neues Schulhaus gebaut wurde, erhielt sein Vater ein eigenes Büro im alten Schulhaus in Unterberikon.
Alois Füglistaler erlebte, wie sein Dorf von 800 Einwohnern während seiner Schulzeit auf heute 5000 angewachsen ist. «Gerade nach dem Krieg ab 1950 ging das sehr schnell. «Wir machten bei diesem Wachstum einfach mit», nimmt es der Beriker neutral. Er fühle sich im Dorf nach wie vor sehr wohl. «Wir sind hier gross geworden», schmunzelt er. «Es war halt eine ganz andere Zeit.»
«Weisch no»
In der diesjährigen Sommerserie «Weisch no» treffen sich Redaktoren und Redaktorinnen mit Menschen, die (fast) ihr ganzes Leben im gleichen Dorf verbracht haben, und sprechen mit ihnen darüber, wie es in ihrem Dorf früher ausgesehen hat, welche Erinnerungen an die alten Zeiten sie haben, was sie allenfalls vermissen, was heute vielleicht besser ist als früher und vielerlei mehr.